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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Fluch der Gros^>

am Kleinen, Einzelnen, Gewohnten haften, n>cum ihre beschränkte Sehkraft nur
über ein enges Gesichtsfeld hin reicht, so überschaut der große Mann weite
Fernen und innere Zusammenhange, von denen der Durchschnittsmensch nichts
ahnt, Damm sind diesem seine Handlungen oft ganz unverständlich, und die
Kritik, die er an ihnen zu üben versucht, fällt deshalb oft so kindisch unreif
aus, Auf der andern Seite wird deshalb die niedrige Schätzung der Menschen,
ja die Menschenverachtung eine ganz natürliche Empfindung, nicht nur bei
Feldherren, wo die Geringschätzung des Einzellebens einem großen Zwecke
gegenüber in der Nntur der Sache liegt keiner ist darin weiter gegangen
als Napoleon 1, --, sondern auch bei Staatsmännern , die immer das Ganze
im Auge haben müssen. Beiden werden die Menschen deshalb nur Werkzeuge,
Schachfiguren, die sie hin- lind herschieben oder beiseite werfen, ohne viel nach
ihren Empfindungen und Sonderinteressen zu fragen. Bei Friedrich dem Großen
war das namentlich in der zweiten Hälfte seiner Negierung ein besonders aus¬
geprägter Zug, und Bismarck hat nicht anders gehandelt; was ihm in den
Weg kam, das schob er beiseite oder zertrat er. Noch in seinen "Gedanken
und Erinnerungen" klingt das nach in den herben, oft geradezu schonungsloser
Urteilen, die er über fast sämtliche Persönlichkeiten seiner Umgebung fällt, und
die alles andre sind als historische Wahrheiten; denn die relative, wenigstens
subjektive Berechtigung eines abweichenden Standpunkts kommt ihm gar nicht
in den Sinn, eben weil er immer als handelnder Staatsmann schreibt, nicht
als Historiker, Darum ist ihm das Gefühl innerer Vereinsamung, trotz des
innigen Verhältnisses zu Frau und Kindern und trotz des regen lebendigen
Verkehrs, worin er fast bis zuletzt gestanden hat, schwerlich erspart geblieben,
so wenig wie Friedrich dem Großen, Wird ihm doch die Äußerung einem
hohen Beamten gegenüber zugeschrieben! "Haben Sie noch das Bedürfnis,
Ihre Mitarbeiter zu achten? Ich nicht," Welch herbe Menschenverachtung,
welches Gefühl unendlicher Überlegenheit spricht aus diesen schrecklichen Worten!
Friedrich der Große vereinsamte viel früher, da er kein Familienleben führte.
Den Ersatz, den er während der ersten Jahre im Umgang mit vertrauten
Freunden fand, verdarb er sich selbst immer wieder sehr bald, weil keiner ihm
geistig gewachsen war, und also keiner ihm ans die Dauer genügte. So wurde
^ frühzeitig ein einsanier harter Mann, viel bewundert, aber wenig geliebt,
und bei seinem Tode atmeten gerade die erleichtert ans, die am meisten mit
ihm zu thun gehabt hatten. Dieses Gefühl, doch schließlich für Menschen zu
arbeiten, die tief nnter ihnen stehn, flößt großen Männern anch oft genug,
wenn auch vorübergehend, sogar Zweifel an der innern Berechtigung ihres
Wirkens ein. In seinen spätern Jahren hat sich sogar Martin Luther zu¬
weilen mit solche" Gedanke" gequält, wenn er überschaute, was aus der von
ihm entfesselten ungeheuern Bewegung hervorgegangen war, wie viel Unheil
sich neben so vielem Großen um seine Fersen geheftet hatte; und Bismarck hat
"i trüben Stunden darüber geseufzt, daß er drei große Kriege veranlaßt und
dadurch wohl viele Menschen unglücklich, aber wenige glücklich gemacht habe.


