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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Kipling und Tolstoi

zuerzählen scheut, sind die Helden, die Kipling feiert, sind die durchaus nicht
ausgesucht schlechten Typen, des englischen Soldaten. Die Zeiten Homers oder
der Nibelungen waren rohe Zeiten, aber ich kann mich nicht einer einzigen
Stelle im Homer oder in den Nibelungen entsinnen, in der solche Greuel mit¬
geteilt wären, wie Kipling sie seinen geliebten Tommy Aelius, den Typus
des englischen Soldaten, vollführen läßt. Die Dichter, die die Kämpfe um
Troja und den Untergang der Nibelungen schilderten, waren gewiß keine sehr
empfindsamen Naturen, kannten aber die Grenzen des in der Erzählung
blutiger Heldenthat erlaubten besser als Kipling. Kipling schwelgt in der
Schilderung von Thaten, die aus der Alleinherrschaft der rohen tierischen
Kraft fließe". Diese Kraft entschuldigt ihm alles, verklärt ihm alles; für diese
Muskelkraft im Dienst des Raubtiers begeistert er sich. Und dieser Dichter
ist der Nationaldichter, der Volkssänger des heutigen Englands!

Carlyle -- Nietzsche -- Kipling, ein schöner Klimax! Helden -- Titanen --
Gladiatoren! Und da man beim Athleten angelangt ist, bekommt das Kraft¬
gefühl den Trieb ins Weite, ins Weltervbernde, man geht über zur Verherr¬
lichung einer des Rechts und der Moral spottenden Staatsmacht! Denn Kip¬
ling ist Imperialist, der Genosse Chamberlains und Roseberys und all der
andern Helfershelfer des künftigen Gewaltstaats, der Sänger neben den Helden.
Und dieser Sänger hat viel Talent; er weiß uns den englischen Soldaten in
seinen anziehenden wie seinen abstoßenden Eigenschaften fo lebenswahr zu
schildern; er hat im Lager so heitere, trinklustige Gesellen, so gutmütige, treue
Freunde gefunden, daß viele seiner Leser kaum bemerken, wie verrohend der
Umgang mit solchen Gladiatoren ist. Physischer Mut ist eine gute Sache;
aber Tapferkeit ist eine so gewöhnliche Tugend, daß man nicht nach England
zu gehn braucht, um sie zu bewundern. Was hier besonders englisch ist, das
ist die Überschätzung dieser Tugend. Bei Kipling tritt das von Steffen
so genannte athletische Temperament des Engländers sehr nackt hervor. Wir
sind zwar nicht in Gesellschaft von Jockeys auf dem Rennplatz, aber wir atmen
die moralische Luft einer spanischen Arena oder einer altrömischen Gladiatoren-
laserne. Alle Poesie seiner Dschungelbildcr, seiner Soldatenlieder hebt Kip¬
ling nicht über einen Stand des Gemüts hinaus, der tiefer liegt, als wir von
unsern: deutschen Soldaten verlangen: Roheiten, wie Kipling sie besingt,
mögen Engländer begeistern: unsern deutschen Soldaten werden sie bis heute,
Gott sei Dank, eher anwidern. Z. B. in liM eine t-ülscl die Gefechts¬
szene, wo der Afrikaner ein Auge verliert, was ich nachzuerzählen hier unter¬
lasse. Die Fanatiker des Naturalismus werden sagen, es komme so was in
der That vor, und darum gehöre es in die Schilderung. O gewiß, das Grü߬
lichste kommt vor in der schönen Welt, und wer diese schöne Welt lieber von
der gräßlichsten Seite betrachtet, der mag sich Kiplings freuen. Auch werden
wir ja seit lange durch die Ibsen und die ganze Schule dieser gemütskranken
Unglücksraben dazu erzogen, das Natürliche vorzugsweise in. dem Häßlichen
zu finden. Nur veredelnd, bessernd wirken diese Raben wirklich nicht, und


