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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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gestellt bleiben. Es läßt sich ja nicht leugnen, beiß durch diese kolossale Er¬
weiterung des ursprünglichen Mittellaudkanalprojekts auch die Angriffsfläche
für die Gegner der Regierung beträchtlich vergrößert wurde. An sich war die
schnelle Vorlegung und die Vertretung dieser wahrhaft großartigen Projekte
eine bewundernswerte technische und geschäftliche Leistung. Daß diese solide
und mühsame Arbeit für immer unter den Tisch gefallen sein sollte, halten
wir für ausgeschlossen. Wahr ist, daß sich allmählich auch in den Reihen des
Zentrums das Interesse für das Zustandekommen des Mittellandkanals mehr
und mehr abkühlte. Das lag zunächst in der wesentlich ablehnenden Haltung
des Ministers von Thielen gegenüber der vom Zentrum gewünschten Lippelinie.
Aber gerade weil manche Zentrnmslente sich überzeugen mußten, daß die Be¬
vorzugung der Emscherlinie dnrch die Regierung nicht auf einer bloßen Marotte
beruhte, erkaltete ihr Eifer für das ganze Projekt von einer Sitzung der Kom¬
mission bis zur andern mehr und mehr.

Mit Staunen und nicht ohne Sorge sahen patriotische Männer auf den
Verlauf der Verhandlungen in der Kommission. Aber es gab doch in Berlin
auch Männer, die sich zu dem Grafen Bülow zuversichtlich eines rechtzeitigen
und einsichtigen Einschreitens glaubten versehen zu dürfen. Sie haben Recht
behalten. Der Schluß des Landtags war der erfreuliche Ausdruck dieser Aktion.

Von den Mitgliedern der Kanalkommission gehörten zehn zur konserva¬
tiven, vier zur freikvnservativen, fünf zur nationalliberalen Fraktion, sieben
zum Zentrum, einer zur freisinnigen Volkspartei, einer zur freisinnigen Ver¬
einigung. Dieses Verhältnis der Fraktionszugehörigkeit der Kommissionsmit¬
glieder spiegelt ziemlich deutlich die Chancen der Vorlage wieder. Sowohl in
der .Kommission, wie im Plenum. Nun wäre aber zweifellos schon die Ab¬
lehnung der Vorlage, insbesondre des Mittellandkanals in der Konnnission
nicht nur im Lande, sondern in der ganzen Welt als eine Niederlage der Re¬
gierung, in gewissem Sinne kann man sagen als eine Niederlage des Königs
empfunden worden. Es konnte nicht ausbleiben, daß man diesen Widerspruch
gegen einen dringenden Wunsch Seiner Majestät ungeachtet der völlig ver¬
änderten Umstände mit der Ablehnung der ersten Kanalvorlage im Jahre 1899
in eine unliebsame Verbindung gebracht, und daß man, wenn die Staats¬
regierung wieder, Gewehr bei Fuß, dabei gestanden hätte, darin eine Fort¬
setzung ressortmäßigen Weiterwurstelns ohne klare, bewußte und energische
Leitung gesehen hätte. Das hat Graf Bülow klar erkannt. Darum hat das
Staatsministerium dem Könige die Ordre zur Schließung der Session vor¬
gelegt und ihn von deren Nützlichkeit zu überzeugen gewußt. Und dieses
frische, offne, bewußte Handeln des Ministerpräsidenten hat bei allen Patrioten
Freude erregt. Wir Nüssen und sehen doch, Gott sei Dank, wieder, daß regiert
wird, und zwar klug, umsichtig und thatkräftig regiert wird. Darin hatten
die nationalliberalen Abgeordneten mit den langen Gesichtern, die sie am
Freitag in den Foyers des Hanfes machten, vollkommen Recht: eine Auflösung
des Abgeordnetenhauses hätte mit Sicherheit zu einer ganz eklatanten Nieder-