Fluch der Gros^>

am Kleinen, Einzelnen, Gewohnten haften, n>cum ihre beschränkte Sehkraft nur
über ein enges Gesichtsfeld hin reicht, so überschaut der große Mann weite
Fernen und innere Zusammenhange, von denen der Durchschnittsmensch nichts
ahnt, Damm sind diesem seine Handlungen oft ganz unverständlich, und die
Kritik, die er an ihnen zu üben versucht, fällt deshalb oft so kindisch unreif
aus, Auf der andern Seite wird deshalb die niedrige Schätzung der Menschen,
ja die Menschenverachtung eine ganz natürliche Empfindung, nicht nur bei
Feldherren, wo die Geringschätzung des Einzellebens einem großen Zwecke
gegenüber in der Nntur der Sache liegt keiner ist darin weiter gegangen
als Napoleon 1, —, sondern auch bei Staatsmännern , die immer das Ganze
im Auge haben müssen. Beiden werden die Menschen deshalb nur Werkzeuge,
Schachfiguren, die sie hin- lind herschieben oder beiseite werfen, ohne viel nach
ihren Empfindungen und Sonderinteressen zu fragen. Bei Friedrich dem Großen
war das namentlich in der zweiten Hälfte seiner Negierung ein besonders aus¬
geprägter Zug, und Bismarck hat nicht anders gehandelt; was ihm in den
Weg kam, das schob er beiseite oder zertrat er. Noch in seinen „Gedanken
und Erinnerungen" klingt das nach in den herben, oft geradezu schonungsloser
Urteilen, die er über fast sämtliche Persönlichkeiten seiner Umgebung fällt, und
die alles andre sind als historische Wahrheiten; denn die relative, wenigstens
subjektive Berechtigung eines abweichenden Standpunkts kommt ihm gar nicht
in den Sinn, eben weil er immer als handelnder Staatsmann schreibt, nicht
als Historiker, Darum ist ihm das Gefühl innerer Vereinsamung, trotz des
innigen Verhältnisses zu Frau und Kindern und trotz des regen lebendigen
Verkehrs, worin er fast bis zuletzt gestanden hat, schwerlich erspart geblieben,
so wenig wie Friedrich dem Großen, Wird ihm doch die Äußerung einem
hohen Beamten gegenüber zugeschrieben! „Haben Sie noch das Bedürfnis,
Ihre Mitarbeiter zu achten? Ich nicht," Welch herbe Menschenverachtung,
welches Gefühl unendlicher Überlegenheit spricht aus diesen schrecklichen Worten!
Friedrich der Große vereinsamte viel früher, da er kein Familienleben führte.
Den Ersatz, den er während der ersten Jahre im Umgang mit vertrauten
Freunden fand, verdarb er sich selbst immer wieder sehr bald, weil keiner ihm
geistig gewachsen war, und also keiner ihm ans die Dauer genügte. So wurde
^ frühzeitig ein einsanier harter Mann, viel bewundert, aber wenig geliebt,
und bei seinem Tode atmeten gerade die erleichtert ans, die am meisten mit
ihm zu thun gehabt hatten. Dieses Gefühl, doch schließlich für Menschen zu
arbeiten, die tief nnter ihnen stehn, flößt großen Männern anch oft genug,
wenn auch vorübergehend, sogar Zweifel an der innern Berechtigung ihres
Wirkens ein. In seinen spätern Jahren hat sich sogar Martin Luther zu¬
weilen mit solche» Gedanke» gequält, wenn er überschaute, was aus der von
ihm entfesselten ungeheuern Bewegung hervorgegangen war, wie viel Unheil
sich neben so vielem Großen um seine Fersen geheftet hatte; und Bismarck hat
"i trüben Stunden darüber geseufzt, daß er drei große Kriege veranlaßt und
dadurch wohl viele Menschen unglücklich, aber wenige glücklich gemacht habe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/299>, abgerufen am 03.07.2024.