Kipling und Tolstoi

zuerzählen scheut, sind die Helden, die Kipling feiert, sind die durchaus nicht
ausgesucht schlechten Typen, des englischen Soldaten. Die Zeiten Homers oder
der Nibelungen waren rohe Zeiten, aber ich kann mich nicht einer einzigen
Stelle im Homer oder in den Nibelungen entsinnen, in der solche Greuel mit¬
geteilt wären, wie Kipling sie seinen geliebten Tommy Aelius, den Typus
des englischen Soldaten, vollführen läßt. Die Dichter, die die Kämpfe um
Troja und den Untergang der Nibelungen schilderten, waren gewiß keine sehr
empfindsamen Naturen, kannten aber die Grenzen des in der Erzählung
blutiger Heldenthat erlaubten besser als Kipling. Kipling schwelgt in der
Schilderung von Thaten, die aus der Alleinherrschaft der rohen tierischen
Kraft fließe». Diese Kraft entschuldigt ihm alles, verklärt ihm alles; für diese
Muskelkraft im Dienst des Raubtiers begeistert er sich. Und dieser Dichter
ist der Nationaldichter, der Volkssänger des heutigen Englands!

Carlyle — Nietzsche — Kipling, ein schöner Klimax! Helden — Titanen —
Gladiatoren! Und da man beim Athleten angelangt ist, bekommt das Kraft¬
gefühl den Trieb ins Weite, ins Weltervbernde, man geht über zur Verherr¬
lichung einer des Rechts und der Moral spottenden Staatsmacht! Denn Kip¬
ling ist Imperialist, der Genosse Chamberlains und Roseberys und all der
andern Helfershelfer des künftigen Gewaltstaats, der Sänger neben den Helden.
Und dieser Sänger hat viel Talent; er weiß uns den englischen Soldaten in
seinen anziehenden wie seinen abstoßenden Eigenschaften fo lebenswahr zu
schildern; er hat im Lager so heitere, trinklustige Gesellen, so gutmütige, treue
Freunde gefunden, daß viele seiner Leser kaum bemerken, wie verrohend der
Umgang mit solchen Gladiatoren ist. Physischer Mut ist eine gute Sache;
aber Tapferkeit ist eine so gewöhnliche Tugend, daß man nicht nach England
zu gehn braucht, um sie zu bewundern. Was hier besonders englisch ist, das
ist die Überschätzung dieser Tugend. Bei Kipling tritt das von Steffen
so genannte athletische Temperament des Engländers sehr nackt hervor. Wir
sind zwar nicht in Gesellschaft von Jockeys auf dem Rennplatz, aber wir atmen
die moralische Luft einer spanischen Arena oder einer altrömischen Gladiatoren-
laserne. Alle Poesie seiner Dschungelbildcr, seiner Soldatenlieder hebt Kip¬
ling nicht über einen Stand des Gemüts hinaus, der tiefer liegt, als wir von
unsern: deutschen Soldaten verlangen: Roheiten, wie Kipling sie besingt,
mögen Engländer begeistern: unsern deutschen Soldaten werden sie bis heute,
Gott sei Dank, eher anwidern. Z. B. in liM eine t-ülscl die Gefechts¬
szene, wo der Afrikaner ein Auge verliert, was ich nachzuerzählen hier unter¬
lasse. Die Fanatiker des Naturalismus werden sagen, es komme so was in
der That vor, und darum gehöre es in die Schilderung. O gewiß, das Grü߬
lichste kommt vor in der schönen Welt, und wer diese schöne Welt lieber von
der gräßlichsten Seite betrachtet, der mag sich Kiplings freuen. Auch werden
wir ja seit lange durch die Ibsen und die ganze Schule dieser gemütskranken
Unglücksraben dazu erzogen, das Natürliche vorzugsweise in. dem Häßlichen
zu finden. Nur veredelnd, bessernd wirken diese Raben wirklich nicht, und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/28>, abgerufen am 01.07.2024.