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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die unheimliche Kluft

von den Thoren Leipzigs nach der Börsenhalle, um in der Lektüre von De¬
peschen ,'," schwelgen, die die Niederlage der Truppen seines engern Vater¬
lands meldeten; wir strampelten ebenso rastlos mit diesen dnrch Böhmen und
über die Kleinen Knrpaten und fanden die Wendung von den unberechtigten
Forderungen und dem männlichen Mute schön.

Die Achtung vor der Autorität des Herrschers ist ein Gefühl, das zu
fördern und zu hegen Pflicht ist. Wohlgesinnte lind einsichtige Leute, die
ihrem litterarischen oder sonst künstlerischen Geschmack erkunden, auf dem Ge¬
biete eines solchen pflichtmäßigen Gefühls aufzuräumen, begehn damit einen
großen Irrtum, Wir können uns zu dessen Vermeidung alle miteinander
Bismarck zum Beispiel nehmen; denn so viel von ihm anch im Privatleben
gethane Äußerungen bekannt geworden sind, die beweisen, daß er much in Bezug
auf die Herrscher, denen er diente, sein freies Urteil bewahrte, so ist doch alles,
was er nach dieser Richtung hiu öffentlich gesagt hat, von der zartfühlendsten,
kaiserlich und königlich gesinnten Rücksicht und Ehrerbietung durchdrungen; ein
Vorzug, der um so höher anzuschlagen ist, als er auch in der Zeit seiner
unbestrittensten Machtfülle mitunter mit den Trägern der Krone seine liebe
Not hatte, von den letzten Jahren, wo eine solche Rücksicht doppelt schön und
verdienstlich war, gar nicht zu reden.

Nun sind aber, abgesehen von der eben besprochnen künstlerischen, das
heißt litterarischen Kritik, der nnr eine gegensätzliche Geschmacksrichtung zu
Grunde liegt, noch zwei andre Nebelstreifen vorhanden, die die kaiserliche
Sonne verhindern, in ungetrübtem Glänze auf die deutschen Lande zu scheinen:
die Verdächtigungen, die von allen den Parteien ausgehn, denen der Einfluß
eines kräftigen und beliebten Herrschers auf sein Volk im Wege ist, und das
Unerquickliche der gegenwärtigen politischen Lage, die einer unbehaglichen Wind ,
oder wie Goethe sagt, Meeresstille gleicht.

Von den Verdächtigungen wollen wir hier uicht reden: ein Blick auf einen
Teil der Tagespresse genügt. Da es sich bei den beiden extremen Parteien unsers
Volks, den Ultramontanen und den Sozialdemokraten, um einen prinzipiellen
Kampf gegen den Staat handelt, so wäre es ein Wunder, wenn man dabei dessen
Haupt und die von diesem gewühlten Negieruugsorgane verschonte. Lsmxvr
itlicjuiä lig."rst, etwas von dem, was wir sagen, denken sie, bleibt doch sitzen.
Wo könnte da die Grenze sein, vor welcher ehrerbietigen, taktvollen, billigen
Erwägung sollte man halt machen? Vorwärts geht es, wie der Herbstwind
über die kahlen Stoppelfelder weht. Wenn nichts mehr da ist, was das Leben
lebenswert macht, dann kommen wir ans Regiment, wir, die Schwarzen oder
die Roten. Folgerecht ist ja, wenn mau die Anschauungen dieser Parteien
als zulässige Prämisse annimmt, ihre Handlungsweise, aber auf der andern
Seite für uns alle, die wir nicht denken wie sie, welche Mahnung, daß wir
Kopf und Kragen daran setzen, sie vom Gerüste zu werfen. Wenn man, wie
Anno dazumal, keinen Kaiser hätte, der selbst sieht und urteilt, der führt und
antreibt, der warnt und ermahnt, hätte man im Falle eines trügen Zuwnrtens


Die unheimliche Kluft

von den Thoren Leipzigs nach der Börsenhalle, um in der Lektüre von De¬
peschen ,',» schwelgen, die die Niederlage der Truppen seines engern Vater¬
lands meldeten; wir strampelten ebenso rastlos mit diesen dnrch Böhmen und
über die Kleinen Knrpaten und fanden die Wendung von den unberechtigten
Forderungen und dem männlichen Mute schön.

