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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Die französischen Laudesliefestigunacn

sehr erschweren, i" dem Augenblick, wo die Welt das Schauspiel eines un¬
gleichen Kampfes vor Augen hat, worin die Defensive eines ganz kleinen
Volkes die Offensive einer großen Nation aufbraucht, machen Sie dem instink¬
tiven Gefühle der in Frage kommenden Bevölkerung das leichte Zugeständnis
und erhalten Sie wenigstens heute Lille und Langres in der zweiten Klasse."

Diesem Auszug aus der Denkschrift möchten nur noch einige wenige Sätze
beifügen ans einem Briefe, den derselbe Bürgernleister von Langres an den
Redakteur der?ri"lips inilitairiz richtete. Auch in diesem Briefe wird der Gesetz¬
entwurf zurückgeführt auf die Entmutigung, die nach dem Ereignis von Faschoda
eingetreten war, nud auf die Angst vor einer englischen Landung. "Das
Projekt, heißt es in dem Briefe, verfügte die sofortige Niederlegung von sechs
Festungen und opferte dreißig andre Befestigungen dadurch, daß sie in die dritte
Klasse versetzt wurden, während es achtundzwanzig weitere der zweiten Klasse
meente, was einem vollständigen Aufgeben nahe kam; nur achtzehn Werke
blieben unberührt. Die der dritten Klasse zugeteilten Befestigungen sollen
weder armiert, noch verproviantiert, noch mit Garnisonen gelassen werden, und
in die zweite Klasse wurden alle Werke versetzt, die unsre zweite Verteidigungs¬
linie bilden, die Paris sichern, und für deren Herstellung und Erhaltung man
seit fünfundzwanzig Jahren Hunderte von Millionen verwandt hat. Laon,
La Fere, Reims, Dijon, Langres und Lille sollen auf diese Weise jedes forti-
fikatorischer Werth beraubt werden. Man will Langres preisgeben, diese aus¬
gezeichnete strategische Stellung, die das berühmte Plateau und alle Verbin¬
dungen zwischen Paris lind der Ostgrenze beherrscht; ebenso Lille, den Schlüssel
unsrer Nordgrenze, um Knotenpunkt der Straßen, Kanäle und Eisenbahnen
an der Nordgrenze, eine Festung, die es seiner Zeit allein Faidherbe ermög¬
lichte, seine Armee zu organisieren und für Frankreich inmitten aller seiner
Niederlagen ein klein wenig Ruhm zu ernten." "Wir bitten Sie, heißt es
zum Schluß, mit uns einen, Alarmruf auszustoßen, der ebenso im Senat wie
in ganz Frankreich gehört werde, und der verlangt, daß man sich vorläufig mit
dem Opfer von zweiundsechzig unsrer befestigten Werke begnüge und wenigstens
für jetzt Lille und Langres unberührt läßt, oder daß man sie wenigstens der
zweiten anstatt der dritten Klasse meent."

In allernächster Zeit wird sich der französische Senat über den Gesetz¬
entwurf schlüssig zu machen haben, und mau weiß jetzt schon, daß man dem
Protest der sechzig Bürgermeister weitgehende Beachtung schenken wird. Diese
Überzeugung hat erneute Bestätigung gefunden durch einen Artikel, der vor
wenig Tagen in dem lönixs erschien, einem Blatt, das bekanntlich gute Be¬
ziehungen'zur Regierung unterhält. Dieser Artikel erinnert noch einmal an
die Thatsache, daß die in Frage kommenden Befestigungen im Laufe der fünf¬
undzwanzig Jahre mit ungeheuern Kosten teils neu hergestellt, teils unter¬
halten worden sind, lind bestätigt auch im übrigen alle die Angaben, die in
der Denkschrift des Bürgermeisters von Langres niedergelegt sind. Der oberste
Kriegsrat könne wohl die Prüfung der ganzen Frage noch einmal und mit


Die französischen Laudesliefestigunacn

sehr erschweren, i» dem Augenblick, wo die Welt das Schauspiel eines un¬
gleichen Kampfes vor Augen hat, worin die Defensive eines ganz kleinen
Volkes die Offensive einer großen Nation aufbraucht, machen Sie dem instink¬
tiven Gefühle der in Frage kommenden Bevölkerung das leichte Zugeständnis
und erhalten Sie wenigstens heute Lille und Langres in der zweiten Klasse."

