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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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poetisches Verstäuduis und Interesse wecken und vor allem die Motive der
gesetzliche>l Bestinlmuligen klar machen müßte. So allein würden die Millionen
Versicherter einsehen lerne", daß der Staat wirklich seine Aufgabe ernst nimmt,
die Arbeiterbevölkerung wesentlich ans Kosten der Unternehmer gegen die wirt¬
schaftlichen Nachteile der durch Krankheit, Unfälle oder allgemeinen Verfall der
Kräfte entstehende Erwerbsnnfähigkeit zu schützen, Nur wenn die Versicherten
versteh", warum die Leistungen der Arbeiterversicherung in bestimmten Grenzen
bleiben müssen, kaun die vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung erreicht werden,
den Klassenhaß und den Klassengegensatz zu vermindern und einen zufriedner
Arbeiterstand zu schaffe". Doch wie selten habe ich es gefunden, daß die
Krankenkassen ihre Aufgabe so auffaßten, wie selten habe ich gesehen, daß die
Krankenkassen den Mitgliedern behilflich waren, Allträge zu stellen, daß sich
die Landesversichernngsanstalten ihrer annähmen, wie selten habe ich es ge¬
funden, daß die Krankenkassen die Bescheinigungen über die für die Invaliden¬
versicherung anrechnlingsfähigen .Krankheiten gaben und die Bedeutung dieser
Bescheinigungen den Mitgliedern klar machten. Wie selten habe ich es be¬
obachtet, daß die Krankenkassen ihre Mitglieder bei Vetriebsuufülle" darauf
aufmerksam machten, daß ihnen von der vierten Woche an ein durch das soge¬
nannte "Unfallgeld" erhöhtes Krankengeld zustehe!

Der Fehler liegt in der Zersplitterung der Kassen, Dieser Zustand hat
ein fortwährendes Hin- lind Herwerfe" aus einer Kasse in die andre zur Folge
und hindert dadurch, daß sich bei den Mitgliedern Verständnis lind dauerndes
Interesse für die Kasse und deren Errichtungen entwickelt. Außerdem hat die
übliche, sich immer mehr parteipolitisch gestaltende Einrichtung der Vorstands-
wnhl einen häufigen Wechsel der leitenden Organe zur Folge, giebt anch keine
genügende Bürgschaft für eine stetige, einsichtsvolle, gewissenhafte Geschäfts¬
führung, In den Vorständen fehlen meines Ernchtens über den Parteien
stehende sachkundige, autoritative, dauernd mit der Krankenversicherung ver¬
bundn? Beamte, die nur die hohe" Zwecke der soziale" Versicherung im Auge
haben, unbekümmert um die parteipolitische Gruppierung des Vorstands, die
Trüger eines innern Fortschritts hätten sein können. So ist es auch zu er¬
klären, daß die Krankenkassen nnr notdürftig ihre Pflicht thun, und daß sie
häufig sogar gegen gesetzliche Bestimmungen sündigen.

Die Organisation und die absolute Selbstverwaltung sind die Hauptursachen
der mangelhaften Zustände, Die Trüger der Krankenversicherung sind ihrer
Aufgabe nicht gewachsen, es fehlen ihnen die nötigen Geistes- und Charakter¬
eigenschaften und die wirtschaftliche Einsicht, ihr Verantwortlichkeitsgefühl und
ihr Gesichtskreis entsprechen nicht der Größe der Aufgabe, Natürlich ist das
vuin Al'iMo "Alis zu verstehn. Ich verkenne nicht, daß eine ganze Anzahl
Kassen alle Fragen mit Geschick, weitem Blick und Takt angefaßt hat, ich
weiß wohl, was einzelne Kassen geleistet haben, ich erkenne die Verdienste der
Berliner Zentralkommission der Krankenkassen durchaus an, in der sich viele
erfahrne, einsichtige und verdienstvolle Vertreter von Krankenkassen vereinigt


