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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Der Fluch der Größe

zwischen der Gottheit und dein Menschen keine so unüberbrückbare .Kluft be¬
festigte wie dus Christentum. Wenn heute der Typus wieder aufgetaucht ist,
so ist das rein theoretisch; unsre nervös gewordne Männerwelt hat nicht das
Zeug dazu, ihn zu verwirklichen. In die Reihe der antiken Übermenschen ge¬
hört Alkibiades von Athen, der abwechselnd Hochverräter und Retter seines
Baterlandes ist, heute zum Tode verurteilt, morgen jubelnd begrüßt wird, ge¬
hört aber mich Alexander der Große, seitdem er sich als Sohn eines orien¬
talischen Gottes proklamierte und damit die Vergöttlichung der Herrscher ein-
leitete, die im Knechtssinn der Völker ihre Ergänzung fand, gehört endlich
Cäsar, der sie auf das Abendland übertrug und schließlich doch daran zu Grunde
ging, daß er mit der Aufrichtung seiner thatsächlichen Alleinherrschaft zwar
das politisch Notwendige that, aber in dein Gefühl einer ungeheuern Über¬
legenheit mit den Einrichtungen und Anschauungen seines Volks allzu schroff
brach, sodaß nicht er der Gründer des Kaisertums wurde, sondern sein ma߬
vollerer Adoptivsohn und Nachfolger Augustus, Das Christentum steigerte
das Gefühl der sittliche" Verantwortlichkeit und drängte damit die alte L/?^
zurück. Wohl lebte seitdem in den Herrschern das Bewußtsein, von Gottes
Gnaden zu sein, keine irdische Gewalt über sich zu haben und also auch keiner
verantwortlich zu sein; aber gerade diese Empfindung schärfte das Verant¬
wortlichkeitsgefühl, lind in den bedeutendsten Fürsten des Mittelalters, wie es
.Karl der Große und Otto der Große waren, um meisten. Wenn sie Unge¬
wöhnliches und vielleicht Unerreichbares wollten, die politische Zusammenfassung
der westeuropäischen Kulturvölker, so floß dieser großartige Gedanke nicht aus
der Selbstüberhebung, der -i!/?^, sondern ans einem hohen Ideal. Vollends
die großen Hohenzoller" haben dieses Vera"twortlichkeitsbeUnißtsei" im höchsten
Maße empfunden; Friedrich II.. der auf sein ererbtes Königsrecht so stolz war
wie irgend einer, betrachtete sich doch als den ersten Diener seines Staats und
hat danach bis zu seinem letzten Augenblick gehandelt. Dagegen zeigt Na¬
poleon I. in der Maßlosigkeit seiner größten Pläne etwas von antiker
ganz natürlich, weil er el" Usurpator war, der alles seiner eignen Kraft ver¬
dankte und mit dem Volke, das er beherrschte, als ein Stammfremder gar keine
innern Beziehungen hatte, darum auch die sittlichen Schranken und Pflichte"
"icht kannte, die eine ererbte Gewalt und der Zusammenhang mit dem eignen
Volke dem Herrscher ziehen. Sogar Ludwig XI V. hat trotz aller Neigung zur
Selbstvergötterung niemals so durchaus unfranzösische, persönliche Politik ge¬
trieben wie Napoleon I., weil er eben ein Vourbon und ein Franzose war.

Aber wenn der Fluch der ,"/?^ "ur "och selten an einem großen modernen
Lebe" haftet, so ist ein andrer fast unvermeidlich und zu allen Zeiten mit
menschlicher Größe verbunden gewesen, die innere Einsamkeit, dus Gefühl der
Vereinsamung. Jeder große Mann hat etwas Dämonisches an sich, etwas,
was über das allgemein Menschliche hinausgeht und darum von den Menschen
"icht verstände", nicht empfunden wird. Stehn sie ihm in ihrer Empfindungs-
weise fern, so bleibt auch er ihnen in der seinen fremd. Wen" die Mensche"


