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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Gedanken zur Revision des Arankenversicherungsgesetzes

Stützung, herbeigeführt wird. Thatsächlich beziehn auch die Juvalideuretttuer
koch ansehnliche Unterstützungen ans den Krankenkassen, und die Krankenkassen
müssen ihre Unterstützung gewähren, ob es sich um ein dauernd invalides Mit¬
glied handelt oder uicht, und sogar bei wiederholter Erkrankung muß auch die
Krankenunterstütznng wiederholt gewährt werdeu, ganz unbekümmert darum,
wie oft ein neuer Bedürfnisfall eintritt. Wie weit von dem 8 6a 1, Ziffer 3
und 26g. 2, Ziffer 3 des Krankenversichernngsgcsetzes Gebrauch gemacht ist,
die den Kassen erlauben, statutarisch die Gesanckkrankengelduuterstützuugsdauer
für das Jahr auf dreizehn Wochen zu beschränken, sofern der Bedürfnisfall
immer wieder auf derselben nicht gehobnen Krankheitsursache beruht, ist mir
nicht bekannt. Immerhin hindert der Paragraph nicht, daß die Krankenver¬
sicherung den Invaliden noch sehr zu gute kommt, was ihnen wohl zu gönnen
ist. Mit dem Gesagten möchte ich nur erläutern, daß die oben erwähnte Lücke
zwischen Kranken- und Juvalideugeld nur theoretisch, uicht in nennenswertem
Maße praktisch besteht. Um so klaffendere Lücken giebt es jedoch bei den
innern Beziehungen dieser beiden Nersicherungseinrichtungen, die sich in ihren
Aufgaben und Zielen doch ergänzen und decken sollen.

Warum geht mau nicht an die Aufgabe heran, die beiden Versicherungen
zusammenzulegen? Das wäre eine rstorinaUo in o^xito et insrnbris. Würde
die Krankenversicherung territorial den Versicherungsanstalten angegliedert, so
könnten ihre Aufgaben in ganz andrer Weise in Angriff genommen werden.
Die Anstalten, die alle Beobachtungen und Erfahrungen ein den verschiednen
Orten sammeln und sichten, würden sich den örtlichen Verhältnissen und den
verschiednen Interessen der Berufskategorien mehr anpassen, als es die zer¬
splitterten Krankenkassen thun. In kleinen Städten und uns dein Lande
würden sie andre Einrichtungen treffen als in den Großstädten. In diesen
könnten sie entsprechend den heutigen Ortskrankenkassen die Versicherten in
einer Reihe verwandter Berufe mit gleicher Gefahrenklasse unterbringen. An¬
genommen, in einer Großstadt würden die etwa vorhandnen hunderttausend
Versicherten in zehn verschiedne Sektionen verwandter Berufsarten geteilt. In
einer für die Versicherten und für die Ärzte bequemern Weise ließen sich da
zehn Arzte für die zehntausend Versicherten der Sektion in zehn verschiednen
Distrikten anstellen. Unter diese": zehn Sektionsürzten könnte auch je nach
den Verhältnissen freie Arztwahl eingeführt werden, die häufig von den Kassen¬
mitgliedern gefordert wird, von der die meisten Versicherten aber keinen Ge¬
brauch machen. Sie wenden fich in der Regel doch an den zunächst wohnenden
Arzt. So würde jemand z. B. dreißig Jahre lang Arzt sein können für den¬
selben Bezirk und dieselben Versicherten. Eine solche Stetigkeit läge im
Interesse der Krankenversicherung eben so sehr, wie im Interesse der Invaliden-
versicherung. Denn wenn man als Arzt jahrelang, jahrzehntelang die Mehr¬
zahl der in dem Bezirk wohnenden, in die betreffende Sektion gehörenden
Versicherten behandelt hat, die ganze Konjunktur und Lage der Berufe kennen
gelernt hat, so wird man auch gerecht urteilen können wegen des Zeitpunkts,