Diesem Auszug aus der Denkschrift möchten nur noch einige wenige Sätze
beifügen ans einem Briefe, den derselbe Bürgernleister von Langres an den
Redakteur der?ri»lips inilitairiz richtete. Auch in diesem Briefe wird der Gesetz¬
entwurf zurückgeführt auf die Entmutigung, die nach dem Ereignis von Faschoda
eingetreten war, nud auf die Angst vor einer englischen Landung. „Das
Projekt, heißt es in dem Briefe, verfügte die sofortige Niederlegung von sechs
Festungen und opferte dreißig andre Befestigungen dadurch, daß sie in die dritte
Klasse versetzt wurden, während es achtundzwanzig weitere der zweiten Klasse
meente, was einem vollständigen Aufgeben nahe kam; nur achtzehn Werke
blieben unberührt. Die der dritten Klasse zugeteilten Befestigungen sollen
weder armiert, noch verproviantiert, noch mit Garnisonen gelassen werden, und
in die zweite Klasse wurden alle Werke versetzt, die unsre zweite Verteidigungs¬
linie bilden, die Paris sichern, und für deren Herstellung und Erhaltung man
seit fünfundzwanzig Jahren Hunderte von Millionen verwandt hat. Laon,
La Fere, Reims, Dijon, Langres und Lille sollen auf diese Weise jedes forti-
fikatorischer Werth beraubt werden. Man will Langres preisgeben, diese aus¬
gezeichnete strategische Stellung, die das berühmte Plateau und alle Verbin¬
dungen zwischen Paris lind der Ostgrenze beherrscht; ebenso Lille, den Schlüssel
unsrer Nordgrenze, um Knotenpunkt der Straßen, Kanäle und Eisenbahnen
an der Nordgrenze, eine Festung, die es seiner Zeit allein Faidherbe ermög¬
lichte, seine Armee zu organisieren und für Frankreich inmitten aller seiner
Niederlagen ein klein wenig Ruhm zu ernten." „Wir bitten Sie, heißt es
zum Schluß, mit uns einen, Alarmruf auszustoßen, der ebenso im Senat wie
in ganz Frankreich gehört werde, und der verlangt, daß man sich vorläufig mit
dem Opfer von zweiundsechzig unsrer befestigten Werke begnüge und wenigstens
für jetzt Lille und Langres unberührt läßt, oder daß man sie wenigstens der
zweiten anstatt der dritten Klasse meent."

In allernächster Zeit wird sich der französische Senat über den Gesetz¬
entwurf schlüssig zu machen haben, und mau weiß jetzt schon, daß man dem
Protest der sechzig Bürgermeister weitgehende Beachtung schenken wird. Diese
Überzeugung hat erneute Bestätigung gefunden durch einen Artikel, der vor
wenig Tagen in dem lönixs erschien, einem Blatt, das bekanntlich gute Be¬
ziehungen'zur Regierung unterhält. Dieser Artikel erinnert noch einmal an
die Thatsache, daß die in Frage kommenden Befestigungen im Laufe der fünf¬
undzwanzig Jahre mit ungeheuern Kosten teils neu hergestellt, teils unter¬
halten worden sind, lind bestätigt auch im übrigen alle die Angaben, die in
der Denkschrift des Bürgermeisters von Langres niedergelegt sind. Der oberste
Kriegsrat könne wohl die Prüfung der ganzen Frage noch einmal und mit


