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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Irrungen, Wirkungen, Klärungen

mäßig zu erledigen, so wird das auch noch für ein Jahr länger möglich sein.
Mit den vorhandnen Unzuträglichkeiten wird man sich abfinden, wie mau das
bisher wohl oder übel auch hat thun müssen.

Nicht weniger betroffen als die Abgeordneten erschien das Berliner
Publikum. I" der ganzen Zeit, seitdem das neue Abgeordnetenhaus bezogen
und im Gebrauch ist, sind die Tribünen noch nie so gefüllt gewesen, wie um
Schlüsse der Session in der gemeinsamen Sitzung der beiden Häuser des Land¬
tags. Mau hatte sich eingebildet, Graf Bülow werde irgend einen besondern
Coup ausführen, etwas ganz Sensationelles sagen. Jeder Kundige wußte,
daß dnvou keine Rede sein konnte. Sämtliche Mitglieder des Staatsunuisteriums,
auch die beiden Minister ohne Portefeuille, Tirpitz und Graf Posadowsky,
waren vollzählig erschiene". Außer dem Kriegsminister und dem Marine¬
sekretär, die ihre Uniform trugen, hatten die Minister den schwarzen Frack
ohne Ordeusabzeicheu mit schwarzer Halsbinde augelegt. Graf Bülow verlas
die Botschaft des Königs, die ihn mit dem Schlüsse der Laudtagssessio" be¬
auftragte, fügte einige ruhige Worte der Erläuterung hinzu und schloß dann
im Namen des Königs den Landtag. Mau konnte sich den Verlauf der ganzen
Sache nicht schlichter, ruhiger, staatsmüuuischer und würdiger denken.

Die politische Bedeutuug dieses Akts ist aber uach unsrer Auffassung
folgende.

Das Ministerium des Grafen Bülow ist längst, schon bevor dieser die
Leitung übernahm, ein Ministerium der Sammlung gewesen. Nicht eigentlich
ein Kartellministerinm. Dazu Ware" die einzelnen Minister politisch einander
zu ähnlich: geschäftlich gewiegte, ja hervorragende Männer, dem Kaiser, dem
Lande und ihrer Pflicht bis ans die Knochen treu ergeben; keiner von ihnen
bis auf deu Finanzminister parteipolitisch eingeschworen oder engagiert, und
auch dieser einzige ein Realpolitiker, dem die Erreichung eines dem Lande
nützlichen Ziels über die parteipolitische Tendenz ging, Männer ausgezeichneter
Qualität, zu den allerbesten des Landes gehörig und als solche anerkannt, die
weitaus meisten von ihnen nicht gerade geniale Überflieger nach Art des
Fürsten Bismarck, aber von ausreichender Bedeutung, die Autorität ihres
Ressorts zu wahren und zugleich Sammelpunkte für die fast in allen Fraktionen
vorhandnen parlamentarischen Kräfte zu werden, denen die realen Interessen
des Königtums und des Landes über die Schlagworte und Stimmungen der
Fraktion gehn.

Diese Sammelpolitik ist auch uach der Übernahme der Leitung durch den
Grafen Bülow die allen Ministern gemeinsame Tendenz geblieben. Maßgebend
war diese Tendenz auch noch bei der Einbringung der ersten Kanalvvrlage im
Jahre 1899. Niemand, kein einziger der damaligen Minister konnte den ver¬
hängnisvollen Verlauf dieser Vorlage voraussehen. Sie war ursprünglich als
eine rein wirtschaftliche gedacht. Wäre sie das geblieben, so würde an den
beklagenswerte" Zwiespalt, der ans Grund dieser Vorlage entstanden ist, nicht
zu denken gewesen sein.


Irrungen, Wirkungen, Klärungen

mäßig zu erledigen, so wird das auch noch für ein Jahr länger möglich sein.
Mit den vorhandnen Unzuträglichkeiten wird man sich abfinden, wie mau das
bisher wohl oder übel auch hat thun müssen.

Nicht weniger betroffen als die Abgeordneten erschien das Berliner
Publikum. I» der ganzen Zeit, seitdem das neue Abgeordnetenhaus bezogen
und im Gebrauch ist, sind die Tribünen noch nie so gefüllt gewesen, wie um
Schlüsse der Session in der gemeinsamen Sitzung der beiden Häuser des Land¬
tags. Mau hatte sich eingebildet, Graf Bülow werde irgend einen besondern
Coup ausführen, etwas ganz Sensationelles sagen. Jeder Kundige wußte,
daß dnvou keine Rede sein konnte. Sämtliche Mitglieder des Staatsunuisteriums,
auch die beiden Minister ohne Portefeuille, Tirpitz und Graf Posadowsky,
waren vollzählig erschiene». Außer dem Kriegsminister und dem Marine¬
sekretär, die ihre Uniform trugen, hatten die Minister den schwarzen Frack
ohne Ordeusabzeicheu mit schwarzer Halsbinde augelegt. Graf Bülow verlas
die Botschaft des Königs, die ihn mit dem Schlüsse der Laudtagssessio» be¬
auftragte, fügte einige ruhige Worte der Erläuterung hinzu und schloß dann
im Namen des Königs den Landtag. Mau konnte sich den Verlauf der ganzen
Sache nicht schlichter, ruhiger, staatsmüuuischer und würdiger denken.

Die politische Bedeutuug dieses Akts ist aber uach unsrer Auffassung
folgende.

Das Ministerium des Grafen Bülow ist längst, schon bevor dieser die
Leitung übernahm, ein Ministerium der Sammlung gewesen. Nicht eigentlich
ein Kartellministerinm. Dazu Ware» die einzelnen Minister politisch einander
zu ähnlich: geschäftlich gewiegte, ja hervorragende Männer, dem Kaiser, dem
Lande und ihrer Pflicht bis ans die Knochen treu ergeben; keiner von ihnen
bis auf deu Finanzminister parteipolitisch eingeschworen oder engagiert, und
auch dieser einzige ein Realpolitiker, dem die Erreichung eines dem Lande
nützlichen Ziels über die parteipolitische Tendenz ging, Männer ausgezeichneter
Qualität, zu den allerbesten des Landes gehörig und als solche anerkannt, die
weitaus meisten von ihnen nicht gerade geniale Überflieger nach Art des
Fürsten Bismarck, aber von ausreichender Bedeutung, die Autorität ihres
Ressorts zu wahren und zugleich Sammelpunkte für die fast in allen Fraktionen
vorhandnen parlamentarischen Kräfte zu werden, denen die realen Interessen
des Königtums und des Landes über die Schlagworte und Stimmungen der
Fraktion gehn.

Diese Sammelpolitik ist auch uach der Übernahme der Leitung durch den
Grafen Bülow die allen Ministern gemeinsame Tendenz geblieben. Maßgebend
war diese Tendenz auch noch bei der Einbringung der ersten Kanalvvrlage im
Jahre 1899. Niemand, kein einziger der damaligen Minister konnte den ver¬
hängnisvollen Verlauf dieser Vorlage voraussehen. Sie war ursprünglich als
eine rein wirtschaftliche gedacht. Wäre sie das geblieben, so würde an den
beklagenswerte» Zwiespalt, der ans Grund dieser Vorlage entstanden ist, nicht
zu denken gewesen sein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/309>, abgerufen am 22.07.2024.