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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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haben, um Aufgaben zu lösen, die die einzelnen Kassen nicht in Angriff nehmen
können. Ich weiß, daß die Berliner Zentralkommission im Verein mit dem
Roten Krenz im letzten Sommer für Kranke eine Erholungsstätte im Freien
geschaffen hat; ich halte es für höchst verdienstlich, daß diese Kommission Vor
tragseykleu veranstaltet hat über Wohnungs- und Kleidnngshygiene, über Ge¬
werbekrankheiten, Alwholismns usw. Mit Genugthuung habe ich Kenntnis
davon genommen, daß die Ortskrankenkasse für Kaufleute in Berlin erst jüngst
Erhebungen und Untersuchungen angestellt hat über die durch mangelnde Sitz¬
gelegenheit entstehenden Gesnndheitsschndigungcn, und daß sie dem Vuudesrat
daraufhin eine Denkschrift überreicht hat, die schon zu einem Erlaß der Be¬
hörde geführt hat. Aber solche Bethätigungen der Krankenkassen im Dienste
der Sozialreform, im Dienste einer sittlichen Hebung des Volkes sind leider
nur Ausnahme geblieben,

(Fortsetzung folgt)




Die Tagesansicht Gustav Theodor Rechners
Friedrich Ratzel Don

in Naturforscher von anerkannter Größe der Persönlichkeit und
der Erfolge, der Gott mit derselben Hingebung sucht, mit der er
den Naturgesetzen nachforschte, und mit noch größerer, und der
seinen Gottesglauben mit hingebender Offenheit bekennt, ist in
Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnte" Jahrhunderts
eine so seltne Erscheinung, daß er sich auch aus mächtigem Umgebungen als
der seiner Fachgenossen abhöbe, strahlend für einige, dunkel für viele. Er ist
überhaupt im Geistesleben dieses Zeitalters und bis in die Gegenwart herein
eine seltne Erscheinung, Wenn auch nicht bei allen Völkern eine materialistische,
jedes Gefühl vou Zugehörigkeit zu einem Wesen und einer Welt über dem,
was greifbar und zeitlich ist, als Schwäche verhöhnende Strömung so mächtig
geworden ist, wie in Dentschland, so durchdringt doch ein Widerwille zu glauben
die ganze Kultur, an der das neunzehnte Jahrhundert gebant hat, Wohl hat
es Männer von anerkannten Leistungen in der Naturwissenschaft gegeben, ich
nenne nur Karl Ernst von Baer und Louis Agassiz, die sich nicht gescheut haben,
in der Natur, die sie so erfolgreich durchforschten, das Werk eines höhern
Wesens zu verehren, das ihnen hoch über die Sphäre hinausreichte, wo ihre
Arbeiten sich bewegen. Aber so wie Gustav Theodor Fechner hat sich von diesen
und ihren Geistesverwandten keiner in das Wesen Gottes und des Jenseits ver¬
tieft. Gerade darum kann sich an Fechner eine Weltanschauung anschließen, die
Gott in der Welt und die Welt in Gott sieht, und zu glauben wagt, ohne das


Grenzbowi II 1901 22

haben, um Aufgaben zu lösen, die die einzelnen Kassen nicht in Angriff nehmen
können. Ich weiß, daß die Berliner Zentralkommission im Verein mit dem
Roten Krenz im letzten Sommer für Kranke eine Erholungsstätte im Freien
geschaffen hat; ich halte es für höchst verdienstlich, daß diese Kommission Vor
tragseykleu veranstaltet hat über Wohnungs- und Kleidnngshygiene, über Ge¬
werbekrankheiten, Alwholismns usw. Mit Genugthuung habe ich Kenntnis
davon genommen, daß die Ortskrankenkasse für Kaufleute in Berlin erst jüngst
Erhebungen und Untersuchungen angestellt hat über die durch mangelnde Sitz¬
gelegenheit entstehenden Gesnndheitsschndigungcn, und daß sie dem Vuudesrat
daraufhin eine Denkschrift überreicht hat, die schon zu einem Erlaß der Be¬
hörde geführt hat. Aber solche Bethätigungen der Krankenkassen im Dienste
der Sozialreform, im Dienste einer sittlichen Hebung des Volkes sind leider
nur Ausnahme geblieben,

(Fortsetzung folgt)




Die Tagesansicht Gustav Theodor Rechners
Friedrich Ratzel Don

in Naturforscher von anerkannter Größe der Persönlichkeit und
der Erfolge, der Gott mit derselben Hingebung sucht, mit der er
den Naturgesetzen nachforschte, und mit noch größerer, und der
seinen Gottesglauben mit hingebender Offenheit bekennt, ist in
Deutschland in der zweiten Hälfte des neunzehnte» Jahrhunderts
eine so seltne Erscheinung, daß er sich auch aus mächtigem Umgebungen als
der seiner Fachgenossen abhöbe, strahlend für einige, dunkel für viele. Er ist
überhaupt im Geistesleben dieses Zeitalters und bis in die Gegenwart herein
eine seltne Erscheinung, Wenn auch nicht bei allen Völkern eine materialistische,
jedes Gefühl vou Zugehörigkeit zu einem Wesen und einer Welt über dem,
was greifbar und zeitlich ist, als Schwäche verhöhnende Strömung so mächtig
geworden ist, wie in Dentschland, so durchdringt doch ein Widerwille zu glauben
die ganze Kultur, an der das neunzehnte Jahrhundert gebant hat, Wohl hat
es Männer von anerkannten Leistungen in der Naturwissenschaft gegeben, ich
nenne nur Karl Ernst von Baer und Louis Agassiz, die sich nicht gescheut haben,
in der Natur, die sie so erfolgreich durchforschten, das Werk eines höhern
Wesens zu verehren, das ihnen hoch über die Sphäre hinausreichte, wo ihre
Arbeiten sich bewegen. Aber so wie Gustav Theodor Fechner hat sich von diesen
und ihren Geistesverwandten keiner in das Wesen Gottes und des Jenseits ver¬
tieft. Gerade darum kann sich an Fechner eine Weltanschauung anschließen, die
Gott in der Welt und die Welt in Gott sieht, und zu glauben wagt, ohne das


Grenzbowi II 1901 22
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/177>, abgerufen am 03.07.2024.