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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Nur sehr starke, auf fester religiös-sittlicher Grundlage stehende Menschen, die
in sich etwas von göttlicher Berufung fühlen, können solche Zweifel hegen,
ohne in Verzweiflung zu verfalle",

Empfindungen solcher Art müssen durch die Masse von Feindseligkeit ver¬
stärkt werden, die jeder große Mann gegen sich aufregt. Um des Ganzen
mulier muß er unzählige persönliche Interessen verletze", die an sich berechtigt
sind, festgewurzelten, liebgewvrdnen Gewohnheiten und Anschauungen entgegen¬
treten. Abneigung und Haß der Betroffnen sind die Folge, um so mehr, je
weniger verständlich seine Ziele zunächst sind, oder je weniger ihre Berechtigung
allgemein anerkannt wird. Es ist die natürliche Reaktion. Einen großen
Fürsten pflegt sie weniger zu treffen, schon weil das, was in seinem Namen
geschieht, als nicht unmittelbar von ihm herrührend betrachtet werden kaun;
"in so mehr trifft sie andre. Ein Herrscher freilich wie Napoleon >. hat unter
den von ihm besiegten Völkern einen furchtbaren Haß ganz persönlich gegen
sich erregt, mit Recht, weil er in der That seine Politik ganz persönlich machte;
aber die leidenschaftliche Feindseligkeit, die in Preußen und Dentschland die Politik
Wilhelms I. im Anfange der sechziger Jahre hervorrief, hat direkt Nieniger ihn,
als Bismarck getroffen, wieder mit Recht. Denn die Seele dieser Politik, die
mit alle" Empfindungen seines Volks im schroffsten Widerspruche stand, war
er und nicht sein König, Den Haß, der ihn damals verfolgte und bis zu
meuchelmörderischen Anschläge" führte, hat er später, als die Mehrheit der
Nation ihn begriffen hatte und bewunderte, durch den Kulturkampf und das
Sozialistengesetz in weite" Volkskreisen aufs neue erregt, und dieser hat sich
"och heute nicht ganz beruhigt, obwohl von der Maigesetzgebung nicht mehr
viel und vom Sozialistengesetz gar nichts mehr übrig ist. Ja, der gewaltigste
Staatsmann des Jahrhunderts hat im Reichstage überhaupt niemals eine sichere
Mehrheit zusammenbringen können!

Freilich kommt dabei auch noch etwas andres in Betracht, das ist der
gemeine Neid gegen alles Große, der nirgends widerwärtiger und niederträch¬
tiger ist als in demokratischen Zeiten. Deun die Demokratie beruht auf der
Fiktion, daß alle Staatsbürger einander gleich seien; sie kann also Männer,
die dieser willkürliche" Voraussetzung widersprechen, grundsätzlich nicht dulden.
Die oft erzählte Geschichte, daß in Athen ein einfacher Bürger seine Stimme
für die Verbannung des ihm persönlich ganz unbekannte!? Aristides abgiebt,
nur deshalb, weil er sich darüber ärgert, daß der Mann allgemein der Ge¬
rechte heißt, ist dafür typisch. Schade, daß uns die Geschichte den Namen
dieses Biedermanns nicht aufbewahrt hat; er würde für demokratische Neider
großer Männer ebenso typisch sein, wie Klevn für demokratische Maulhelden,
Ephialtes für Landesverräter, Noch viel schimpflicher war es, daß die Athener
deu Themistokles, den Sieger von Salamis, später nicht nur stürzten, sondern
schließlich als Landesverräter verfolgten, weil die Demokratie seine Größe nicht
ertrug. Und wie verstanden später seine Gegner deu großen Perikles, mit dem,
wie man schon damals gennn wußte, die Größe Athens stand und fiel, ins
Herz zu treffen, als sie die Anklage wegen Gottlosigkeit gegen seine geistvolle


Nur sehr starke, auf fester religiös-sittlicher Grundlage stehende Menschen, die
in sich etwas von göttlicher Berufung fühlen, können solche Zweifel hegen,
ohne in Verzweiflung zu verfalle»,

Empfindungen solcher Art müssen durch die Masse von Feindseligkeit ver¬
stärkt werden, die jeder große Mann gegen sich aufregt. Um des Ganzen
mulier muß er unzählige persönliche Interessen verletze«, die an sich berechtigt
sind, festgewurzelten, liebgewvrdnen Gewohnheiten und Anschauungen entgegen¬
treten. Abneigung und Haß der Betroffnen sind die Folge, um so mehr, je
weniger verständlich seine Ziele zunächst sind, oder je weniger ihre Berechtigung
allgemein anerkannt wird. Es ist die natürliche Reaktion. Einen großen
Fürsten pflegt sie weniger zu treffen, schon weil das, was in seinem Namen
geschieht, als nicht unmittelbar von ihm herrührend betrachtet werden kaun;
»in so mehr trifft sie andre. Ein Herrscher freilich wie Napoleon >. hat unter
den von ihm besiegten Völkern einen furchtbaren Haß ganz persönlich gegen
sich erregt, mit Recht, weil er in der That seine Politik ganz persönlich machte;
aber die leidenschaftliche Feindseligkeit, die in Preußen und Dentschland die Politik
Wilhelms I. im Anfange der sechziger Jahre hervorrief, hat direkt Nieniger ihn,
als Bismarck getroffen, wieder mit Recht. Denn die Seele dieser Politik, die
mit alle» Empfindungen seines Volks im schroffsten Widerspruche stand, war
er und nicht sein König, Den Haß, der ihn damals verfolgte und bis zu
meuchelmörderischen Anschläge» führte, hat er später, als die Mehrheit der
Nation ihn begriffen hatte und bewunderte, durch den Kulturkampf und das
Sozialistengesetz in weite» Volkskreisen aufs neue erregt, und dieser hat sich
»och heute nicht ganz beruhigt, obwohl von der Maigesetzgebung nicht mehr
viel und vom Sozialistengesetz gar nichts mehr übrig ist. Ja, der gewaltigste
Staatsmann des Jahrhunderts hat im Reichstage überhaupt niemals eine sichere
Mehrheit zusammenbringen können!

