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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Wir würden bei unserm etwas altmodischen Standpunkt nicht glauben,
daß es einem Deutschen zustehe, sich anderswo als im engsten Bekanntenkreise
über diesen Punkt auszusprechen; allein da diese Anschauung offenbar nicht
allgemein geteilt wird, so dürfte hier ehrfurchtsvolles Schweigen nicht ratsam
sein. Das Prinzip, daß es wünschenswert ist, an gewissen Palladien, die wir
für unsre Moral und gesellige wie staatliche Existenz als unentbehrlich ansehen,
überhaupt keine Kritik zu üben, ist durchbrochen, und es ist darum vielleicht
kein Schade, wenn die Sache in schuldiger Ehrerbietung und -- wir hätten
im entgegengesetzten Falle geschwiegen -- in durchaus beifälliger Weise be¬
sprochen wird.

Wer der Negierung und dem Kaiser Beifall zollt, wird zwar -- eine
Errungenschaft der Neuzeit -- meist von vornherein als Bedientenseele be¬
zeichnet, wir wollen es aber darauf ankommen lassen. An den Thatsachen wird
doch ohnehin durch dergleichen kleine persönliche Ainönitäten nichts geändert.

Es giebt also durchaus wohlgesinnte, höchst ehrenwerte und geistig be¬
deutende Männer, denen die etwas grandiloquente Art der kaiserlichen Bered¬
samkeit nicht zusagt. Sie verkünden mit einem wehmütigen Zug um den
linken Mundwinkel: die Beredsamkeit Seiner Majestät sei nicht von der Art,
wie sie der Deutsche wünsche und zu schätzen wisse. Vismarck 5. ig, voiins lisurs,
der sei ein Redner gewesen, wie man sich ihn wünsche, kernig, originell, jedem
Gemeinplätze feind, und vor allem Moltke, weil er so überaus selten das Wort
genommen habe.

Ein geistreicher und feiner englischer Litterat hat von Mcicanlays Stil
gesagt, er sei Zorgsous, was man vielleicht durch prunkhaft, allzu prächtig
wiedergeben könnte. Mein Großvater oder -- da jeder von uns zwei Groß-
Väter hat -- einer meiner beiden Großväter pflegte von begeisterten Ideologen,
die ihn mit ihrer Unterhaltung beehrten, im intimsten Kreise zu sagen, daß sie
immer ans dem Kannrückchen hernmrutschten; unter Kannrückchen verstand man
in seiner Umgebung und wohl überhaupt in der ganzen Gegend ein Karnies,
den obern Teil des Gesimses, dessen Rücken, auf dem man Kannen, Pokale
und Schüsseln aufzustellen pflegte. Ähnlich mag vielleicht der Eindruck sein, den
die haben, die zu ihrem größten Schmerze zu bemerken glauben, daß die kaiser¬
liche Beredsamkeit in ihrer rhetorischen Pracht und Fülle dem deutschen Volke
nicht zusage: sie glauben, man würde etwas Schlichteres vorziehn und es dem
kaiserlichen Redner dank wissen, wen" er sich -- sit venia vsrdis -- etwas
weniger auf dem Kannrückchen zu thun machte. Es sind, beiläufig gesagt,
dieselben Leute, die an manchen das öffentliche Erscheinen der kaiserlichen
Majestäten begleitenden Zeremonien etwas auszusetzen haben, sie als theatralisch
bezeichnen, und denen namentlich die Fanfaren aus silbernen und nichtsilberneu
Trompeten, ohne die das Erscheinen des kaiserlichen Paares bei feierlichen
Gelegenheiten nahezu undenkbar geworden ist, ein Greuel siud.

of tzustibng non <Z8t äisxuwnäum. Ein italienischer, für das Dekorative
und sensationelle begeisterter Maler hatte für eine große amerikanische Lebens-


Wir würden bei unserm etwas altmodischen Standpunkt nicht glauben,
daß es einem Deutschen zustehe, sich anderswo als im engsten Bekanntenkreise
über diesen Punkt auszusprechen; allein da diese Anschauung offenbar nicht
allgemein geteilt wird, so dürfte hier ehrfurchtsvolles Schweigen nicht ratsam
sein. Das Prinzip, daß es wünschenswert ist, an gewissen Palladien, die wir
für unsre Moral und gesellige wie staatliche Existenz als unentbehrlich ansehen,
überhaupt keine Kritik zu üben, ist durchbrochen, und es ist darum vielleicht
kein Schade, wenn die Sache in schuldiger Ehrerbietung und — wir hätten
im entgegengesetzten Falle geschwiegen — in durchaus beifälliger Weise be¬
sprochen wird.

Wer der Negierung und dem Kaiser Beifall zollt, wird zwar — eine
Errungenschaft der Neuzeit — meist von vornherein als Bedientenseele be¬
zeichnet, wir wollen es aber darauf ankommen lassen. An den Thatsachen wird
doch ohnehin durch dergleichen kleine persönliche Ainönitäten nichts geändert.

Es giebt also durchaus wohlgesinnte, höchst ehrenwerte und geistig be¬
deutende Männer, denen die etwas grandiloquente Art der kaiserlichen Bered¬
samkeit nicht zusagt. Sie verkünden mit einem wehmütigen Zug um den
linken Mundwinkel: die Beredsamkeit Seiner Majestät sei nicht von der Art,
wie sie der Deutsche wünsche und zu schätzen wisse. Vismarck 5. ig, voiins lisurs,
der sei ein Redner gewesen, wie man sich ihn wünsche, kernig, originell, jedem
Gemeinplätze feind, und vor allem Moltke, weil er so überaus selten das Wort
genommen habe.

Ein geistreicher und feiner englischer Litterat hat von Mcicanlays Stil
gesagt, er sei Zorgsous, was man vielleicht durch prunkhaft, allzu prächtig
wiedergeben könnte. Mein Großvater oder — da jeder von uns zwei Groß-
Väter hat — einer meiner beiden Großväter pflegte von begeisterten Ideologen,
die ihn mit ihrer Unterhaltung beehrten, im intimsten Kreise zu sagen, daß sie
immer ans dem Kannrückchen hernmrutschten; unter Kannrückchen verstand man
in seiner Umgebung und wohl überhaupt in der ganzen Gegend ein Karnies,
den obern Teil des Gesimses, dessen Rücken, auf dem man Kannen, Pokale
und Schüsseln aufzustellen pflegte. Ähnlich mag vielleicht der Eindruck sein, den
die haben, die zu ihrem größten Schmerze zu bemerken glauben, daß die kaiser¬
liche Beredsamkeit in ihrer rhetorischen Pracht und Fülle dem deutschen Volke
nicht zusage: sie glauben, man würde etwas Schlichteres vorziehn und es dem
kaiserlichen Redner dank wissen, wen» er sich — sit venia vsrdis — etwas
weniger auf dem Kannrückchen zu thun machte. Es sind, beiläufig gesagt,
dieselben Leute, die an manchen das öffentliche Erscheinen der kaiserlichen
Majestäten begleitenden Zeremonien etwas auszusetzen haben, sie als theatralisch
bezeichnen, und denen namentlich die Fanfaren aus silbernen und nichtsilberneu
Trompeten, ohne die das Erscheinen des kaiserlichen Paares bei feierlichen
Gelegenheiten nahezu undenkbar geworden ist, ein Greuel siud.

of tzustibng non <Z8t äisxuwnäum. Ein italienischer, für das Dekorative
und sensationelle begeisterter Maler hatte für eine große amerikanische Lebens-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/250>, abgerufen am 01.07.2024.