Der Fluch der Größe

zwischen der Gottheit und dein Menschen keine so unüberbrückbare .Kluft be¬
festigte wie dus Christentum. Wenn heute der Typus wieder aufgetaucht ist,
so ist das rein theoretisch; unsre nervös gewordne Männerwelt hat nicht das
Zeug dazu, ihn zu verwirklichen. In die Reihe der antiken Übermenschen ge¬
hört Alkibiades von Athen, der abwechselnd Hochverräter und Retter seines
Baterlandes ist, heute zum Tode verurteilt, morgen jubelnd begrüßt wird, ge¬
hört aber mich Alexander der Große, seitdem er sich als Sohn eines orien¬
talischen Gottes proklamierte und damit die Vergöttlichung der Herrscher ein-
leitete, die im Knechtssinn der Völker ihre Ergänzung fand, gehört endlich
Cäsar, der sie auf das Abendland übertrug und schließlich doch daran zu Grunde
ging, daß er mit der Aufrichtung seiner thatsächlichen Alleinherrschaft zwar
das politisch Notwendige that, aber in dein Gefühl einer ungeheuern Über¬
legenheit mit den Einrichtungen und Anschauungen seines Volks allzu schroff
brach, sodaß nicht er der Gründer des Kaisertums wurde, sondern sein ma߬
vollerer Adoptivsohn und Nachfolger Augustus, Das Christentum steigerte
das Gefühl der sittliche» Verantwortlichkeit und drängte damit die alte L/?^
zurück. Wohl lebte seitdem in den Herrschern das Bewußtsein, von Gottes
Gnaden zu sein, keine irdische Gewalt über sich zu haben und also auch keiner
verantwortlich zu sein; aber gerade diese Empfindung schärfte das Verant¬
wortlichkeitsgefühl, lind in den bedeutendsten Fürsten des Mittelalters, wie es
.Karl der Große und Otto der Große waren, um meisten. Wenn sie Unge¬
wöhnliches und vielleicht Unerreichbares wollten, die politische Zusammenfassung
der westeuropäischen Kulturvölker, so floß dieser großartige Gedanke nicht aus
der Selbstüberhebung, der -i!/?^, sondern ans einem hohen Ideal. Vollends
die großen Hohenzoller» haben dieses Vera»twortlichkeitsbeUnißtsei» im höchsten
Maße empfunden; Friedrich II.. der auf sein ererbtes Königsrecht so stolz war
wie irgend einer, betrachtete sich doch als den ersten Diener seines Staats und
hat danach bis zu seinem letzten Augenblick gehandelt. Dagegen zeigt Na¬
poleon I. in der Maßlosigkeit seiner größten Pläne etwas von antiker
ganz natürlich, weil er el» Usurpator war, der alles seiner eignen Kraft ver¬
dankte und mit dem Volke, das er beherrschte, als ein Stammfremder gar keine
innern Beziehungen hatte, darum auch die sittlichen Schranken und Pflichte»
»icht kannte, die eine ererbte Gewalt und der Zusammenhang mit dem eignen
Volke dem Herrscher ziehen. Sogar Ludwig XI V. hat trotz aller Neigung zur
Selbstvergötterung niemals so durchaus unfranzösische, persönliche Politik ge¬
trieben wie Napoleon I., weil er eben ein Vourbon und ein Franzose war.

Aber wenn der Fluch der ,"/?^ »ur »och selten an einem großen modernen
Lebe» haftet, so ist ein andrer fast unvermeidlich und zu allen Zeiten mit
menschlicher Größe verbunden gewesen, die innere Einsamkeit, dus Gefühl der
Vereinsamung. Jeder große Mann hat etwas Dämonisches an sich, etwas,
was über das allgemein Menschliche hinausgeht und darum von den Menschen
»icht verstände», nicht empfunden wird. Stehn sie ihm in ihrer Empfindungs-
weise fern, so bleibt auch er ihnen in der seinen fremd. Wen» die Mensche»


