Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.die bisher so wenig gethan haben, die sozialpolitischen Gesetze zu verwirklichen, Es wäre die Aufgabe der Krankenkassen gewesen, den Kampf gegen den Die Krankenkassen, als die Versicherungseinrichtnng, die dem einzelnen die bisher so wenig gethan haben, die sozialpolitischen Gesetze zu verwirklichen, Es wäre die Aufgabe der Krankenkassen gewesen, den Kampf gegen den Die Krankenkassen, als die Versicherungseinrichtnng, die dem einzelnen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0175" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234705"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> die bisher so wenig gethan haben, die sozialpolitischen Gesetze zu verwirklichen,<lb/> die so wenig auf die im Krankenversicherungsgesetze gegebnen Direktiven ein¬<lb/> gegangen sind, würden auch in Zukunft nicht mit großen Ideen und großem<lb/> Herzen ihre Aufgabe ergreifen. Der Vorsitzende würde sich darauf beschränken,<lb/> den Buchstaben des Gesetzes einigermaßen zu erfüllen, und die Krankenkassen<lb/> würden aus dem toten Punkt verharren. Warum, frage ich um, haben die<lb/> Krankenkassen bisher ihre Aufgabe» so sehr verkannt? Sie wären schon jetzt<lb/> in der Lage gewesen, Berufskrankenstatistik zu treiben, sie hätten einheitliche<lb/> Krankheitsbezeichnungen und Journale einführen können, sie hätten auch bei<lb/> der Bekämpfung der Krankheiten mehr thun können, sie hätten die Möglichkeit<lb/> gehabt, die unumstößliche»! Errungenschaften der medizinischen Wissenschaft, be¬<lb/> sonders der Hygiene, den Versicherten und damit anch dem Gemeinwohl zu¬<lb/> zuführen und Kenntnisse darüber zu verbreiten. Nur wenig Kassenvorstände<lb/> haben gemeinsame Besprechungen mit den Kassenärzten eingeführt, mit der<lb/> Absicht, sich gegenseitig zu erziehn, sich gegenseitig in einer höhern Erfassung<lb/> und Lösung ihrer Aufgabe zu fördern. Gemeinsame Besprechungen sind zur<lb/> Abstellung mancher Übelstände, die besonders dem Kassenarzt sichtbar werden,<lb/> notwendig. Wie viel Aufklärung hätte über die Wohnungs- und Ernührungs-<lb/> verhültnisse der Versicherten geschafft werden können, wie viel Belehrung hätte<lb/> hineingetragen werden können in die Kreise der Mitglieder durch die autori¬<lb/> tativ dastehenden Krankenkassen!</p><lb/> <p xml:id="ID_480"> Es wäre die Aufgabe der Krankenkassen gewesen, den Kampf gegen den<lb/> Alkoholismus auf breiter Basis zu führen. Große geistige, moralische und<lb/> materielle Güter könnten geschaffen werden, wenn eine so umfassende, mit<lb/> jedem einzelnen Gliede des Volkes in Fühlung stehende Organisation wie die<lb/> Krankenversicherung den Kampf gegen den Alkohol auf ihr Programm stellte.<lb/> Denn viel schwerer als die direkten Geldopfer, die dem Einzelnen aus der<lb/> Trinkergewohnheit erwachsen, wiegen die Schädigungen der körperlichen und<lb/> der geistigen Gesundheit und der Arbeitskraft, wiegen die Krankheiten der<lb/> Nerven, des Herzens, der Leber, der Nieren, des Magens und der Blutgefäße,<lb/> die dem Alkoholismus ihre Entstehung verdanken und die Krankenkassen nächst<lb/> der Tuberkulose am meisten belasten. Abgesehen von den materiellen Vorteilen,<lb/> die die .Krankenkassen durch eine Einschränkung des Alkoholgenusses haben<lb/> würden, liegen noch andre Gründe für den Staat vor, einen systematischen<lb/> .Kampf den dazu berufnen Organen, den Krankenkassen, aufzuerlegen, das ist<lb/> die durch den Alkoholismus bewirkte zunehmende Verheerung der Volksmoral.<lb/> Gerade die Krankenkassen sind am besten in der Lage, die in der großen Masse<lb/> herrschende Illusion von der stärkenden Wirkung des Alkohols zu zerstören,<lb/> und der Allgeiueiuheit würden daraus die segensreichsten Früchte erwachsen.</p><lb/> <p xml:id="ID_481" next="#ID_482"> Die Krankenkassen, als die Versicherungseinrichtnng, die dem einzelnen<lb/> Versicherten am nächsten steht, die am häufigsten in Anspruch genommen wird,<lb/> deren Beamte mit jedem einzelnen Mitgliede in persönliche Beziehung treten,<lb/> wären meines Erachtens auch der Teil der Arbeiterversicherung, der sozial-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0175]
