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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die unheimliche Kluft

KWb uns die neuerlich aufgetauchten Meldungen von einer Kluft
zwischen dein deutschen Kaiser und dem deutsche" Volke ernstlich
beunruhigen? Gleichgültig sind sie uns nicht; aber wenn man
den ziemlich kunstlosen und plumpen, und dennoch wirksamen
Hanismus von Drähten und Rädern kennt, mit dem die
Parteien hinter den Kulissen arbeiten, wenn man das Leben während eines
längern Zeitlaufs an sich hat vorüberzieht, lassen, so wird man für Schreck¬
schüsse minder empfindlich, und wen" irgendwo ein bedrohliches Gespenst er¬
scheint, geht man ihm zu Leibe.

Es ist zwar unsre Überzeugung, daß für die Handlungsweise derer, die
in gutem oder schlechtem Glauben die Nation ihrem Führer zu entfremden
suchen, kein Tadel zu streng ist, aber wir glauben und hoffen, daß gegen¬
wärtig in Deutschland trotz nltramontaner und sozialdemokratischer Umtriebe
noch eine Anzahl thatsächlicher Umstände zusammenwirkt, die einer wirklichen
Untergrabung des kaiserlichen Ansehns hemmend entgegentreten. Was in dieser
Richtung Leichtsinn, Verschrobenheit, Anmaßung und landesverräterische Absicht
verschulden, wird, denken wir, durch die alte Anhänglichkeit der Preußen und die
neuere aller Deutschen an das Haus Hohenzollern, dnrch die persönlichen Eigen¬
schaften des gegenwärtigen Kaisers und dnrch die Erinnerung an Wilhelm I.,
Friedrich III., sowie an die Jahre 1870/71 wettgemacht.

Es wäre aber doch vielleicht gut. wenn wir uns die. die sich der Haltung
der kaiserlichen Regierung und des kaiserlichen Herrn entfremdet fühlen oder
entfremdet nennen, etwas genauer ansähen. Sie sind an Energie und Ge-
fährlichkeit sehr voneinander verschieden.

Da sind zunächst die, denen -- eine Frage des künstlerischen Geschmacks --
die tropenreiche und hochbegeisterte Sprache widersteht, in der sich der Kaiser
bei feierlichen Anlässen, oder wenn er es sonst für gut hält, das Volk mit seinen
Anschauungen bekannt zu machen, auszudrücken pflegt.


Grenzboten II 1901 L1


Die unheimliche Kluft

KWb uns die neuerlich aufgetauchten Meldungen von einer Kluft
zwischen dein deutschen Kaiser und dem deutsche» Volke ernstlich
beunruhigen? Gleichgültig sind sie uns nicht; aber wenn man
den ziemlich kunstlosen und plumpen, und dennoch wirksamen
Hanismus von Drähten und Rädern kennt, mit dem die
Parteien hinter den Kulissen arbeiten, wenn man das Leben während eines
längern Zeitlaufs an sich hat vorüberzieht, lassen, so wird man für Schreck¬
schüsse minder empfindlich, und wen» irgendwo ein bedrohliches Gespenst er¬
scheint, geht man ihm zu Leibe.

Es ist zwar unsre Überzeugung, daß für die Handlungsweise derer, die
in gutem oder schlechtem Glauben die Nation ihrem Führer zu entfremden
suchen, kein Tadel zu streng ist, aber wir glauben und hoffen, daß gegen¬
wärtig in Deutschland trotz nltramontaner und sozialdemokratischer Umtriebe
noch eine Anzahl thatsächlicher Umstände zusammenwirkt, die einer wirklichen
Untergrabung des kaiserlichen Ansehns hemmend entgegentreten. Was in dieser
Richtung Leichtsinn, Verschrobenheit, Anmaßung und landesverräterische Absicht
verschulden, wird, denken wir, durch die alte Anhänglichkeit der Preußen und die
neuere aller Deutschen an das Haus Hohenzollern, dnrch die persönlichen Eigen¬
schaften des gegenwärtigen Kaisers und dnrch die Erinnerung an Wilhelm I.,
Friedrich III., sowie an die Jahre 1870/71 wettgemacht.

Es wäre aber doch vielleicht gut. wenn wir uns die. die sich der Haltung
der kaiserlichen Regierung und des kaiserlichen Herrn entfremdet fühlen oder
entfremdet nennen, etwas genauer ansähen. Sie sind an Energie und Ge-
fährlichkeit sehr voneinander verschieden.

Da sind zunächst die, denen — eine Frage des künstlerischen Geschmacks —
die tropenreiche und hochbegeisterte Sprache widersteht, in der sich der Kaiser
bei feierlichen Anlässen, oder wenn er es sonst für gut hält, das Volk mit seinen
Anschauungen bekannt zu machen, auszudrücken pflegt.


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[0249] [Abbildung] Die unheimliche Kluft KWb uns die neuerlich aufgetauchten Meldungen von einer Kluft zwischen dein deutschen Kaiser und dem deutsche» Volke ernstlich beunruhigen? Gleichgültig sind sie uns nicht; aber wenn man den ziemlich kunstlosen und plumpen, und dennoch wirksamen Hanismus von Drähten und Rädern kennt, mit dem die Parteien hinter den Kulissen arbeiten, wenn man das Leben während eines längern Zeitlaufs an sich hat vorüberzieht, lassen, so wird man für Schreck¬ schüsse minder empfindlich, und wen» irgendwo ein bedrohliches Gespenst er¬ scheint, geht man ihm zu Leibe. Es ist zwar unsre Überzeugung, daß für die Handlungsweise derer, die in gutem oder schlechtem Glauben die Nation ihrem Führer zu entfremden suchen, kein Tadel zu streng ist, aber wir glauben und hoffen, daß gegen¬ wärtig in Deutschland trotz nltramontaner und sozialdemokratischer Umtriebe noch eine Anzahl thatsächlicher Umstände zusammenwirkt, die einer wirklichen Untergrabung des kaiserlichen Ansehns hemmend entgegentreten. Was in dieser Richtung Leichtsinn, Verschrobenheit, Anmaßung und landesverräterische Absicht verschulden, wird, denken wir, durch die alte Anhänglichkeit der Preußen und die neuere aller Deutschen an das Haus Hohenzollern, dnrch die persönlichen Eigen¬ schaften des gegenwärtigen Kaisers und dnrch die Erinnerung an Wilhelm I., Friedrich III., sowie an die Jahre 1870/71 wettgemacht. Es wäre aber doch vielleicht gut. wenn wir uns die. die sich der Haltung der kaiserlichen Regierung und des kaiserlichen Herrn entfremdet fühlen oder entfremdet nennen, etwas genauer ansähen. Sie sind an Energie und Ge- fährlichkeit sehr voneinander verschieden. Da sind zunächst die, denen — eine Frage des künstlerischen Geschmacks — die tropenreiche und hochbegeisterte Sprache widersteht, in der sich der Kaiser bei feierlichen Anlässen, oder wenn er es sonst für gut hält, das Volk mit seinen Anschauungen bekannt zu machen, auszudrücken pflegt. Grenzboten II 1901 L1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/249>, abgerufen am 03.07.2024.