poetisches Verstäuduis und Interesse wecken und vor allem die Motive der
gesetzliche>l Bestinlmuligen klar machen müßte. So allein würden die Millionen
Versicherter einsehen lerne», daß der Staat wirklich seine Aufgabe ernst nimmt,
die Arbeiterbevölkerung wesentlich ans Kosten der Unternehmer gegen die wirt¬
schaftlichen Nachteile der durch Krankheit, Unfälle oder allgemeinen Verfall der
Kräfte entstehende Erwerbsnnfähigkeit zu schützen, Nur wenn die Versicherten
versteh», warum die Leistungen der Arbeiterversicherung in bestimmten Grenzen
bleiben müssen, kaun die vom Gesetzgeber beabsichtigte Wirkung erreicht werden,
den Klassenhaß und den Klassengegensatz zu vermindern und einen zufriedner
Arbeiterstand zu schaffe». Doch wie selten habe ich es gefunden, daß die
Krankenkassen ihre Aufgabe so auffaßten, wie selten habe ich gesehen, daß die
Krankenkassen den Mitgliedern behilflich waren, Allträge zu stellen, daß sich
die Landesversichernngsanstalten ihrer annähmen, wie selten habe ich es ge¬
funden, daß die Krankenkassen die Bescheinigungen über die für die Invaliden¬
versicherung anrechnlingsfähigen .Krankheiten gaben und die Bedeutung dieser
Bescheinigungen den Mitgliedern klar machten. Wie selten habe ich es be¬
obachtet, daß die Krankenkassen ihre Mitglieder bei Vetriebsuufülle» darauf
aufmerksam machten, daß ihnen von der vierten Woche an ein durch das soge¬
nannte „Unfallgeld" erhöhtes Krankengeld zustehe!

Der Fehler liegt in der Zersplitterung der Kassen, Dieser Zustand hat
ein fortwährendes Hin- lind Herwerfe» aus einer Kasse in die andre zur Folge
und hindert dadurch, daß sich bei den Mitgliedern Verständnis lind dauerndes
Interesse für die Kasse und deren Errichtungen entwickelt. Außerdem hat die
übliche, sich immer mehr parteipolitisch gestaltende Einrichtung der Vorstands-
wnhl einen häufigen Wechsel der leitenden Organe zur Folge, giebt anch keine
genügende Bürgschaft für eine stetige, einsichtsvolle, gewissenhafte Geschäfts¬
führung, In den Vorständen fehlen meines Ernchtens über den Parteien
stehende sachkundige, autoritative, dauernd mit der Krankenversicherung ver¬
bundn? Beamte, die nur die hohe» Zwecke der soziale» Versicherung im Auge
haben, unbekümmert um die parteipolitische Gruppierung des Vorstands, die
Trüger eines innern Fortschritts hätten sein können. So ist es auch zu er¬
klären, daß die Krankenkassen nnr notdürftig ihre Pflicht thun, und daß sie
häufig sogar gegen gesetzliche Bestimmungen sündigen.

Die Organisation und die absolute Selbstverwaltung sind die Hauptursachen
der mangelhaften Zustände, Die Trüger der Krankenversicherung sind ihrer
Aufgabe nicht gewachsen, es fehlen ihnen die nötigen Geistes- und Charakter¬
eigenschaften und die wirtschaftliche Einsicht, ihr Verantwortlichkeitsgefühl und
ihr Gesichtskreis entsprechen nicht der Größe der Aufgabe, Natürlich ist das
vuin Al'iMo «Alis zu verstehn. Ich verkenne nicht, daß eine ganze Anzahl
Kassen alle Fragen mit Geschick, weitem Blick und Takt angefaßt hat, ich
weiß wohl, was einzelne Kassen geleistet haben, ich erkenne die Verdienste der
Berliner Zentralkommission der Krankenkassen durchaus an, in der sich viele
erfahrne, einsichtige und verdienstvolle Vertreter von Krankenkassen vereinigt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/176>, abgerufen am 03.07.2024.