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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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französischen Landesl'cscstignugcn

kaltem Blute in die Hand nehmen. Aber -- wie man höre sei er bei
seiner ersten Ansicht stehn geblieben, und es sei nun am Senat, neue Erörte¬
rungen anzustellen. Die hauptsächlichsten Bedenken des obersten Kriegsrath
gegen die Erhaltung der jetzigen Befestigungen sind nach dem Artikel des
'Isirixs folgende:

1, Um den Befestigungen die nötige Widerstandskraft gegen die moderne
Artilleriewirkung zu geben, müßten sie dekoriert oder mit andern sehr kost¬
spieligen Bekleidungen versehen werden. Diese Ausgabe würde so groß sein,
daß man darauf verzichten müsse, mit Ausnahme einer kleinen Anzahl, --
Hierzu bemerkt der?sinps, daß diese Erwägung gewiß ihre Berechtigung habe
für Werke zweiten Rangs, wenn es sich aber um so wichtige Punkte handle
wie Langres und Lille, so solle man nur getrost an die Opferwilligkeit des
Volkes appellieren.

2, Man könne und dürfe nicht den oder jenen Teil des Verteidigungs¬
plans beurteilen, wenn man nicht das Ganze des Kriegsplans kenne, -- Hierauf
erwidert der 'I'omx8, daß dies wohl richtig sei, aber wie solle man sich die
gleichzeitige Durchführung des Projekts erklären, wenn man nicht annehmen
wolle, daß die französische Armee in Zukunft lediglich zur unbedingten Defen¬
sive verurteilt werden solle, die notwendigerweise zur Niederlage führen müsse.
Sollte, heißt es zum Schluß, der Minister nicht die Initiative ergreifen, das
Projekt zurückzuziehn -- wie es jetzt heißt --, so müsse es Aufgabe des
Senats sein, sich gegen die Übertreibungen der Vorlage vom Jahre 1899 nus-
znsprcchen.

Man ersieht ans diesen Betrachtungen, in welche Aufregung und -- man
kann wohl sagen -- in welche Angst die französische Negierung vor zwei
Jahren durch die Vorgänge in Fcischodn versetzt worden war, und es erscheint
-- wenn man jetzt nicht schwarz auf weiß die Bestätigung fände -- kaum
glaublich, daß damals wirklich die Küstenbefestigungen weder armiert noch be¬
mannt waren, sodaß man, um einem Handstreiche der englischen Flotte auch
nur annähernd begegnen zu können, genötigt war, die Landbefestigungen, auch
die der Ostgrenze, von Truppen und Geschützen zu entblößen.

Da sich die Denkschrift der sechzig Bürgermeister, sowie alle sonst an die
Öffentlichkeit gelangten Proteste vor allem gegen das Aufgeben von Langres
und Lille wenden, so dürfte es von Interesse sein, über diese beiden Befesti¬
gungen hier einige nähere Angaben zu machen, indem wir uns in der Haupt¬
sache an das Werk von E, Tcnot: II" ^ronbivriz halten,") Die Festung Langres
liegt im Departement Häute Marne auf dem berühmten Plateau de Langres.
Die Plane für die Befestigung stammen ans den Jahren 1814 und 1815, nach¬
dem die österreichisch-rilssische Jnvasivnsnrmce von Basel und Belfort bis zum
Seinebccken vorgedrungen war, ohne Widerstand zu finde", und auf diese Weise
alle in Lothringen liegenden Truppen und Verteidigungslinien im Rücken be-



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französischen Landesl'cscstignugcn

kaltem Blute in die Hand nehmen. Aber — wie man höre sei er bei
seiner ersten Ansicht stehn geblieben, und es sei nun am Senat, neue Erörte¬
rungen anzustellen. Die hauptsächlichsten Bedenken des obersten Kriegsrath
gegen die Erhaltung der jetzigen Befestigungen sind nach dem Artikel des
'Isirixs folgende:

1, Um den Befestigungen die nötige Widerstandskraft gegen die moderne
Artilleriewirkung zu geben, müßten sie dekoriert oder mit andern sehr kost¬
spieligen Bekleidungen versehen werden. Diese Ausgabe würde so groß sein,
daß man darauf verzichten müsse, mit Ausnahme einer kleinen Anzahl, —
Hierzu bemerkt der?sinps, daß diese Erwägung gewiß ihre Berechtigung habe
für Werke zweiten Rangs, wenn es sich aber um so wichtige Punkte handle
wie Langres und Lille, so solle man nur getrost an die Opferwilligkeit des
Volkes appellieren.

2, Man könne und dürfe nicht den oder jenen Teil des Verteidigungs¬
plans beurteilen, wenn man nicht das Ganze des Kriegsplans kenne, — Hierauf
erwidert der 'I'omx8, daß dies wohl richtig sei, aber wie solle man sich die
gleichzeitige Durchführung des Projekts erklären, wenn man nicht annehmen
wolle, daß die französische Armee in Zukunft lediglich zur unbedingten Defen¬
sive verurteilt werden solle, die notwendigerweise zur Niederlage führen müsse.
Sollte, heißt es zum Schluß, der Minister nicht die Initiative ergreifen, das
Projekt zurückzuziehn — wie es jetzt heißt —, so müsse es Aufgabe des
Senats sein, sich gegen die Übertreibungen der Vorlage vom Jahre 1899 nus-
znsprcchen.

Man ersieht ans diesen Betrachtungen, in welche Aufregung und — man
kann wohl sagen — in welche Angst die französische Negierung vor zwei
Jahren durch die Vorgänge in Fcischodn versetzt worden war, und es erscheint
— wenn man jetzt nicht schwarz auf weiß die Bestätigung fände — kaum
glaublich, daß damals wirklich die Küstenbefestigungen weder armiert noch be¬
mannt waren, sodaß man, um einem Handstreiche der englischen Flotte auch
nur annähernd begegnen zu können, genötigt war, die Landbefestigungen, auch
die der Ostgrenze, von Truppen und Geschützen zu entblößen.

Da sich die Denkschrift der sechzig Bürgermeister, sowie alle sonst an die
Öffentlichkeit gelangten Proteste vor allem gegen das Aufgeben von Langres
und Lille wenden, so dürfte es von Interesse sein, über diese beiden Befesti¬
gungen hier einige nähere Angaben zu machen, indem wir uns in der Haupt¬
sache an das Werk von E, Tcnot: II» ^ronbivriz halten,") Die Festung Langres
liegt im Departement Häute Marne auf dem berühmten Plateau de Langres.
Die Plane für die Befestigung stammen ans den Jahren 1814 und 1815, nach¬
dem die österreichisch-rilssische Jnvasivnsnrmce von Basel und Belfort bis zum
Seinebccken vorgedrungen war, ohne Widerstand zu finde», und auf diese Weise
alle in Lothringen liegenden Truppen und Verteidigungslinien im Rücken be-



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/206>, abgerufen am 01.07.2024.