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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Irrungen, Mirrungen, Klärungen

läge der Regierung geführt. Diese Kanalvorlage mit ihren Annexen, diese
kolossale Millionenforderung war keine Wahlparole, die der Regierung eine
bessere Majorität hätte schaffen können. Unter allen Umständen wäre die
Macht des Zentrums durch Neuwahlen noch verstärkt worden. Aber damit
hatten sie Unrecht, dnß sie behaupteten, die Regierung sei vor den Agrariern
und dem Zentrum ins Mauseloch gekrochen. Gerade das Gegenteil ist richtig.
Nicht die Konservativen sind zur Zeit die Herren der Situation, sondern die
Regierung hat sich durch die Schließung ihre volle Freiheit gewahrt. Sie
^ und sie allein -- hat jetzt den Schlüssel zur Fortsetzung auch ihrer Kanal-
Politik in der Hand. Sie hat jetzt neun Monate Zeit, sich zu überlegen, wie
sie die Sache weiter angreifen will. Und daß sie freie Bahn geschaffen hat,
ist -- alles in allem genommen - - sogar für die Kanalgegner eine Erleichte¬
rung. Auch sie fühlten sich zuletzt nichts weniger als behaglich, wenn sie
auch um der leidigen Konsequenz willen zuversichtlicher thaten, als sie waren.
Aber auch sie wissen, daß die Handelsverträge vor der Thür stehn. Auch für
diese und seine Handelspolitik überhaupt hat Graf Bülow durch die Schließung
des Landtags freie Bahn geschafft. Auch hier ist er vollkommen Herr der
Situation geblieben. Wir können in Preußen in diesem Augenblick keinen
Konflikt brauche,,. Das muß jeder wahre Freund des Vaterlands einsehen,
sofern er nicht durch die Parteibrille sieht. Und diesen Konflikt jetzt glücklich
und unter voller Wahrung der königlichen Autorität vermieden zu haben, das
ist das unbestreitbare, große Verdienst des Grafen Bülow.

Es wird in Preußen regiert, und es wird klug und geschickt regiert.
Das ist das Facit, das man getrost unter den großen Strich der diesjährigen
Landtagssession setzen kann. Thatsächlich liegt jetzt der Schlüssel unsrer
politischen Zukunft allem in der starken Hand des Kaisers und seiner Regierung.
Als den frondierenden Führern das klar wurde, mögen sie wohl etwas verdutzt
dreingeschaut haben. Wenn sie sich die Sache aber in aller Ruhe überlegen,
müssen sie sich bei dem Grafen Bülow bedanken. Daß der Kaiser mit dem
Verhalten seiner "allergetrensten Opposition" nicht gerade sehr zufrieden fein
konnte, war begreiflich genug, sogar für nicht sehr hellhörige Leute. Daß
sich dieses Verhältnis noch verschärft haben würde, wenn Graf Bülow nicht
ein Einsehen gehabt Hütte, ist klar wie die Sonne. Eine konservative Partei
aber in dauernder persönlicher Opposition gegen den König ist in Preußen
ein Unding. Und wer dabei zuletzt den kürzern gezogen hätte, liegt auf
der Hand.

Gewiß ist die Landwirtschaft in Preußen etwas, das sein gutes Recht
hat. Und eine gerechte Staatsregierung wird ihm dieses sein Recht auch bei
dem Neuabschluß der Handelsverträge zu wahren wissen. Aber eine Regierung,
die sich von dem Bunde der Landwirte eine für die Entwicklung der Industrie
tödliche, einseitige Handels- und Zollpolitik wollte diktieren lassen, ist in Preußen
auf die Dauer ebenso unmöglich, wie eine einseitige Judustriepolitik mit brutaler
und ungerechter Vernichtung der landwirtschaftlichen Interessen.


Grenzboten II 1901
Irrungen, Mirrungen, Klärungen

läge der Regierung geführt. Diese Kanalvorlage mit ihren Annexen, diese
kolossale Millionenforderung war keine Wahlparole, die der Regierung eine
bessere Majorität hätte schaffen können. Unter allen Umständen wäre die
Macht des Zentrums durch Neuwahlen noch verstärkt worden. Aber damit
hatten sie Unrecht, dnß sie behaupteten, die Regierung sei vor den Agrariern
und dem Zentrum ins Mauseloch gekrochen. Gerade das Gegenteil ist richtig.
Nicht die Konservativen sind zur Zeit die Herren der Situation, sondern die
Regierung hat sich durch die Schließung ihre volle Freiheit gewahrt. Sie
^ und sie allein — hat jetzt den Schlüssel zur Fortsetzung auch ihrer Kanal-
Politik in der Hand. Sie hat jetzt neun Monate Zeit, sich zu überlegen, wie
sie die Sache weiter angreifen will. Und daß sie freie Bahn geschaffen hat,
ist — alles in allem genommen - - sogar für die Kanalgegner eine Erleichte¬
rung. Auch sie fühlten sich zuletzt nichts weniger als behaglich, wenn sie
auch um der leidigen Konsequenz willen zuversichtlicher thaten, als sie waren.
Aber auch sie wissen, daß die Handelsverträge vor der Thür stehn. Auch für
diese und seine Handelspolitik überhaupt hat Graf Bülow durch die Schließung
des Landtags freie Bahn geschafft. Auch hier ist er vollkommen Herr der
Situation geblieben. Wir können in Preußen in diesem Augenblick keinen
Konflikt brauche,,. Das muß jeder wahre Freund des Vaterlands einsehen,
sofern er nicht durch die Parteibrille sieht. Und diesen Konflikt jetzt glücklich
und unter voller Wahrung der königlichen Autorität vermieden zu haben, das
ist das unbestreitbare, große Verdienst des Grafen Bülow.

Es wird in Preußen regiert, und es wird klug und geschickt regiert.
Das ist das Facit, das man getrost unter den großen Strich der diesjährigen
Landtagssession setzen kann. Thatsächlich liegt jetzt der Schlüssel unsrer
politischen Zukunft allem in der starken Hand des Kaisers und seiner Regierung.
Als den frondierenden Führern das klar wurde, mögen sie wohl etwas verdutzt
dreingeschaut haben. Wenn sie sich die Sache aber in aller Ruhe überlegen,
müssen sie sich bei dem Grafen Bülow bedanken. Daß der Kaiser mit dem
Verhalten seiner „allergetrensten Opposition" nicht gerade sehr zufrieden fein
konnte, war begreiflich genug, sogar für nicht sehr hellhörige Leute. Daß
sich dieses Verhältnis noch verschärft haben würde, wenn Graf Bülow nicht
ein Einsehen gehabt Hütte, ist klar wie die Sonne. Eine konservative Partei
aber in dauernder persönlicher Opposition gegen den König ist in Preußen
ein Unding. Und wer dabei zuletzt den kürzern gezogen hätte, liegt auf
der Hand.

Gewiß ist die Landwirtschaft in Preußen etwas, das sein gutes Recht
hat. Und eine gerechte Staatsregierung wird ihm dieses sein Recht auch bei
dem Neuabschluß der Handelsverträge zu wahren wissen. Aber eine Regierung,
die sich von dem Bunde der Landwirte eine für die Entwicklung der Industrie
tödliche, einseitige Handels- und Zollpolitik wollte diktieren lassen, ist in Preußen
auf die Dauer ebenso unmöglich, wie eine einseitige Judustriepolitik mit brutaler
und ungerechter Vernichtung der landwirtschaftlichen Interessen.


Grenzboten II 1901
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/313>, abgerufen am 22.07.2024.