Freilich kommt dabei auch noch etwas andres in Betracht, das ist der
gemeine Neid gegen alles Große, der nirgends widerwärtiger und niederträch¬
tiger ist als in demokratischen Zeiten. Deun die Demokratie beruht auf der
Fiktion, daß alle Staatsbürger einander gleich seien; sie kann also Männer,
die dieser willkürliche» Voraussetzung widersprechen, grundsätzlich nicht dulden.
Die oft erzählte Geschichte, daß in Athen ein einfacher Bürger seine Stimme
für die Verbannung des ihm persönlich ganz unbekannte!? Aristides abgiebt,
nur deshalb, weil er sich darüber ärgert, daß der Mann allgemein der Ge¬
rechte heißt, ist dafür typisch. Schade, daß uns die Geschichte den Namen
dieses Biedermanns nicht aufbewahrt hat; er würde für demokratische Neider
großer Männer ebenso typisch sein, wie Klevn für demokratische Maulhelden,
Ephialtes für Landesverräter, Noch viel schimpflicher war es, daß die Athener
deu Themistokles, den Sieger von Salamis, später nicht nur stürzten, sondern
schließlich als Landesverräter verfolgten, weil die Demokratie seine Größe nicht
ertrug. Und wie verstanden später seine Gegner deu großen Perikles, mit dem,
wie man schon damals gennn wußte, die Größe Athens stand und fiel, ins
Herz zu treffen, als sie die Anklage wegen Gottlosigkeit gegen seine geistvolle


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[0300] Nur sehr starke, auf fester religiös-sittlicher Grundlage stehende Menschen, die in sich etwas von göttlicher Berufung fühlen, können solche Zweifel hegen, ohne in Verzweiflung zu verfalle», Empfindungen solcher Art müssen durch die Masse von Feindseligkeit ver¬ stärkt werden, die jeder große Mann gegen sich aufregt. Um des Ganzen mulier muß er unzählige persönliche Interessen verletze«, die an sich berechtigt sind, festgewurzelten, liebgewvrdnen Gewohnheiten und Anschauungen entgegen¬ treten. Abneigung und Haß der Betroffnen sind die Folge, um so mehr, je weniger verständlich seine Ziele zunächst sind, oder je weniger ihre Berechtigung allgemein anerkannt wird. Es ist die natürliche Reaktion. Einen großen Fürsten pflegt sie weniger zu treffen, schon weil das, was in seinem Namen geschieht, als nicht unmittelbar von ihm herrührend betrachtet werden kaun; »in so mehr trifft sie andre. Ein Herrscher freilich wie Napoleon >. hat unter den von ihm besiegten Völkern einen furchtbaren Haß ganz persönlich gegen sich erregt, mit Recht, weil er in der That seine Politik ganz persönlich machte; aber die leidenschaftliche Feindseligkeit, die in Preußen und Dentschland die Politik Wilhelms I. im Anfange der sechziger Jahre hervorrief, hat direkt Nieniger ihn, als Bismarck getroffen, wieder mit Recht. Denn die Seele dieser Politik, die mit alle» Empfindungen seines Volks im schroffsten Widerspruche stand, war er und nicht sein König, Den Haß, der ihn damals verfolgte und bis zu meuchelmörderischen Anschläge» führte, hat er später, als die Mehrheit der Nation ihn begriffen hatte und bewunderte, durch den Kulturkampf und das Sozialistengesetz in weite» Volkskreisen aufs neue erregt, und dieser hat sich »och heute nicht ganz beruhigt, obwohl von der Maigesetzgebung nicht mehr viel und vom Sozialistengesetz gar nichts mehr übrig ist. Ja, der gewaltigste Staatsmann des Jahrhunderts hat im Reichstage überhaupt niemals eine sichere Mehrheit zusammenbringen können! Freilich kommt dabei auch noch etwas andres in Betracht, das ist der gemeine Neid gegen alles Große, der nirgends widerwärtiger und niederträch¬ tiger ist als in demokratischen Zeiten. Deun die Demokratie beruht auf der Fiktion, daß alle Staatsbürger einander gleich seien; sie kann also Männer, die dieser willkürliche» Voraussetzung widersprechen, grundsätzlich nicht dulden. Die oft erzählte Geschichte, daß in Athen ein einfacher Bürger seine Stimme für die Verbannung des ihm persönlich ganz unbekannte!? Aristides abgiebt, nur deshalb, weil er sich darüber ärgert, daß der Mann allgemein der Ge¬ rechte heißt, ist dafür typisch. Schade, daß uns die Geschichte den Namen dieses Biedermanns nicht aufbewahrt hat; er würde für demokratische Neider großer Männer ebenso typisch sein, wie Klevn für demokratische Maulhelden, Ephialtes für Landesverräter, Noch viel schimpflicher war es, daß die Athener deu Themistokles, den Sieger von Salamis, später nicht nur stürzten, sondern schließlich als Landesverräter verfolgten, weil die Demokratie seine Größe nicht ertrug. Und wie verstanden später seine Gegner deu großen Perikles, mit dem, wie man schon damals gennn wußte, die Größe Athens stand und fiel, ins Herz zu treffen, als sie die Anklage wegen Gottlosigkeit gegen seine geistvolle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/300>, abgerufen am 22.07.2024.