Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Irrungen, Wirkungen, Klärungen

Das Gepräge der Vorlage blieb aber nicht rein wirtschaftlich. Der Träger
der Krone trat öffentlich in der Dortmunder Rede mit dem ganzen Gewicht
seiner Persönlichkeit für die Vorlage ein. Diese Rede hatte keinem Minister
vorher vorgelegen. Das hätte nach dem Rezept des dentschfreisinnigen Scha-
blonenparlamentarismns natürlich zu einem großen Konflikt zwischen den
Ministern und ihrem königlichen Herrn führen müssen. In Preußen regiert
aber glücklicherweise die Schablone nicht, und die Minister traten für die Rede
des Königs mit ihrer Verantwortlichkeit ein. Sie konnten gar nicht anders
handeln. Denn sie selbst hatten dein Könige die Vorlage vor der Einbringung
warm empfohlen. Wenn der König sie kraft seiner persönlichen Machtvoll¬
kommenheit vor dein Lande mit der ihm eignen, impulsiver Wärme empfahl,
so mag das für den einen oder den andern Minister, z. B. für Herrn von Miquel,
der wohl von vornherein mit einiger Zurückhaltung und Kühle dem Kanal¬
bauprojekt zugestimmt haben mochte, nicht eben bequem gewesen sein. Wer
aber preußische Verhültuisse, wer den Kaiser und seine Art, mit seinen Ministern
zu Verkehren, wer die Traditionen des preußische" Staatsministeriums auch
nur einigermaßen kennt, der mußte sich von vornherein sagen, daß ein Rück¬
tritt der Minister um jener Dortmunder Kaiserrede willen völlig undenkbar
war. Die Minister haben vielmehr, was für sie selbstverständlich war, die
Dortmunder Rede als ein 5a.it acooiuM hingenommen, für das mit allen
seinen .Konsequenzen einzutreten sie sich auch nicht einen Augenblick besinnen
konnten.

Und doch war dadurch mit einem Schlage die gesamte Situation von
Grund aus verändert. Die an und für sich rein wirtschaftlich gedachte Kanal¬
vorlage war ein weithin leuchtendes politisches Fanat geworden. Wer gegen
sie stimmte und agitierte, stimmte und agitierte ausgesprochnermaßeu gegen den
nachdrücklich und öffentlich erklärten Willen des Kaisers. Eine ganz verzweifelt
schwierige Situation namentlich für die konservativen Parteien. Schon dem
unabhängigen konservativen Abgeordneten wird es nicht leicht, wenn seine poli¬
tische Überzeugung ihn nötigt, dem erklärten politischen Willen seines Landes¬
herrn negierend gegenüberzutreten. Indessen wer ein Abgeordnetenmandat an¬
nimmt, weiß im voraus, daß er in Lagen kommen kann, wo seine Überzeugung
und seine Pflicht als Abgeordneter ihm im ausweichlich gebieten, auch im
Konflikt mit dein Könige lediglich seinem sachlichen Gewissen zu folgen.