gestellt bleiben. Es läßt sich ja nicht leugnen, beiß durch diese kolossale Er¬
weiterung des ursprünglichen Mittellaudkanalprojekts auch die Angriffsfläche
für die Gegner der Regierung beträchtlich vergrößert wurde. An sich war die
schnelle Vorlegung und die Vertretung dieser wahrhaft großartigen Projekte
eine bewundernswerte technische und geschäftliche Leistung. Daß diese solide
und mühsame Arbeit für immer unter den Tisch gefallen sein sollte, halten
wir für ausgeschlossen. Wahr ist, daß sich allmählich auch in den Reihen des
Zentrums das Interesse für das Zustandekommen des Mittellandkanals mehr
und mehr abkühlte. Das lag zunächst in der wesentlich ablehnenden Haltung
des Ministers von Thielen gegenüber der vom Zentrum gewünschten Lippelinie.
Aber gerade weil manche Zentrnmslente sich überzeugen mußten, daß die Be¬
vorzugung der Emscherlinie dnrch die Regierung nicht auf einer bloßen Marotte
beruhte, erkaltete ihr Eifer für das ganze Projekt von einer Sitzung der Kom¬
mission bis zur andern mehr und mehr.

Mit Staunen und nicht ohne Sorge sahen patriotische Männer auf den
Verlauf der Verhandlungen in der Kommission. Aber es gab doch in Berlin
auch Männer, die sich zu dem Grafen Bülow zuversichtlich eines rechtzeitigen
und einsichtigen Einschreitens glaubten versehen zu dürfen. Sie haben Recht
behalten. Der Schluß des Landtags war der erfreuliche Ausdruck dieser Aktion.

Von den Mitgliedern der Kanalkommission gehörten zehn zur konserva¬
tiven, vier zur freikvnservativen, fünf zur nationalliberalen Fraktion, sieben
zum Zentrum, einer zur freisinnigen Volkspartei, einer zur freisinnigen Ver¬
einigung. Dieses Verhältnis der Fraktionszugehörigkeit der Kommissionsmit¬
glieder spiegelt ziemlich deutlich die Chancen der Vorlage wieder. Sowohl in
der .Kommission, wie im Plenum. Nun wäre aber zweifellos schon die Ab¬
lehnung der Vorlage, insbesondre des Mittellandkanals in der Konnnission
nicht nur im Lande, sondern in der ganzen Welt als eine Niederlage der Re¬
gierung, in gewissem Sinne kann man sagen als eine Niederlage des Königs
empfunden worden. Es konnte nicht ausbleiben, daß man diesen Widerspruch
gegen einen dringenden Wunsch Seiner Majestät ungeachtet der völlig ver¬
änderten Umstände mit der Ablehnung der ersten Kanalvorlage im Jahre 1899
in eine unliebsame Verbindung gebracht, und daß man, wenn die Staats¬
regierung wieder, Gewehr bei Fuß, dabei gestanden hätte, darin eine Fort¬
setzung ressortmäßigen Weiterwurstelns ohne klare, bewußte und energische
Leitung gesehen hätte. Das hat Graf Bülow klar erkannt. Darum hat das
Staatsministerium dem Könige die Ordre zur Schließung der Session vor¬
gelegt und ihn von deren Nützlichkeit zu überzeugen gewußt. Und dieses
frische, offne, bewußte Handeln des Ministerpräsidenten hat bei allen Patrioten
Freude erregt. Wir Nüssen und sehen doch, Gott sei Dank, wieder, daß regiert
wird, und zwar klug, umsichtig und thatkräftig regiert wird. Darin hatten
die nationalliberalen Abgeordneten mit den langen Gesichtern, die sie am
Freitag in den Foyers des Hanfes machten, vollkommen Recht: eine Auflösung
des Abgeordnetenhauses hätte mit Sicherheit zu einer ganz eklatanten Nieder-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/312>, abgerufen am 22.07.2024.