Gedanken zur Revision des Arankenversicherungsgesetzes

Stützung, herbeigeführt wird. Thatsächlich beziehn auch die Juvalideuretttuer
koch ansehnliche Unterstützungen ans den Krankenkassen, und die Krankenkassen
müssen ihre Unterstützung gewähren, ob es sich um ein dauernd invalides Mit¬
glied handelt oder uicht, und sogar bei wiederholter Erkrankung muß auch die
Krankenunterstütznng wiederholt gewährt werdeu, ganz unbekümmert darum,
wie oft ein neuer Bedürfnisfall eintritt. Wie weit von dem 8 6a 1, Ziffer 3
und 26g. 2, Ziffer 3 des Krankenversichernngsgcsetzes Gebrauch gemacht ist,
die den Kassen erlauben, statutarisch die Gesanckkrankengelduuterstützuugsdauer
für das Jahr auf dreizehn Wochen zu beschränken, sofern der Bedürfnisfall
immer wieder auf derselben nicht gehobnen Krankheitsursache beruht, ist mir
nicht bekannt. Immerhin hindert der Paragraph nicht, daß die Krankenver¬
sicherung den Invaliden noch sehr zu gute kommt, was ihnen wohl zu gönnen
ist. Mit dem Gesagten möchte ich nur erläutern, daß die oben erwähnte Lücke
zwischen Kranken- und Juvalideugeld nur theoretisch, uicht in nennenswertem
Maße praktisch besteht. Um so klaffendere Lücken giebt es jedoch bei den
innern Beziehungen dieser beiden Nersicherungseinrichtungen, die sich in ihren
Aufgaben und Zielen doch ergänzen und decken sollen.

Warum geht mau nicht an die Aufgabe heran, die beiden Versicherungen
zusammenzulegen? Das wäre eine rstorinaUo in o^xito et insrnbris. Würde
die Krankenversicherung territorial den Versicherungsanstalten angegliedert, so
könnten ihre Aufgaben in ganz andrer Weise in Angriff genommen werden.
Die Anstalten, die alle Beobachtungen und Erfahrungen ein den verschiednen
Orten sammeln und sichten, würden sich den örtlichen Verhältnissen und den
verschiednen Interessen der Berufskategorien mehr anpassen, als es die zer¬
splitterten Krankenkassen thun. In kleinen Städten und uns dein Lande
würden sie andre Einrichtungen treffen als in den Großstädten. In diesen
könnten sie entsprechend den heutigen Ortskrankenkassen die Versicherten in
einer Reihe verwandter Berufe mit gleicher Gefahrenklasse unterbringen. An¬
genommen, in einer Großstadt würden die etwa vorhandnen hunderttausend
Versicherten in zehn verschiedne Sektionen verwandter Berufsarten geteilt. In
einer für die Versicherten und für die Ärzte bequemern Weise ließen sich da
zehn Arzte für die zehntausend Versicherten der Sektion in zehn verschiednen
Distrikten anstellen. Unter diese«: zehn Sektionsürzten könnte auch je nach
den Verhältnissen freie Arztwahl eingeführt werden, die häufig von den Kassen¬
mitgliedern gefordert wird, von der die meisten Versicherten aber keinen Ge¬
brauch machen. Sie wenden fich in der Regel doch an den zunächst wohnenden
Arzt. So würde jemand z. B. dreißig Jahre lang Arzt sein können für den¬
selben Bezirk und dieselben Versicherten. Eine solche Stetigkeit läge im
Interesse der Krankenversicherung eben so sehr, wie im Interesse der Invaliden-
versicherung. Denn wenn man als Arzt jahrelang, jahrzehntelang die Mehr¬
zahl der in dem Bezirk wohnenden, in die betreffende Sektion gehörenden
Versicherten behandelt hat, die ganze Konjunktur und Lage der Berufe kennen
gelernt hat, so wird man auch gerecht urteilen können wegen des Zeitpunkts,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/220>, abgerufen am 03.07.2024.