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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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folgenden Jahrhunderte eingewirkt hat. Dasz die Schule auf solche Zusammen¬
hänge hinweisen soll, bedarf keiner Worte; fruchtbringend aber werden diese
Hinweise dem Lernenden nnr dann, wenn die römische Kaiserzeit ihm nicht
eine von Nacht und Nebel bedeckte Zone bedeutet, die regungs- und zwecklos
zwischen dem Altertum und dem Mittelalter liegt.

Aber nicht allein zum Ausblick ans das Mittelalter beansprucht die römische
Kaiserzeit Raum im Geschichtsunterricht, sondern auch wegen des Rückblicks, den
sie auf die Geschichte der alte" Völker, bor allem der Römer selbst, eröffnet.
Einrichtungen, Tugenden und Thaten kennen zu lernen, die dieses Volk groß
gemacht haben, ist gewiß von hohem Wert; nicht weniger wertvoll aber und
belehrend sind die Ursachen, die es von seiner Höhe herabführen. Die Ge¬
schichte des Verfalls ist die notwendige Ergänzung zu der der Blüte, und die
Lehren, die sie enthält, stehn an Bedeutung und Eindringlichkeit hinter den
andern wenig zurück, am wenigsten für die Jünglinge eines Volks, das eben
zur Konsolidation seines Gemeinwesens gelangt ist und zu eiuer Macht, die
ihnen, dem Nachwuchs, vor allem andern die Pflicht auflegt, das in schwerer
Not und hartem Kampf Gewonnene zu verteidigen.

Unterliegt es nach dem Gesagten keinem Zweifel, daß die römische Kaiser¬
zeit ans der Schule ausgiebige Würdigung verdient, so erhebt sich vor dem
Was und Wie die Frage, woher angesichts der oben dargelegten Verhältnisse
die erforderliche Zeit genommen werden soll. An eine Wiederherstellung der
frühern Stoffverteilung ist natürlich uicht zu denken. Auch vier von der Vor¬
trefflichkeit und der Notwendigkeit der vor neun Jahren erfolgten Neuerung
noch nicht überzeugt sei" sollte, wird doch im Ernste für die Rückkehr zu dem
alten Lehrplnn keine Lanze brechen wollen; das Interesse der eignen Sache
müßte es ihm verbieten. Denn unter den Anklagen, mit denen die Wortführer
einer sogenannten modernen Jugendbildung das humanistische Ghmnasinm be¬
kämpften, war vielleicht keine gefährlicher -- denn sie war berechtigt -- als
der Hinweis auf die stiefmütterliche Kargheit, womit es die vaterländische Ge¬
schichte behandelte -- behandeln mußte, solange es ans der obern Stufe den
Griechen und Römern zwei Jahre widmete. Dieses Mißverhältnis zurück¬
wünschen hieße die gegenwärtig dem Ghmnnsium günstige Konjunktur uicht
verwerte", sondern verspielen, der kleinste Schritt zur Erfüllung dieses Wunsches
wäre für das Gymnasium das Schlimmste, was seine Feinde ihm wünschen
könnten.

Von zwei Seiten sind ernstere Vorschläge gemacht worden, Raum für die
Kaisergeschichte zu schaffen, ohne den Rahmen der gegenwärtigen Stoffver¬
teilung ganz durchbrechen zu müssen. Professor Harnack hat auf der vor¬
jährige" Berliner Schulkouferenz angeregt, auf der Obersekunda die der vor¬
christlichen Zeit gewidmete Stundenzahl möglichst zu verkürzen, wogegen Ober¬
lehrer Mnrcks auf der diesjährigen Osterdienstagversamnckung rheinischer
Schulmänner den Vorschlag machte, in der Unterprima für die römische Kaiser¬
zeit fünfzehn bis siebzehn Stunden anzusetzen. Zuerst ein Wort zu diesem


folgenden Jahrhunderte eingewirkt hat. Dasz die Schule auf solche Zusammen¬
hänge hinweisen soll, bedarf keiner Worte; fruchtbringend aber werden diese
Hinweise dem Lernenden nnr dann, wenn die römische Kaiserzeit ihm nicht
eine von Nacht und Nebel bedeckte Zone bedeutet, die regungs- und zwecklos
zwischen dem Altertum und dem Mittelalter liegt.

Aber nicht allein zum Ausblick ans das Mittelalter beansprucht die römische
Kaiserzeit Raum im Geschichtsunterricht, sondern auch wegen des Rückblicks, den
sie auf die Geschichte der alte» Völker, bor allem der Römer selbst, eröffnet.
Einrichtungen, Tugenden und Thaten kennen zu lernen, die dieses Volk groß
gemacht haben, ist gewiß von hohem Wert; nicht weniger wertvoll aber und
belehrend sind die Ursachen, die es von seiner Höhe herabführen. Die Ge¬
schichte des Verfalls ist die notwendige Ergänzung zu der der Blüte, und die
Lehren, die sie enthält, stehn an Bedeutung und Eindringlichkeit hinter den
andern wenig zurück, am wenigsten für die Jünglinge eines Volks, das eben
zur Konsolidation seines Gemeinwesens gelangt ist und zu eiuer Macht, die
ihnen, dem Nachwuchs, vor allem andern die Pflicht auflegt, das in schwerer
Not und hartem Kampf Gewonnene zu verteidigen.