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[0205] Die französischen Laudesliefestigunacn sehr erschweren, i» dem Augenblick, wo die Welt das Schauspiel eines un¬ gleichen Kampfes vor Augen hat, worin die Defensive eines ganz kleinen Volkes die Offensive einer großen Nation aufbraucht, machen Sie dem instink¬ tiven Gefühle der in Frage kommenden Bevölkerung das leichte Zugeständnis und erhalten Sie wenigstens heute Lille und Langres in der zweiten Klasse." Diesem Auszug aus der Denkschrift möchten nur noch einige wenige Sätze beifügen ans einem Briefe, den derselbe Bürgernleister von Langres an den Redakteur der?ri»lips inilitairiz richtete. Auch in diesem Briefe wird der Gesetz¬ entwurf zurückgeführt auf die Entmutigung, die nach dem Ereignis von Faschoda eingetreten war, nud auf die Angst vor einer englischen Landung. „Das Projekt, heißt es in dem Briefe, verfügte die sofortige Niederlegung von sechs Festungen und opferte dreißig andre Befestigungen dadurch, daß sie in die dritte Klasse versetzt wurden, während es achtundzwanzig weitere der zweiten Klasse meente, was einem vollständigen Aufgeben nahe kam; nur achtzehn Werke blieben unberührt. Die der dritten Klasse zugeteilten Befestigungen sollen weder armiert, noch verproviantiert, noch mit Garnisonen gelassen werden, und in die zweite Klasse wurden alle Werke versetzt, die unsre zweite Verteidigungs¬ linie bilden, die Paris sichern, und für deren Herstellung und Erhaltung man seit fünfundzwanzig Jahren Hunderte von Millionen verwandt hat. Laon, La Fere, Reims, Dijon, Langres und Lille sollen auf diese Weise jedes forti- fikatorischer Werth beraubt werden. Man will Langres preisgeben, diese aus¬ gezeichnete strategische Stellung, die das berühmte Plateau und alle Verbin¬ dungen zwischen Paris lind der Ostgrenze beherrscht; ebenso Lille, den Schlüssel unsrer Nordgrenze, um Knotenpunkt der Straßen, Kanäle und Eisenbahnen an der Nordgrenze, eine Festung, die es seiner Zeit allein Faidherbe ermög¬ lichte, seine Armee zu organisieren und für Frankreich inmitten aller seiner Niederlagen ein klein wenig Ruhm zu ernten." „Wir bitten Sie, heißt es zum Schluß, mit uns einen, Alarmruf auszustoßen, der ebenso im Senat wie in ganz Frankreich gehört werde, und der verlangt, daß man sich vorläufig mit dem Opfer von zweiundsechzig unsrer befestigten Werke begnüge und wenigstens für jetzt Lille und Langres unberührt läßt, oder daß man sie wenigstens der zweiten anstatt der dritten Klasse meent." In allernächster Zeit wird sich der französische Senat über den Gesetz¬ entwurf schlüssig zu machen haben, und mau weiß jetzt schon, daß man dem Protest der sechzig Bürgermeister weitgehende Beachtung schenken wird. Diese Überzeugung hat erneute Bestätigung gefunden durch einen Artikel, der vor wenig Tagen in dem lönixs erschien, einem Blatt, das bekanntlich gute Be¬ ziehungen'zur Regierung unterhält. Dieser Artikel erinnert noch einmal an die Thatsache, daß die in Frage kommenden Befestigungen im Laufe der fünf¬ undzwanzig Jahre mit ungeheuern Kosten teils neu hergestellt, teils unter¬ halten worden sind, lind bestätigt auch im übrigen alle die Angaben, die in der Denkschrift des Bürgermeisters von Langres niedergelegt sind. Der oberste Kriegsrat könne wohl die Prüfung der ganzen Frage noch einmal und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/205>, abgerufen am 29.06.2024.