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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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pflege". Jedenfalls aber war, wenn wirklich etwas derartiges vorgekommen
sein sollte, der Zeitpunkt mit großer Schlauheit gewählt, um unter dem Hin¬
weis auf die ungünstigen Aussichten des Kannlprojekts auf den "kanal- und
kaiserfeindlichen Bund zwischen Junkern und Pfaffen," d, h, zwischen den kon¬
servativen Parteien und dem Zentrum gegen das "konservative" Ministerium
Bülow zu Hetzen. Und merkwürdig! Je tollere Sprünge bei dieser Hetze ge¬
macht wurden, desto glaubhafter und wahrscheinlicher erschien der ganze Spuk
den Zeitnugsphilistern und politischen Windhunden.

In diesen Hexensabbnth dunkler Ehrenmänner fiel am Abend des Donners¬
tags, des 2. Mais, wie ein Sonnenstrahl die offizielle Nachricht, daß Freitag,
den 3. Mai sechs Uhr auf Veranlassung des Staatsministeriums eine vereinigte
Sitzung beider Häuser des Landtags zur Entgegennahme einer allerhöchsten
Botschaft im Sitznngssnnle des Abgeordnetenhauses anberaumt worden sei.

Im Abgeordnetenhause wirkte diese Nachricht geradezu verblüffend, und
zwar gleichmäßig bei allen Fraktionen. "Aha! sagten die Freisinnigen, jetzt
wird Bülow seinen "drei Getreuen" zeigen, was eine Harke ist. Er löst auf."
Die Nativnalliberalen wußten sich keinen rechten Vers ans die Sache zu
machen. "Löst er auf, sagten sie, so täuscht er sich, denn die Kanalvorlage
ist keine sieghafte Wahlparole. Er bekommt eher noch eine kanalfeindlichere,
als eine kanalfrenndliche Majorität. Löst er nicht auf, so kriecht er vor den
Agrariern und dem Zentrum ins Mauseloch." Sogar die Konservativen und
die Freikonservativen waren zweifelhaft und geteilter Meinung. Daß die ge¬
meinsame Sitzung der beiden Häuser nur den Schluß der Session und nicht
etwa Auflösung bedeutete, war ihnen ans frühern Vorgängen klar, und sie
wußten, daß derartige Gepflogenheiten in Preußen nicht leicht aufgegeben
werden. Aber wie sich die Regierung nach dem Schluß der Session zu ihnen
stellen werde, lag vor vielen von ihnen doch in unheimlichen Dunkel. Man
konnte sich darüber nicht täuschen, daß durch den Schluß des Landtags auch
die dringend gewünschte Vorlage wegen anderweitiger Dotation der Provinzen
in den Brunnen fallen würde. An einer Verstärkung der Provinzialdotationen
hatte aber der ländliche Grundbesitz ein sehr großes Interesse. Auch sonst
waren noch einige Gesetze und Anträge im Rückstände, deren Dnrchbemtnng
und günstige Erledigung im Abgeordnetenhause wie im Lande dringend ge¬
wünscht wurde. So, um außer der Kleinbahufrage mir einen Gesetzentwurf
zu nennen, der Plan der Begründung eines besondern Oberpräsidiums für
Berlin. Er lag den Konservativen sehr am Herzen. Nur daß sie keinen
Oberpräsidenten, sondern neben dem Polizeipräsidenten einen besondern Regie¬
rungspräsidenten für Berlin haben wollten. Die verständigem Abgeordneten
sagten sich freilich, daß alle diese Dinge angesichts der Kanalvorlage und der
sich um eine etwaige förmliche Niederlage der Negierung knüpfenden politischen
Konsequenzen wahre Minutien sind, die gar nicht in Betracht kommen können,
wenn es sich um eine wohl überlegte Aktion der Regierung handelt. Ist es
bisher angegangen, die Geschäfte ohne Änderung der Gesetzgebung vrdnungs-


