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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die unheimliche llluft

Versicherungsgesellschaft ein Reklamebild zu enttverfen gehabt und darauf eine
Fama dargestellt, die mit weiblicher Anspannung des Trompetermuskels (bnovi-
ng>lor) in eine unglaublich dünne, dafür aber um so längere Tuhr blies. Nach
meinem unmaßgeblichen Gefühle wirkte die in kühnem stumpfem Winkel von
der Figur abspringende gerade Linie der Tuba außerordentlich gut. Der
Beamte aber, der das spezielle Ressort der Publizität unter sich hatte -- bei
einer amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaft offenbar keine Sinekure --,
war entgegengesetzter Ansicht. Er schrieb nach Rom, wo der Künstler lebte,
und legte in seinem Brief dem Pariser Bevollmächtigten des Unternehmens,
der das Plakat bestellt hatte, eine Reihe für den Künstler schmeichelhafter und
anerkennender Worte in den Mund, warf aber das Ganze durch den Zusatz
über den Haufen: ,jo n'ainnz xg.s 1" troinpsttv. Das Reklamedepartement
eiuer amerikanischen Lebensversicherungsanstalt, dem die Trompete am Munde
der Fama nicht behagte, das war stark. Der Künstler war gerade auf die
Trompete besonders stolz; er setzte seineu Standpunkt und wie die Trompete
außerordentlich suggestiv wirken werde, mit zahllosen, entzückend klingenden
italienischen Superlativen auseinander, und die Trompete blieb, nnr einen bis
anderthalb Centimeter kürzer wurde sie gemacht.

Solche Dinge siud eben Geschmacksache, und es dünkt uns nicht weise,
einem Künstler -- wir bleiben vorerst absichtlich ganz auf dem künstlerischen
Gebiete -- einen Vorwurf daraus zu machen, daß er nicht wie A oder B ist,
A und B mögen so vortrefflich und unübertrefflich sein, wie sie wollen.

Wer an der Beredsamkeit des Kaisers auszusetzen findet, n'aiiniz vviäsnr-
rnvnt pg,s ig. troinveÄö. Als Geschmacksrichtung ist das ja der Beweis eines
überaus geläuterten Gefühls, Ins laste is v<zrx "Kaste inävöä, wie sich die
Engländer ausdrücken; aber aus dem eignen höchst persöickichen Gefühl eine so
allgemeine Bemerkung herleiten zu wollen wie die, daß die kaiserliche Bered¬
samkeit dem deutschen Volke nicht zusage, ist doch sehr gewagt.

0n us pone Ms (ZontöirtM tont le> nouae, se son xsrs. Zu dem deutscheu
Volke gehören wir doch Gott sei Dank auch, und wir könnten nicht behaupten,
daß wir in deu Rahmen der für die Deutschen und ihr angebliches Mißfallen
an der Beredsamkeit des Kaisers schlechtweg aufgestellten Behauptung paßten.
Ein beurlaubter Matrose, den wir ausgehorcht haben, noch weniger. Er war
nicht nur bereit, sich auf dem Flecke für den Kaiser Hände und Füße abhacken
zu lassen -- ein Umstand, den wir ungern als Beweis für die Beredsamkeit
Seiner Majestät anführen möchten --, er konnte auch die Ansprache, die der
Kaiser in Kiel bei seiner, des Matrosen, Rekrutenvereidung gehalten hatte,
ziemlich auswendig und sagte sie mit demselben überzeugungstreuen Pathos
und Wonnegefühl her, mit der wir im Juni 1866 deklamierten: Selbst der
Mindermüchtige würde sich entehren, wollte er nicht unberechtigten Forderungen
mit männlichem Mute entgegentreten.

Mein Gott, die Geschmäcker sind einmal verschieden. Moritz Busch fand
an der Proklamation des Königs Johann keinen Gefallen und eilte rastlos


Die unheimliche llluft

Versicherungsgesellschaft ein Reklamebild zu enttverfen gehabt und darauf eine
Fama dargestellt, die mit weiblicher Anspannung des Trompetermuskels (bnovi-
ng>lor) in eine unglaublich dünne, dafür aber um so längere Tuhr blies. Nach
meinem unmaßgeblichen Gefühle wirkte die in kühnem stumpfem Winkel von
der Figur abspringende gerade Linie der Tuba außerordentlich gut. Der
Beamte aber, der das spezielle Ressort der Publizität unter sich hatte — bei
einer amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaft offenbar keine Sinekure —,
war entgegengesetzter Ansicht. Er schrieb nach Rom, wo der Künstler lebte,
und legte in seinem Brief dem Pariser Bevollmächtigten des Unternehmens,
der das Plakat bestellt hatte, eine Reihe für den Künstler schmeichelhafter und
anerkennender Worte in den Mund, warf aber das Ganze durch den Zusatz
über den Haufen: ,jo n'ainnz xg.s 1» troinpsttv. Das Reklamedepartement
eiuer amerikanischen Lebensversicherungsanstalt, dem die Trompete am Munde
der Fama nicht behagte, das war stark. Der Künstler war gerade auf die
Trompete besonders stolz; er setzte seineu Standpunkt und wie die Trompete
außerordentlich suggestiv wirken werde, mit zahllosen, entzückend klingenden
italienischen Superlativen auseinander, und die Trompete blieb, nnr einen bis
anderthalb Centimeter kürzer wurde sie gemacht.

Solche Dinge siud eben Geschmacksache, und es dünkt uns nicht weise,
einem Künstler — wir bleiben vorerst absichtlich ganz auf dem künstlerischen
Gebiete — einen Vorwurf daraus zu machen, daß er nicht wie A oder B ist,
A und B mögen so vortrefflich und unübertrefflich sein, wie sie wollen.

Wer an der Beredsamkeit des Kaisers auszusetzen findet, n'aiiniz vviäsnr-
rnvnt pg,s ig. troinveÄö. Als Geschmacksrichtung ist das ja der Beweis eines
überaus geläuterten Gefühls, Ins laste is v<zrx «Kaste inävöä, wie sich die
Engländer ausdrücken; aber aus dem eignen höchst persöickichen Gefühl eine so
allgemeine Bemerkung herleiten zu wollen wie die, daß die kaiserliche Bered¬
samkeit dem deutschen Volke nicht zusage, ist doch sehr gewagt.

0n us pone Ms (ZontöirtM tont le> nouae, se son xsrs. Zu dem deutscheu
Volke gehören wir doch Gott sei Dank auch, und wir könnten nicht behaupten,
daß wir in deu Rahmen der für die Deutschen und ihr angebliches Mißfallen
an der Beredsamkeit des Kaisers schlechtweg aufgestellten Behauptung paßten.
Ein beurlaubter Matrose, den wir ausgehorcht haben, noch weniger. Er war
nicht nur bereit, sich auf dem Flecke für den Kaiser Hände und Füße abhacken
zu lassen — ein Umstand, den wir ungern als Beweis für die Beredsamkeit
Seiner Majestät anführen möchten —, er konnte auch die Ansprache, die der
Kaiser in Kiel bei seiner, des Matrosen, Rekrutenvereidung gehalten hatte,
ziemlich auswendig und sagte sie mit demselben überzeugungstreuen Pathos
und Wonnegefühl her, mit der wir im Juni 1866 deklamierten: Selbst der
Mindermüchtige würde sich entehren, wollte er nicht unberechtigten Forderungen
mit männlichem Mute entgegentreten.

Mein Gott, die Geschmäcker sind einmal verschieden. Moritz Busch fand
an der Proklamation des Königs Johann keinen Gefallen und eilte rastlos


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/251>, abgerufen am 29.06.2024.