Tragisch wurde hier dieser Konflikt aber dadurch, daß eine große Menge kon¬
servativer und auf ihre Kanalgegnerschaft in der Fraktion schon festgelegter
Abgeordneten zugleich nicht bloß staatliche, sondern politische Beamte waren,
königliche Beamte, die in ihrem Hauptberufe politische Organe der Regierung
und als solche genötigt und verpflichtet waren, die politischen Maßnahmen des
Königs und seiner Regierung mit allen ihren Kräften auszuführen und dafür
einzutreten, Landräte und Regierungspräsidenten, deren unbedingter politischer
Gehorsam gegen die Negierung von der Landesgesetzgebung dergestalt voraus¬
gesetzt wird, daß sie der Negierung die Ermächtigung erteilt hat, sie ohne An-


Irrungen, Wirkungen, Klärungen

Das Gepräge der Vorlage blieb aber nicht rein wirtschaftlich. Der Träger
der Krone trat öffentlich in der Dortmunder Rede mit dem ganzen Gewicht
seiner Persönlichkeit für die Vorlage ein. Diese Rede hatte keinem Minister
vorher vorgelegen. Das hätte nach dem Rezept des dentschfreisinnigen Scha-
blonenparlamentarismns natürlich zu einem großen Konflikt zwischen den
Ministern und ihrem königlichen Herrn führen müssen. In Preußen regiert
aber glücklicherweise die Schablone nicht, und die Minister traten für die Rede
des Königs mit ihrer Verantwortlichkeit ein. Sie konnten gar nicht anders
handeln. Denn sie selbst hatten dein Könige die Vorlage vor der Einbringung
warm empfohlen. Wenn der König sie kraft seiner persönlichen Machtvoll¬
kommenheit vor dein Lande mit der ihm eignen, impulsiver Wärme empfahl,
so mag das für den einen oder den andern Minister, z. B. für Herrn von Miquel,
der wohl von vornherein mit einiger Zurückhaltung und Kühle dem Kanal¬
bauprojekt zugestimmt haben mochte, nicht eben bequem gewesen sein. Wer
aber preußische Verhültuisse, wer den Kaiser und seine Art, mit seinen Ministern
zu Verkehren, wer die Traditionen des preußische» Staatsministeriums auch
nur einigermaßen kennt, der mußte sich von vornherein sagen, daß ein Rück¬
tritt der Minister um jener Dortmunder Kaiserrede willen völlig undenkbar
war. Die Minister haben vielmehr, was für sie selbstverständlich war, die
Dortmunder Rede als ein 5a.it acooiuM hingenommen, für das mit allen
seinen .Konsequenzen einzutreten sie sich auch nicht einen Augenblick besinnen
konnten.

Und doch war dadurch mit einem Schlage die gesamte Situation von
Grund aus verändert. Die an und für sich rein wirtschaftlich gedachte Kanal¬
vorlage war ein weithin leuchtendes politisches Fanat geworden. Wer gegen
sie stimmte und agitierte, stimmte und agitierte ausgesprochnermaßeu gegen den
nachdrücklich und öffentlich erklärten Willen des Kaisers. Eine ganz verzweifelt
schwierige Situation namentlich für die konservativen Parteien. Schon dem
unabhängigen konservativen Abgeordneten wird es nicht leicht, wenn seine poli¬
tische Überzeugung ihn nötigt, dem erklärten politischen Willen seines Landes¬
herrn negierend gegenüberzutreten. Indessen wer ein Abgeordnetenmandat an¬
nimmt, weiß im voraus, daß er in Lagen kommen kann, wo seine Überzeugung
und seine Pflicht als Abgeordneter ihm im ausweichlich gebieten, auch im
Konflikt mit dein Könige lediglich seinem sachlichen Gewissen zu folgen.