Unterliegt es nach dem Gesagten keinem Zweifel, daß die römische Kaiser¬
zeit ans der Schule ausgiebige Würdigung verdient, so erhebt sich vor dem
Was und Wie die Frage, woher angesichts der oben dargelegten Verhältnisse
die erforderliche Zeit genommen werden soll. An eine Wiederherstellung der
frühern Stoffverteilung ist natürlich uicht zu denken. Auch vier von der Vor¬
trefflichkeit und der Notwendigkeit der vor neun Jahren erfolgten Neuerung
noch nicht überzeugt sei» sollte, wird doch im Ernste für die Rückkehr zu dem
alten Lehrplnn keine Lanze brechen wollen; das Interesse der eignen Sache
müßte es ihm verbieten. Denn unter den Anklagen, mit denen die Wortführer
einer sogenannten modernen Jugendbildung das humanistische Ghmnasinm be¬
kämpften, war vielleicht keine gefährlicher — denn sie war berechtigt — als
der Hinweis auf die stiefmütterliche Kargheit, womit es die vaterländische Ge¬
schichte behandelte — behandeln mußte, solange es ans der obern Stufe den
Griechen und Römern zwei Jahre widmete. Dieses Mißverhältnis zurück¬
wünschen hieße die gegenwärtig dem Ghmnnsium günstige Konjunktur uicht
verwerte», sondern verspielen, der kleinste Schritt zur Erfüllung dieses Wunsches
wäre für das Gymnasium das Schlimmste, was seine Feinde ihm wünschen
könnten.

Von zwei Seiten sind ernstere Vorschläge gemacht worden, Raum für die
Kaisergeschichte zu schaffen, ohne den Rahmen der gegenwärtigen Stoffver¬
teilung ganz durchbrechen zu müssen. Professor Harnack hat auf der vor¬
jährige» Berliner Schulkouferenz angeregt, auf der Obersekunda die der vor¬
christlichen Zeit gewidmete Stundenzahl möglichst zu verkürzen, wogegen Ober¬
lehrer Mnrcks auf der diesjährigen Osterdienstagversamnckung rheinischer
Schulmänner den Vorschlag machte, in der Unterprima für die römische Kaiser¬
zeit fünfzehn bis siebzehn Stunden anzusetzen. Zuerst ein Wort zu diesem


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[0269] folgenden Jahrhunderte eingewirkt hat. Dasz die Schule auf solche Zusammen¬ hänge hinweisen soll, bedarf keiner Worte; fruchtbringend aber werden diese Hinweise dem Lernenden nnr dann, wenn die römische Kaiserzeit ihm nicht eine von Nacht und Nebel bedeckte Zone bedeutet, die regungs- und zwecklos zwischen dem Altertum und dem Mittelalter liegt. Aber nicht allein zum Ausblick ans das Mittelalter beansprucht die römische Kaiserzeit Raum im Geschichtsunterricht, sondern auch wegen des Rückblicks, den sie auf die Geschichte der alte» Völker, bor allem der Römer selbst, eröffnet. Einrichtungen, Tugenden und Thaten kennen zu lernen, die dieses Volk groß gemacht haben, ist gewiß von hohem Wert; nicht weniger wertvoll aber und belehrend sind die Ursachen, die es von seiner Höhe herabführen. Die Ge¬ schichte des Verfalls ist die notwendige Ergänzung zu der der Blüte, und die Lehren, die sie enthält, stehn an Bedeutung und Eindringlichkeit hinter den andern wenig zurück, am wenigsten für die Jünglinge eines Volks, das eben zur Konsolidation seines Gemeinwesens gelangt ist und zu eiuer Macht, die ihnen, dem Nachwuchs, vor allem andern die Pflicht auflegt, das in schwerer Not und hartem Kampf Gewonnene zu verteidigen. Unterliegt es nach dem Gesagten keinem Zweifel, daß die römische Kaiser¬ zeit ans der Schule ausgiebige Würdigung verdient, so erhebt sich vor dem Was und Wie die Frage, woher angesichts der oben dargelegten Verhältnisse die erforderliche Zeit genommen werden soll. An eine Wiederherstellung der frühern Stoffverteilung ist natürlich uicht zu denken. Auch vier von der Vor¬ trefflichkeit und der Notwendigkeit der vor neun Jahren erfolgten Neuerung noch nicht überzeugt sei» sollte, wird doch im Ernste für die Rückkehr zu dem alten Lehrplnn keine Lanze brechen wollen; das Interesse der eignen Sache müßte es ihm verbieten. Denn unter den Anklagen, mit denen die Wortführer einer sogenannten modernen Jugendbildung das humanistische Ghmnasinm be¬ kämpften, war vielleicht keine gefährlicher — denn sie war berechtigt — als der Hinweis auf die stiefmütterliche Kargheit, womit es die vaterländische Ge¬ schichte behandelte — behandeln mußte, solange es ans der obern Stufe den Griechen und Römern zwei Jahre widmete. Dieses Mißverhältnis zurück¬ wünschen hieße die gegenwärtig dem Ghmnnsium günstige Konjunktur uicht verwerte», sondern verspielen, der kleinste Schritt zur Erfüllung dieses Wunsches wäre für das Gymnasium das Schlimmste, was seine Feinde ihm wünschen könnten. Von zwei Seiten sind ernstere Vorschläge gemacht worden, Raum für die Kaisergeschichte zu schaffen, ohne den Rahmen der gegenwärtigen Stoffver¬ teilung ganz durchbrechen zu müssen. Professor Harnack hat auf der vor¬ jährige» Berliner Schulkouferenz angeregt, auf der Obersekunda die der vor¬ christlichen Zeit gewidmete Stundenzahl möglichst zu verkürzen, wogegen Ober¬ lehrer Mnrcks auf der diesjährigen Osterdienstagversamnckung rheinischer Schulmänner den Vorschlag machte, in der Unterprima für die römische Kaiser¬ zeit fünfzehn bis siebzehn Stunden anzusetzen. Zuerst ein Wort zu diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/269>, abgerufen am 22.07.2024.