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[0298] Der Fluch der Größe zwischen der Gottheit und dein Menschen keine so unüberbrückbare .Kluft be¬ festigte wie dus Christentum. Wenn heute der Typus wieder aufgetaucht ist, so ist das rein theoretisch; unsre nervös gewordne Männerwelt hat nicht das Zeug dazu, ihn zu verwirklichen. In die Reihe der antiken Übermenschen ge¬ hört Alkibiades von Athen, der abwechselnd Hochverräter und Retter seines Baterlandes ist, heute zum Tode verurteilt, morgen jubelnd begrüßt wird, ge¬ hört aber mich Alexander der Große, seitdem er sich als Sohn eines orien¬ talischen Gottes proklamierte und damit die Vergöttlichung der Herrscher ein- leitete, die im Knechtssinn der Völker ihre Ergänzung fand, gehört endlich Cäsar, der sie auf das Abendland übertrug und schließlich doch daran zu Grunde ging, daß er mit der Aufrichtung seiner thatsächlichen Alleinherrschaft zwar das politisch Notwendige that, aber in dein Gefühl einer ungeheuern Über¬ legenheit mit den Einrichtungen und Anschauungen seines Volks allzu schroff brach, sodaß nicht er der Gründer des Kaisertums wurde, sondern sein ma߬ vollerer Adoptivsohn und Nachfolger Augustus, Das Christentum steigerte das Gefühl der sittliche» Verantwortlichkeit und drängte damit die alte L/?^ zurück. Wohl lebte seitdem in den Herrschern das Bewußtsein, von Gottes Gnaden zu sein, keine irdische Gewalt über sich zu haben und also auch keiner verantwortlich zu sein; aber gerade diese Empfindung schärfte das Verant¬ wortlichkeitsgefühl, lind in den bedeutendsten Fürsten des Mittelalters, wie es .Karl der Große und Otto der Große waren, um meisten. Wenn sie Unge¬ wöhnliches und vielleicht Unerreichbares wollten, die politische Zusammenfassung der westeuropäischen Kulturvölker, so floß dieser großartige Gedanke nicht aus der Selbstüberhebung, der -i!/?^, sondern ans einem hohen Ideal. Vollends die großen Hohenzoller» haben dieses Vera»twortlichkeitsbeUnißtsei» im höchsten Maße empfunden; Friedrich II.. der auf sein ererbtes Königsrecht so stolz war wie irgend einer, betrachtete sich doch als den ersten Diener seines Staats und hat danach bis zu seinem letzten Augenblick gehandelt. Dagegen zeigt Na¬ poleon I. in der Maßlosigkeit seiner größten Pläne etwas von antiker ganz natürlich, weil er el» Usurpator war, der alles seiner eignen Kraft ver¬ dankte und mit dem Volke, das er beherrschte, als ein Stammfremder gar keine innern Beziehungen hatte, darum auch die sittlichen Schranken und Pflichte» »icht kannte, die eine ererbte Gewalt und der Zusammenhang mit dem eignen Volke dem Herrscher ziehen. Sogar Ludwig XI V. hat trotz aller Neigung zur Selbstvergötterung niemals so durchaus unfranzösische, persönliche Politik ge¬ trieben wie Napoleon I., weil er eben ein Vourbon und ein Franzose war. Aber wenn der Fluch der ,"/?^ »ur »och selten an einem großen modernen Lebe» haftet, so ist ein andrer fast unvermeidlich und zu allen Zeiten mit menschlicher Größe verbunden gewesen, die innere Einsamkeit, dus Gefühl der Vereinsamung. Jeder große Mann hat etwas Dämonisches an sich, etwas, was über das allgemein Menschliche hinausgeht und darum von den Menschen »icht verstände», nicht empfunden wird. Stehn sie ihm in ihrer Empfindungs- weise fern, so bleibt auch er ihnen in der seinen fremd. Wen» die Mensche»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/298>, abgerufen am 01.07.2024.