pflege». Jedenfalls aber war, wenn wirklich etwas derartiges vorgekommen
sein sollte, der Zeitpunkt mit großer Schlauheit gewählt, um unter dem Hin¬
weis auf die ungünstigen Aussichten des Kannlprojekts auf den „kanal- und
kaiserfeindlichen Bund zwischen Junkern und Pfaffen," d, h, zwischen den kon¬
servativen Parteien und dem Zentrum gegen das „konservative" Ministerium
Bülow zu Hetzen. Und merkwürdig! Je tollere Sprünge bei dieser Hetze ge¬
macht wurden, desto glaubhafter und wahrscheinlicher erschien der ganze Spuk
den Zeitnugsphilistern und politischen Windhunden.

In diesen Hexensabbnth dunkler Ehrenmänner fiel am Abend des Donners¬
tags, des 2. Mais, wie ein Sonnenstrahl die offizielle Nachricht, daß Freitag,
den 3. Mai sechs Uhr auf Veranlassung des Staatsministeriums eine vereinigte
Sitzung beider Häuser des Landtags zur Entgegennahme einer allerhöchsten
Botschaft im Sitznngssnnle des Abgeordnetenhauses anberaumt worden sei.

Im Abgeordnetenhause wirkte diese Nachricht geradezu verblüffend, und
zwar gleichmäßig bei allen Fraktionen. „Aha! sagten die Freisinnigen, jetzt
wird Bülow seinen »drei Getreuen« zeigen, was eine Harke ist. Er löst auf."
Die Nativnalliberalen wußten sich keinen rechten Vers ans die Sache zu
machen. „Löst er auf, sagten sie, so täuscht er sich, denn die Kanalvorlage
ist keine sieghafte Wahlparole. Er bekommt eher noch eine kanalfeindlichere,
als eine kanalfrenndliche Majorität. Löst er nicht auf, so kriecht er vor den
Agrariern und dem Zentrum ins Mauseloch." Sogar die Konservativen und
die Freikonservativen waren zweifelhaft und geteilter Meinung. Daß die ge¬
meinsame Sitzung der beiden Häuser nur den Schluß der Session und nicht
etwa Auflösung bedeutete, war ihnen ans frühern Vorgängen klar, und sie
wußten, daß derartige Gepflogenheiten in Preußen nicht leicht aufgegeben
werden. Aber wie sich die Regierung nach dem Schluß der Session zu ihnen
stellen werde, lag vor vielen von ihnen doch in unheimlichen Dunkel. Man
konnte sich darüber nicht täuschen, daß durch den Schluß des Landtags auch
die dringend gewünschte Vorlage wegen anderweitiger Dotation der Provinzen
in den Brunnen fallen würde. An einer Verstärkung der Provinzialdotationen
hatte aber der ländliche Grundbesitz ein sehr großes Interesse. Auch sonst
waren noch einige Gesetze und Anträge im Rückstände, deren Dnrchbemtnng
und günstige Erledigung im Abgeordnetenhause wie im Lande dringend ge¬
wünscht wurde. So, um außer der Kleinbahufrage mir einen Gesetzentwurf
zu nennen, der Plan der Begründung eines besondern Oberpräsidiums für
Berlin. Er lag den Konservativen sehr am Herzen. Nur daß sie keinen
Oberpräsidenten, sondern neben dem Polizeipräsidenten einen besondern Regie¬
rungspräsidenten für Berlin haben wollten. Die verständigem Abgeordneten
sagten sich freilich, daß alle diese Dinge angesichts der Kanalvorlage und der
sich um eine etwaige förmliche Niederlage der Negierung knüpfenden politischen
Konsequenzen wahre Minutien sind, die gar nicht in Betracht kommen können,
wenn es sich um eine wohl überlegte Aktion der Regierung handelt. Ist es
bisher angegangen, die Geschäfte ohne Änderung der Gesetzgebung vrdnungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/308>, abgerufen am 03.07.2024.