Tragisch wurde hier dieser Konflikt aber dadurch, daß eine große Menge kon¬
servativer und auf ihre Kanalgegnerschaft in der Fraktion schon festgelegter
Abgeordneten zugleich nicht bloß staatliche, sondern politische Beamte waren,
königliche Beamte, die in ihrem Hauptberufe politische Organe der Regierung
und als solche genötigt und verpflichtet waren, die politischen Maßnahmen des
Königs und seiner Regierung mit allen ihren Kräften auszuführen und dafür
einzutreten, Landräte und Regierungspräsidenten, deren unbedingter politischer
Gehorsam gegen die Negierung von der Landesgesetzgebung dergestalt voraus¬
gesetzt wird, daß sie der Negierung die Ermächtigung erteilt hat, sie ohne An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0310" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234840"/>
          <fw type="header" place="top"> Irrungen, Wirkungen, Klärungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_916"> Das Gepräge der Vorlage blieb aber nicht rein wirtschaftlich. Der Träger<lb/>
der Krone trat öffentlich in der Dortmunder Rede mit dem ganzen Gewicht<lb/>
seiner Persönlichkeit für die Vorlage ein. Diese Rede hatte keinem Minister<lb/>
vorher vorgelegen. Das hätte nach dem Rezept des dentschfreisinnigen Scha-<lb/>
blonenparlamentarismns natürlich zu einem großen Konflikt zwischen den<lb/>
Ministern und ihrem königlichen Herrn führen müssen. In Preußen regiert<lb/>
aber glücklicherweise die Schablone nicht, und die Minister traten für die Rede<lb/>
des Königs mit ihrer Verantwortlichkeit ein. Sie konnten gar nicht anders<lb/>
handeln. Denn sie selbst hatten dein Könige die Vorlage vor der Einbringung<lb/>
warm empfohlen. Wenn der König sie kraft seiner persönlichen Machtvoll¬<lb/>
kommenheit vor dein Lande mit der ihm eignen, impulsiver Wärme empfahl,<lb/>
so mag das für den einen oder den andern Minister, z. B. für Herrn von Miquel,<lb/>
der wohl von vornherein mit einiger Zurückhaltung und Kühle dem Kanal¬<lb/>
bauprojekt zugestimmt haben mochte, nicht eben bequem gewesen sein. Wer<lb/>
aber preußische Verhültuisse, wer den Kaiser und seine Art, mit seinen Ministern<lb/>
zu Verkehren, wer die Traditionen des preußische» Staatsministeriums auch<lb/>
nur einigermaßen kennt, der mußte sich von vornherein sagen, daß ein Rück¬<lb/>
tritt der Minister um jener Dortmunder Kaiserrede willen völlig undenkbar<lb/>
war. Die Minister haben vielmehr, was für sie selbstverständlich war, die<lb/>
Dortmunder Rede als ein 5a.it acooiuM hingenommen, für das mit allen<lb/>
seinen .Konsequenzen einzutreten sie sich auch nicht einen Augenblick besinnen<lb/>
konnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_917" next="#ID_918"> Und doch war dadurch mit einem Schlage die gesamte Situation von<lb/>
Grund aus verändert. Die an und für sich rein wirtschaftlich gedachte Kanal¬<lb/>
vorlage war ein weithin leuchtendes politisches Fanat geworden. Wer gegen<lb/>
sie stimmte und agitierte, stimmte und agitierte ausgesprochnermaßeu gegen den<lb/>
nachdrücklich und öffentlich erklärten Willen des Kaisers. Eine ganz verzweifelt<lb/>
schwierige Situation namentlich für die konservativen Parteien. Schon dem<lb/>
unabhängigen konservativen Abgeordneten wird es nicht leicht, wenn seine poli¬<lb/>
tische Überzeugung ihn nötigt, dem erklärten politischen Willen seines Landes¬<lb/>
herrn negierend gegenüberzutreten. Indessen wer ein Abgeordnetenmandat an¬<lb/>
nimmt, weiß im voraus, daß er in Lagen kommen kann, wo seine Überzeugung<lb/>
und seine Pflicht als Abgeordneter ihm im ausweichlich gebieten, auch im<lb/>
Konflikt mit dein Könige lediglich seinem sachlichen Gewissen zu folgen.<lb/>
Tragisch wurde hier dieser Konflikt aber dadurch, daß eine große Menge kon¬<lb/>
servativer und auf ihre Kanalgegnerschaft in der Fraktion schon festgelegter<lb/>
Abgeordneten zugleich nicht bloß staatliche, sondern politische Beamte waren,<lb/>
