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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Kiplings Talent kann Tommy nur noch roher machen, als er von der athle¬
tischen Natur wie von der sportsmäßigen Boxererziehung her schon ist, ob er
nun in England als Soldat mißachtet oder in Indien gefürchtet ist.

Dieses Gladiatorentum preist Kipling in Tommy Aelius dem Soldaten
und ebenso in dem Minister, der Tommy in die Welt schickt, um zu nehmen,
was Altengland zu haben wünscht. Das staatliche Glndintorentum, eine der
neusten Blttteu der englischen Kultur! Wer die stärksten Knochen und die
festesten Muskeln hat, das ist der künftige Nationalheld für Kipling, gerade
wie zu den guten Zeiten, da Tor noch die Thursen bekämpfte. Und wer das
stärkste Heer oder die größte Flotte hat, das ist der Staat, der sich über alle
andern, much alle Moral und alles Recht hinwegsetzen soll, das folgt auch aus
Kiplings Poesie. Wie schade, daß Kipling nicht zu der Zeit Ättilas oder
Dschingis Khans gelebt hat! Und wie schade, daß uns der Kipling des
Dschungels und mancher kernigen Lieder verhunzt wird durch Kipling, dessen
"Licht erlosch." Oder wird er für den Geschmack des deutschen Lesers etwa
nicht verhunzt? Das wäre betrübend, denn es wäre ein Zeichen dafür, daß
unser deutscher Gaumen schon von dem norwegischen, gallischen und auch
deutscheu Pfeffer der letzten Jahrzehnte arg abgestumpft ist.

Man ist heute in ganz Deutschland bei einer etwas erbitterten Stimmung
gegen die Engländer angelangt. Es ist eine berechtigte, sittliche Erbitterung,
die hervorgerufen ist durch einen ungerechten Krieg. Aber wenn wir zugleich
mit Behagen auf unsern Bühnen Dichtungen zuschauen und zuhören von dem
Geiste wie Kiplings "Das Licht, das erlosch" oder Tolstois Kreuzersonate, so
zeugt das denn doch, so verschieden diese beiden Dichtungen anch sind, von
einer Geschmacksrichtung, die geradeswegs zu der sittlichen Abstumpfung führen
muß, deren Folgen wir bei den Engländern eben so empörend finden. Ich
will nicht von der Staatsmoral reden, obwohl man sie nicht so eifrig, wie es
geschieht, von der Volksmoral trennen und damit zuletzt zu einer, ich weiß
nicht worin begründeten Unmoral stempeln sollte. Aber wenn aus dieser Em¬
pörung gegen die heutige Gewaltmoral der Engländer eine gesunde Regung
unsers deutschen Gewissens spricht, so ist das um so erfreulicher, als Nur,
wenn ich nicht irre, ans dem besten Wege waren, den Engländern auch auf
diesen Pfaden zu folgen. Hütten Kipling und Chamberlain es nicht so gar
grob getrieben, sie hätten vielleicht auch für uns noch Helden statt Gladiatoren
werden können. Mit Ibsen, Hauptmann und Sudermann als Lehrern der
Moral, mit Nietzsche als Erzieher des Geistes kann mau weit kommen.

Es ist bemerkenswert, daß gerade jetzt Tolstois Drama "Die Macht der
Finsternis" über unsre Bühnen zieht, ein Stück, das durchaus in dem modernen
uaturnlistischeu Geiste geschrieben ist, und das dennoch in einem Gegensatz zu
den Kiplings und Nietzsches steht, wie er größer nicht sein kann. Ein Gegen¬
satz, der sich noch verschärft, wenn man die seit dem ersten Erscheinen dieses
Dramas von Tolstoi verfaßten Schriften hinzunimmt und den ganzen Dichter,
wie er heute ist, ins Auge faßt. Dort, bei dem Engländer, die Verherrlichung


Kiplings Talent kann Tommy nur noch roher machen, als er von der athle¬
tischen Natur wie von der sportsmäßigen Boxererziehung her schon ist, ob er
nun in England als Soldat mißachtet oder in Indien gefürchtet ist.

Dieses Gladiatorentum preist Kipling in Tommy Aelius dem Soldaten
und ebenso in dem Minister, der Tommy in die Welt schickt, um zu nehmen,
was Altengland zu haben wünscht. Das staatliche Glndintorentum, eine der
neusten Blttteu der englischen Kultur! Wer die stärksten Knochen und die
festesten Muskeln hat, das ist der künftige Nationalheld für Kipling, gerade
wie zu den guten Zeiten, da Tor noch die Thursen bekämpfte. Und wer das
stärkste Heer oder die größte Flotte hat, das ist der Staat, der sich über alle
andern, much alle Moral und alles Recht hinwegsetzen soll, das folgt auch aus
Kiplings Poesie. Wie schade, daß Kipling nicht zu der Zeit Ättilas oder
Dschingis Khans gelebt hat! Und wie schade, daß uns der Kipling des
Dschungels und mancher kernigen Lieder verhunzt wird durch Kipling, dessen
„Licht erlosch." Oder wird er für den Geschmack des deutschen Lesers etwa
nicht verhunzt? Das wäre betrübend, denn es wäre ein Zeichen dafür, daß
unser deutscher Gaumen schon von dem norwegischen, gallischen und auch
deutscheu Pfeffer der letzten Jahrzehnte arg abgestumpft ist.

Man ist heute in ganz Deutschland bei einer etwas erbitterten Stimmung
gegen die Engländer angelangt. Es ist eine berechtigte, sittliche Erbitterung,
die hervorgerufen ist durch einen ungerechten Krieg. Aber wenn wir zugleich
mit Behagen auf unsern Bühnen Dichtungen zuschauen und zuhören von dem
Geiste wie Kiplings „Das Licht, das erlosch" oder Tolstois Kreuzersonate, so
zeugt das denn doch, so verschieden diese beiden Dichtungen anch sind, von
einer Geschmacksrichtung, die geradeswegs zu der sittlichen Abstumpfung führen
muß, deren Folgen wir bei den Engländern eben so empörend finden. Ich
will nicht von der Staatsmoral reden, obwohl man sie nicht so eifrig, wie es
geschieht, von der Volksmoral trennen und damit zuletzt zu einer, ich weiß
nicht worin begründeten Unmoral stempeln sollte. Aber wenn aus dieser Em¬
pörung gegen die heutige Gewaltmoral der Engländer eine gesunde Regung
unsers deutschen Gewissens spricht, so ist das um so erfreulicher, als Nur,
wenn ich nicht irre, ans dem besten Wege waren, den Engländern auch auf
diesen Pfaden zu folgen. Hütten Kipling und Chamberlain es nicht so gar
grob getrieben, sie hätten vielleicht auch für uns noch Helden statt Gladiatoren
werden können. Mit Ibsen, Hauptmann und Sudermann als Lehrern der
Moral, mit Nietzsche als Erzieher des Geistes kann mau weit kommen.

Es ist bemerkenswert, daß gerade jetzt Tolstois Drama „Die Macht der
Finsternis" über unsre Bühnen zieht, ein Stück, das durchaus in dem modernen
uaturnlistischeu Geiste geschrieben ist, und das dennoch in einem Gegensatz zu
den Kiplings und Nietzsches steht, wie er größer nicht sein kann. Ein Gegen¬
satz, der sich noch verschärft, wenn man die seit dem ersten Erscheinen dieses
Dramas von Tolstoi verfaßten Schriften hinzunimmt und den ganzen Dichter,
wie er heute ist, ins Auge faßt. Dort, bei dem Engländer, die Verherrlichung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/29>, abgerufen am 01.07.2024.