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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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von 31/2 Milliarde" überraschend erscheine, wenn man nicht genng Mittel habe,
die einmal bestehenden Befestigungen zu unterhalten. Sei dies aber wirklich
der Fall, so müsse man die nötigen pekuniären Opfer vom Lande fordern.
Man könne ja einzelne kleine Plätze, die gar keinen Defensivwert hätten, offen
lassen, aber die großen Plätze, die befestigten Lager und namentlich die großen
Defensivstellungen, wie ganz besonders Lille und Langres, müsse man unter
allen Verhältnissen in vollkommen kriegs- und verteidignngsfähigem Stande
erhalten.

Von größer": Eindruck als die verschiedne" Äußerungen in der Presse
war aber eine Denkschrift, die der Bürgermeister von Langres im Namen von
sechzig Moires der Städte im Norden und Osten Frankreichs an den Senat
eingereicht hat. Durch diese Denkschrift sah sich der Kriegsminister veranlaßt,
die Senatoren, die der Armeekommission angehöre", zu einer Beratung einzu¬
laden, deren Ergebnis es war, daß der Minister das Projekt vom Jahre 1899
vorläufig zurückzog und eine Abänderung zusagte. Es erscheint nnter diesen
Umständen angezeigt, einige wesentliche Stellen dieser interessanten Denkschrift,
die bei uns ziemlich unbekannt geblieben ist, hier wiederzugeben: "Die Genie-
trnppe, die die Defensive vertritt, nimmt gegenwärtig unglücklicherweise keine
hervorragende Stelle ein; die Artillerie, die Waffe des Angriffs, hat allen
Einfluß an sich gerissen. Der Generalissimus, General Brugere, der Minister,
die Mitglieder seines Militärkabinetts und die meiste" Generale, die den obersten
Kriegsrat bilden, gehören der Artillerie an. Berauscht vou der Wirkung ihrer
Geschütze und von der Macht der neuen Explosivstoffe träumen sie nur von
einer alles vernichtenden Offensive, berauben, um sie durchzuführen, die Defen¬
sive aller ihrer Mittel und erklären sie für illusorisch. Das Projekt der De¬
klassierung der Festungen konnte, dn es unmittelbnr nach den Ereignissen von
Faschodn entworfen wurde, als ein Akt der Verzweiflung betrachtet werden.
Zu den: Zwecke, die Küsten, die ernstlich bedroht erschienen, sofort in verteidi-
gnngsfnhigen Zustand zu versetzen, entwaffnete man die Landesgrenzen, und
die Größe der Gefahr konnte dieses äußerste Mittel rechtfertigen. Aber hente,
wo die Gefahr verschwunden ist, sollte man unbedingt auf diese Maßregeln der
Fassuugslosigkeit verzichten." Indem sich die Denkschrift nun direkt um den
Senat wendet, heißt es weiter: "Ich überlasse Ihnen alle diese Festungen, für
die Sie seit dreißig Jahren so viel Geld und so viele Opfer verlangt haben;
aber ich bitte Sie, für fünf oder sechs Jahre die Entfestigung von Langres
und Lille aufzuschieben und dem Minister, auch gegen seinen Willen, die Mög¬
lichkeit zu erhalten, in einem Augenblicke des Unglücks diese beide" Pforten
Frankreichs zu schließen, die die festeste Bürgschaft für die Neutralität der
Schweiz und Belgiens bieten, die Paris sichern, und die verhindern können,
daß unsre Ostarmee in, Rücken gefaßt werde. Später, wenn günstige Verhält¬
nisse eingetreten sind, wird es nichts schaden, mit der Niederlegung dieser
beiden Festungen gezögert zu haben. Jetzt, in den, Augenblicke, wo sich
Deutschland mit neuen Festungswerken umgiebt, die eine französische Offensive


von 31/2 Milliarde» überraschend erscheine, wenn man nicht genng Mittel habe,
die einmal bestehenden Befestigungen zu unterhalten. Sei dies aber wirklich
der Fall, so müsse man die nötigen pekuniären Opfer vom Lande fordern.
Man könne ja einzelne kleine Plätze, die gar keinen Defensivwert hätten, offen
lassen, aber die großen Plätze, die befestigten Lager und namentlich die großen
Defensivstellungen, wie ganz besonders Lille und Langres, müsse man unter
allen Verhältnissen in vollkommen kriegs- und verteidignngsfähigem Stande
erhalten.

Von größer»: Eindruck als die verschiedne» Äußerungen in der Presse
war aber eine Denkschrift, die der Bürgermeister von Langres im Namen von
sechzig Moires der Städte im Norden und Osten Frankreichs an den Senat
eingereicht hat. Durch diese Denkschrift sah sich der Kriegsminister veranlaßt,
die Senatoren, die der Armeekommission angehöre», zu einer Beratung einzu¬
laden, deren Ergebnis es war, daß der Minister das Projekt vom Jahre 1899
vorläufig zurückzog und eine Abänderung zusagte. Es erscheint nnter diesen
Umständen angezeigt, einige wesentliche Stellen dieser interessanten Denkschrift,
die bei uns ziemlich unbekannt geblieben ist, hier wiederzugeben: „Die Genie-
trnppe, die die Defensive vertritt, nimmt gegenwärtig unglücklicherweise keine
hervorragende Stelle ein; die Artillerie, die Waffe des Angriffs, hat allen
Einfluß an sich gerissen. Der Generalissimus, General Brugere, der Minister,
die Mitglieder seines Militärkabinetts und die meiste» Generale, die den obersten
Kriegsrat bilden, gehören der Artillerie an. Berauscht vou der Wirkung ihrer
Geschütze und von der Macht der neuen Explosivstoffe träumen sie nur von
einer alles vernichtenden Offensive, berauben, um sie durchzuführen, die Defen¬
sive aller ihrer Mittel und erklären sie für illusorisch. Das Projekt der De¬
klassierung der Festungen konnte, dn es unmittelbnr nach den Ereignissen von
Faschodn entworfen wurde, als ein Akt der Verzweiflung betrachtet werden.
Zu den: Zwecke, die Küsten, die ernstlich bedroht erschienen, sofort in verteidi-
gnngsfnhigen Zustand zu versetzen, entwaffnete man die Landesgrenzen, und
die Größe der Gefahr konnte dieses äußerste Mittel rechtfertigen. Aber hente,
wo die Gefahr verschwunden ist, sollte man unbedingt auf diese Maßregeln der
Fassuugslosigkeit verzichten." Indem sich die Denkschrift nun direkt um den
Senat wendet, heißt es weiter: „Ich überlasse Ihnen alle diese Festungen, für
die Sie seit dreißig Jahren so viel Geld und so viele Opfer verlangt haben;
aber ich bitte Sie, für fünf oder sechs Jahre die Entfestigung von Langres
und Lille aufzuschieben und dem Minister, auch gegen seinen Willen, die Mög¬
lichkeit zu erhalten, in einem Augenblicke des Unglücks diese beide» Pforten
Frankreichs zu schließen, die die festeste Bürgschaft für die Neutralität der
Schweiz und Belgiens bieten, die Paris sichern, und die verhindern können,
daß unsre Ostarmee in, Rücken gefaßt werde. Später, wenn günstige Verhält¬
nisse eingetreten sind, wird es nichts schaden, mit der Niederlegung dieser
beiden Festungen gezögert zu haben. Jetzt, in den, Augenblicke, wo sich
Deutschland mit neuen Festungswerken umgiebt, die eine französische Offensive


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/204>, abgerufen am 26.06.2024.