königliche Beamte, die in ihrem Hauptberufe politische Organe der Regierung<lb/>
und als solche genötigt und verpflichtet waren, die politischen Maßnahmen des<lb/>
Königs und seiner Regierung mit allen ihren Kräften auszuführen und dafür<lb/>
einzutreten, Landräte und Regierungspräsidenten, deren unbedingter politischer<lb/>
Gehorsam gegen die Negierung von der Landesgesetzgebung dergestalt voraus¬<lb/>
gesetzt wird, daß sie der Negierung die Ermächtigung erteilt hat, sie ohne An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0310] Irrungen, Wirkungen, Klärungen Das Gepräge der Vorlage blieb aber nicht rein wirtschaftlich. Der Träger der Krone trat öffentlich in der Dortmunder Rede mit dem ganzen Gewicht seiner Persönlichkeit für die Vorlage ein. Diese Rede hatte keinem Minister vorher vorgelegen. Das hätte nach dem Rezept des dentschfreisinnigen Scha- blonenparlamentarismns natürlich zu einem großen Konflikt zwischen den Ministern und ihrem königlichen Herrn führen müssen. In Preußen regiert aber glücklicherweise die Schablone nicht, und die Minister traten für die Rede des Königs mit ihrer Verantwortlichkeit ein. Sie konnten gar nicht anders handeln. Denn sie selbst hatten dein Könige die Vorlage vor der Einbringung warm empfohlen. Wenn der König sie kraft seiner persönlichen Machtvoll¬ kommenheit vor dein Lande mit der ihm eignen, impulsiver Wärme empfahl, so mag das für den einen oder den andern Minister, z. B. für Herrn von Miquel, der wohl von vornherein mit einiger Zurückhaltung und Kühle dem Kanal¬ bauprojekt zugestimmt haben mochte, nicht eben bequem gewesen sein. Wer aber preußische Verhültuisse, wer den Kaiser und seine Art, mit seinen Ministern zu Verkehren, wer die Traditionen des preußische» Staatsministeriums auch nur einigermaßen kennt, der mußte sich von vornherein sagen, daß ein Rück¬ tritt der Minister um jener Dortmunder Kaiserrede willen völlig undenkbar war. Die Minister haben vielmehr, was für sie selbstverständlich war, die Dortmunder Rede als ein 5a.it acooiuM hingenommen, für das mit allen seinen .Konsequenzen einzutreten sie sich auch nicht einen Augenblick besinnen konnten. Und doch war dadurch mit einem Schlage die gesamte Situation von Grund aus verändert. Die an und für sich rein wirtschaftlich gedachte Kanal¬ vorlage war ein weithin leuchtendes politisches Fanat geworden. Wer gegen sie stimmte und agitierte, stimmte und agitierte ausgesprochnermaßeu gegen den nachdrücklich und öffentlich erklärten Willen des Kaisers. Eine ganz verzweifelt schwierige Situation namentlich für die konservativen Parteien. Schon dem unabhängigen konservativen Abgeordneten wird es nicht leicht, wenn seine poli¬ tische Überzeugung ihn nötigt, dem erklärten politischen Willen seines Landes¬ herrn negierend gegenüberzutreten. Indessen wer ein Abgeordnetenmandat an¬ nimmt, weiß im voraus, daß er in Lagen kommen kann, wo seine Überzeugung und seine Pflicht als Abgeordneter ihm im ausweichlich gebieten, auch im Konflikt mit dein Könige lediglich seinem sachlichen Gewissen zu folgen. Tragisch wurde hier dieser Konflikt aber dadurch, daß eine große Menge kon¬ servativer und auf ihre Kanalgegnerschaft in der Fraktion schon festgelegter Abgeordneten zugleich nicht bloß staatliche, sondern politische Beamte waren, königliche Beamte, die in ihrem Hauptberufe politische Organe der Regierung und als solche genötigt und verpflichtet waren, die politischen Maßnahmen des Königs und seiner Regierung mit allen ihren Kräften auszuführen und dafür einzutreten, Landräte und Regierungspräsidenten, deren unbedingter politischer Gehorsam gegen die Negierung von der Landesgesetzgebung dergestalt voraus¬ gesetzt wird, daß sie der Negierung die Ermächtigung erteilt hat, sie ohne An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/310
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/310>, abgerufen am 22.07.2024.