die bisher so wenig gethan haben, die sozialpolitischen Gesetze zu verwirklichen,
die so wenig auf die im Krankenversicherungsgesetze gegebnen Direktiven ein¬
gegangen sind, würden auch in Zukunft nicht mit großen Ideen und großem
Herzen ihre Aufgabe ergreifen. Der Vorsitzende würde sich darauf beschränken,
den Buchstaben des Gesetzes einigermaßen zu erfüllen, und die Krankenkassen
würden aus dem toten Punkt verharren. Warum, frage ich um, haben die
Krankenkassen bisher ihre Aufgabe» so sehr verkannt? Sie wären schon jetzt
in der Lage gewesen, Berufskrankenstatistik zu treiben, sie hätten einheitliche
Krankheitsbezeichnungen und Journale einführen können, sie hätten auch bei
der Bekämpfung der Krankheiten mehr thun können, sie hätten die Möglichkeit
gehabt, die unumstößliche»! Errungenschaften der medizinischen Wissenschaft, be¬
sonders der Hygiene, den Versicherten und damit anch dem Gemeinwohl zu¬
zuführen und Kenntnisse darüber zu verbreiten. Nur wenig Kassenvorstände
haben gemeinsame Besprechungen mit den Kassenärzten eingeführt, mit der
Absicht, sich gegenseitig zu erziehn, sich gegenseitig in einer höhern Erfassung
und Lösung ihrer Aufgabe zu fördern. Gemeinsame Besprechungen sind zur
Abstellung mancher Übelstände, die besonders dem Kassenarzt sichtbar werden,
notwendig. Wie viel Aufklärung hätte über die Wohnungs- und Ernührungs-
verhültnisse der Versicherten geschafft werden können, wie viel Belehrung hätte
hineingetragen werden können in die Kreise der Mitglieder durch die autori¬
tativ dastehenden Krankenkassen!
Es wäre die Aufgabe der Krankenkassen gewesen, den Kampf gegen den
Alkoholismus auf breiter Basis zu führen. Große geistige, moralische und
materielle Güter könnten geschaffen werden, wenn eine so umfassende, mit
jedem einzelnen Gliede des Volkes in Fühlung stehende Organisation wie die
Krankenversicherung den Kampf gegen den Alkohol auf ihr Programm stellte.
Denn viel schwerer als die direkten Geldopfer, die dem Einzelnen aus der
Trinkergewohnheit erwachsen, wiegen die Schädigungen der körperlichen und
der geistigen Gesundheit und der Arbeitskraft, wiegen die Krankheiten der
Nerven, des Herzens, der Leber, der Nieren, des Magens und der Blutgefäße,
die dem Alkoholismus ihre Entstehung verdanken und die Krankenkassen nächst
der Tuberkulose am meisten belasten. Abgesehen von den materiellen Vorteilen,
die die .Krankenkassen durch eine Einschränkung des Alkoholgenusses haben
würden, liegen noch andre Gründe für den Staat vor, einen systematischen
.Kampf den dazu berufnen Organen, den Krankenkassen, aufzuerlegen, das ist
die durch den Alkoholismus bewirkte zunehmende Verheerung der Volksmoral.
Gerade die Krankenkassen sind am besten in der Lage, die in der großen Masse
herrschende Illusion von der stärkenden Wirkung des Alkohols zu zerstören,
und der Allgeiueiuheit würden daraus die segensreichsten Früchte erwachsen.
Die Krankenkassen, als die Versicherungseinrichtnng, die dem einzelnen
Versicherten am nächsten steht, die am häufigsten in Anspruch genommen wird,
deren Beamte mit jedem einzelnen Mitgliede in persönliche Beziehung treten,
wären meines Erachtens auch der Teil der Arbeiterversicherung, der sozial-
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