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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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drohte. Die Befestigungsarbeiten begannen aber erst nach der Julirevolution 1830,
Die alte Mauer wurde erneuert, und es wurde eine Citadelle erbaut. Unter dein
zweiten Kaiserreich fügte man zwei detachierte Forts hinzu, die aber 1870 noch
nicht vollendet waren. Weder Plateau noch Festung spielten im letzten Kriege
eine große Rolle; die Deutschen begnügten sich mit einer Beobachtung durch
einige Bataillone. Trotzdem beschloß der Verteidigungsrat sofort nach dem
Friedensschluß den weitern Ausbau der begonnenen Befestigungen des Lagers.
Heute besteht die Festuugszone aus dem Platze selbst mit seinen alten Mauern
und Wällen und ans einem sehr ausgedehnten Gürtel von Außenwerken, die
alle durch Schienengcleise miteinander verbunden sind. Die beide" im Jahre
1869 begonnenen Forts sind das Fort de la Bonnelle südwestlich von der
Citadelle und das Fort de Prigney im Osten. Diese beiden Forts wurden
während des Kriegs selbst durch verschiedne Werke vervollständigt, deren Ge¬
samtumfang aber nicht mehr als dreizehn oder vierzehn Kilometer betrug. Das
neue befestigte Lager mißt hingegen zweiundfünfzig Kilometer im Umkreise.
Von ganz besonderm Interesse ist es nun aber im jetzigen Augenblick, das
Urteil Tenots über den Wert von Langres kennen zu lernen. Er vertritt
nämlich die Ansicht, daß der strategische Wert nicht sehr bedeutend sei; die
detachierten Forts seien so weit voneinander entfernt, daß eine sehr beträcht¬
liche Garnison erforderlich sei, um sie zu verteidigen. Dieser Übelstnnd werde
aber dadurch gemildert, daß das befestigte Lager von Langres überhaupt nur
als Basis für eine große Operationsarmee dienen könne. Auch als Verteidi-
gnngspivot der zweiten Linie habe es nur einen sehr fraglichen Wert, da eine
feindliche Armee, die die Mosel und die Maas überschritten habe, jedenfalls nicht
in die Sphäre von Langres kommen, sondern zwei bis drei Tagemarsche nörd¬
lich davon vorübermarschieren werde. Keine der großen Operationsliuien
werde durch Langres gesperrt. Durch diese Betrachtungen des sachverständigen
Verfassers erscheint das Projekt, Langres aufzugeben, demnach nicht als ganz
unberechtigt.

Ein andrer französischer Militärschriftsteller, der eine strategische Studie
der Nordostgrenze veröffentlichte,"-" legt allerdings mehr Wert auf Langres;
er schreibt: "Die Stellung von Langres, als Bindeglied zwischen den beiden
Operationsgebieten des Nordens und des Ostens, sperrt nicht allein einer
Jnvasionsarmee deu Weg, die dnrch die Lücke zwischen Tout und Epinal ein¬
brechen würde, sondern sie beherrscht auch die direkte Verbindungslinie von
Basel auf Paris." Immerhin bezeichnet auch er Langres hauptsächlich als
Depotplatz, und als Stützpunkt für operierende Armeen.

Für wesentlich wichtiger hält Tenot die Festung Lille, die den Teil der
Nordgrenze zwischen der Lhs und der Searpe bis zur Schelde deckt. Für einen
von Belgien her in Frankreich eindringenden Gegner - eine Rolle, die auch



*) MMs "tratöxiqrw do In, trontivrs mora-ste. an tnwoo-ÄIsmimäs x"r ig xönvr"1 X'
Paris, CHMes-LavauzelK'.

drohte. Die Befestigungsarbeiten begannen aber erst nach der Julirevolution 1830,
Die alte Mauer wurde erneuert, und es wurde eine Citadelle erbaut. Unter dein
zweiten Kaiserreich fügte man zwei detachierte Forts hinzu, die aber 1870 noch
nicht vollendet waren. Weder Plateau noch Festung spielten im letzten Kriege
eine große Rolle; die Deutschen begnügten sich mit einer Beobachtung durch
einige Bataillone. Trotzdem beschloß der Verteidigungsrat sofort nach dem
Friedensschluß den weitern Ausbau der begonnenen Befestigungen des Lagers.
Heute besteht die Festuugszone aus dem Platze selbst mit seinen alten Mauern
und Wällen und ans einem sehr ausgedehnten Gürtel von Außenwerken, die
alle durch Schienengcleise miteinander verbunden sind. Die beide» im Jahre
1869 begonnenen Forts sind das Fort de la Bonnelle südwestlich von der
Citadelle und das Fort de Prigney im Osten. Diese beiden Forts wurden
während des Kriegs selbst durch verschiedne Werke vervollständigt, deren Ge¬
samtumfang aber nicht mehr als dreizehn oder vierzehn Kilometer betrug. Das
neue befestigte Lager mißt hingegen zweiundfünfzig Kilometer im Umkreise.
Von ganz besonderm Interesse ist es nun aber im jetzigen Augenblick, das
Urteil Tenots über den Wert von Langres kennen zu lernen. Er vertritt
nämlich die Ansicht, daß der strategische Wert nicht sehr bedeutend sei; die
detachierten Forts seien so weit voneinander entfernt, daß eine sehr beträcht¬
liche Garnison erforderlich sei, um sie zu verteidigen. Dieser Übelstnnd werde
aber dadurch gemildert, daß das befestigte Lager von Langres überhaupt nur
als Basis für eine große Operationsarmee dienen könne. Auch als Verteidi-
gnngspivot der zweiten Linie habe es nur einen sehr fraglichen Wert, da eine
feindliche Armee, die die Mosel und die Maas überschritten habe, jedenfalls nicht
in die Sphäre von Langres kommen, sondern zwei bis drei Tagemarsche nörd¬
lich davon vorübermarschieren werde. Keine der großen Operationsliuien
werde durch Langres gesperrt. Durch diese Betrachtungen des sachverständigen
Verfassers erscheint das Projekt, Langres aufzugeben, demnach nicht als ganz
unberechtigt.

Ein andrer französischer Militärschriftsteller, der eine strategische Studie
der Nordostgrenze veröffentlichte,"-» legt allerdings mehr Wert auf Langres;
er schreibt: „Die Stellung von Langres, als Bindeglied zwischen den beiden
Operationsgebieten des Nordens und des Ostens, sperrt nicht allein einer
Jnvasionsarmee deu Weg, die dnrch die Lücke zwischen Tout und Epinal ein¬
brechen würde, sondern sie beherrscht auch die direkte Verbindungslinie von
Basel auf Paris." Immerhin bezeichnet auch er Langres hauptsächlich als
Depotplatz, und als Stützpunkt für operierende Armeen.

Für wesentlich wichtiger hält Tenot die Festung Lille, die den Teil der
Nordgrenze zwischen der Lhs und der Searpe bis zur Schelde deckt. Für einen
von Belgien her in Frankreich eindringenden Gegner - eine Rolle, die auch



*) MMs «tratöxiqrw do In, trontivrs mora-ste. an tnwoo-ÄIsmimäs x»r ig xönvr»1 X'
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/207>, abgerufen am 01.07.2024.