Die Achtung vor der Autorität des Herrschers ist ein Gefühl, das zu
fördern und zu hegen Pflicht ist. Wohlgesinnte lind einsichtige Leute, die
ihrem litterarischen oder sonst künstlerischen Geschmack erkunden, auf dem Ge¬
biete eines solchen pflichtmäßigen Gefühls aufzuräumen, begehn damit einen
großen Irrtum, Wir können uns zu dessen Vermeidung alle miteinander
Bismarck zum Beispiel nehmen; denn so viel von ihm anch im Privatleben
gethane Äußerungen bekannt geworden sind, die beweisen, daß er much in Bezug
auf die Herrscher, denen er diente, sein freies Urteil bewahrte, so ist doch alles,
was er nach dieser Richtung hiu öffentlich gesagt hat, von der zartfühlendsten,
kaiserlich und königlich gesinnten Rücksicht und Ehrerbietung durchdrungen; ein
Vorzug, der um so höher anzuschlagen ist, als er auch in der Zeit seiner
unbestrittensten Machtfülle mitunter mit den Trägern der Krone seine liebe
Not hatte, von den letzten Jahren, wo eine solche Rücksicht doppelt schön und
verdienstlich war, gar nicht zu reden.

Nun sind aber, abgesehen von der eben besprochnen künstlerischen, das
heißt litterarischen Kritik, der nnr eine gegensätzliche Geschmacksrichtung zu
Grunde liegt, noch zwei andre Nebelstreifen vorhanden, die die kaiserliche
Sonne verhindern, in ungetrübtem Glänze auf die deutschen Lande zu scheinen:
die Verdächtigungen, die von allen den Parteien ausgehn, denen der Einfluß
eines kräftigen und beliebten Herrschers auf sein Volk im Wege ist, und das
Unerquickliche der gegenwärtigen politischen Lage, die einer unbehaglichen Wind ,
oder wie Goethe sagt, Meeresstille gleicht.

Von den Verdächtigungen wollen wir hier uicht reden: ein Blick auf einen
Teil der Tagespresse genügt. Da es sich bei den beiden extremen Parteien unsers
Volks, den Ultramontanen und den Sozialdemokraten, um einen prinzipiellen
Kampf gegen den Staat handelt, so wäre es ein Wunder, wenn man dabei dessen
Haupt und die von diesem gewühlten Negieruugsorgane verschonte. Lsmxvr
itlicjuiä lig.«rst, etwas von dem, was wir sagen, denken sie, bleibt doch sitzen.
Wo könnte da die Grenze sein, vor welcher ehrerbietigen, taktvollen, billigen
Erwägung sollte man halt machen? Vorwärts geht es, wie der Herbstwind
über die kahlen Stoppelfelder weht. Wenn nichts mehr da ist, was das Leben
lebenswert macht, dann kommen wir ans Regiment, wir, die Schwarzen oder
die Roten. Folgerecht ist ja, wenn mau die Anschauungen dieser Parteien
als zulässige Prämisse annimmt, ihre Handlungsweise, aber auf der andern
Seite für uns alle, die wir nicht denken wie sie, welche Mahnung, daß wir
Kopf und Kragen daran setzen, sie vom Gerüste zu werfen. Wenn man, wie
Anno dazumal, keinen Kaiser hätte, der selbst sieht und urteilt, der führt und
antreibt, der warnt und ermahnt, hätte man im Falle eines trügen Zuwnrtens


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/252>, abgerufen am 26.06.2024.