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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks englische Politik

afrikanischen Gesellschaft ist, wie ich glaube, eine halbe Million Pfund Sterling
angelegt, in unsrer deutschen Gesellschaft etwas weniger. Legen Sie diese
beiden Beträge zusammen, und die ganze Summe ist nicht soviel wie eine
Tagesausgabe bei der bloßen Vorbereitung eines Kriegs, In diesem Falle
der' kolonialen Rivalität Englands und Deutschlands kann der Gegenstand des
Streits, so hoch man ihn auch anschlagen will, nicht auch nur einigermaßen den
gewissen Schaden aufwiegen, der aus einen, ernsthaften kriegerischen Zusammen¬
stoß zwischen England und Deutschland entstehn würde, und das alles über
die Teilung von Landstrichen, deren Wert noch sehr zweifelhaft ist. , , . Zwischen
Deutschen und Engländern ist es immer leicht, zu einem billigen und freund¬
schaftlichen Einvernehmen zu gelangen. Wir sind beide ehrliche Völker, Nur
kennen uns gut und achten uns gegenseitig aufrichtig. Es ist über diese er¬
bärmliche Geschichte so viel tolles Zeug gesprochen und geschrieben worden,
daß ein paar einfache Worte, wie sie der gesunde Menschenverstand eingiebt,
nicht schaden können,"

Auch über die südafrikanische Frage ist soviel tolles Zeug gesprochen und ge¬
schriebn, daß einfache Worte und der gesunde Menschenverstand dagegen lange
nicht aufkommen konnten. Der gesunde Menschenverstand wird -- in der
Politik wie im Leben -- geneigt sein, sich nach den beiden Worten zu richten:
"Was du nicht willst, daß man dir thu, das füg auch keinem andern zu!"
und "Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben; willst
du die andern versteh", blick in dein eigenes Herz!" Man könnte diese beiden
Sprüche als den Inbegriff der Realpolitik Bismarcks bezeichnen, aber die Ein-
tagspresse, die sich bismarckischer Weisheit rühmt, würde, wenn sie sich ihren
Inhalt zur Richtschnur machen würde, nicht prosperieren; für sie ist das
"Knurren" Geschäftsprinzip, und den, der ihr gegenüber den gesunden Menschen¬
verstand gelten lassen will und freimütig seiue wohlbegründete, wenn auch
gerade nicht populäre Anschauung äußert, beschimpft und verleumdet sie.
Zweifellos besteht eine Tradition der Waffenbrüderschaft, die Fürst Bismarck
in seinem Interview vom 2. Juli 1890 erwähnt; zweifellos schuldet auch
Deutschland dem Jnselvolke Dank als dem Gedankenquell geistiger und poli¬
tischer Freiheit, und sogar ein Chauvinist sollte nicht die Thatsache leugnen
dürfen, daß unser Handel unter dem Schutz der englischen Flagge groß ge-
worden ist. Und doch als der Leipziger Historiker Erich Marcks sich gegen
die verführte Volksstimmung erhob und die Wahrheit der Wissenschaft deu
Unwahrheiten der chauvinistischen Demagogen entgegenhielt, da verhöhnte man
sie als Professorenweisheit -- im Lande der Ehrlichkeit und der Dichter und
Denker, Die Staatsmänner allerdings haben die Haltung ihrer Presse auf
beiden Seiten und von jeher desavouiert; wie Fürst Bismarck, so war auch
die englische Negierung zu einer friedlich sachlichen Auseinandersetzung bereit.
Die Grenzen der beiderseitigen Besitzungen wurden im Laufe der Zeit sach¬
gemäß abgesteckt und damit die afrikanische Frage zwischen deu Kabiuetteu be¬
seitigt. Als Gegenstück zu den Erklärungen des Altreichskanzlers legte die


Fürst Bismarcks englische Politik

afrikanischen Gesellschaft ist, wie ich glaube, eine halbe Million Pfund Sterling
angelegt, in unsrer deutschen Gesellschaft etwas weniger. Legen Sie diese
beiden Beträge zusammen, und die ganze Summe ist nicht soviel wie eine
Tagesausgabe bei der bloßen Vorbereitung eines Kriegs, In diesem Falle
der' kolonialen Rivalität Englands und Deutschlands kann der Gegenstand des
Streits, so hoch man ihn auch anschlagen will, nicht auch nur einigermaßen den
gewissen Schaden aufwiegen, der aus einen, ernsthaften kriegerischen Zusammen¬
stoß zwischen England und Deutschland entstehn würde, und das alles über
die Teilung von Landstrichen, deren Wert noch sehr zweifelhaft ist. , , . Zwischen
Deutschen und Engländern ist es immer leicht, zu einem billigen und freund¬
schaftlichen Einvernehmen zu gelangen. Wir sind beide ehrliche Völker, Nur
kennen uns gut und achten uns gegenseitig aufrichtig. Es ist über diese er¬
bärmliche Geschichte so viel tolles Zeug gesprochen und geschrieben worden,
daß ein paar einfache Worte, wie sie der gesunde Menschenverstand eingiebt,
nicht schaden können,"

Auch über die südafrikanische Frage ist soviel tolles Zeug gesprochen und ge¬
schriebn, daß einfache Worte und der gesunde Menschenverstand dagegen lange
nicht aufkommen konnten. Der gesunde Menschenverstand wird — in der
Politik wie im Leben — geneigt sein, sich nach den beiden Worten zu richten:
„Was du nicht willst, daß man dir thu, das füg auch keinem andern zu!"
und „Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben; willst
du die andern versteh», blick in dein eigenes Herz!" Man könnte diese beiden
Sprüche als den Inbegriff der Realpolitik Bismarcks bezeichnen, aber die Ein-
tagspresse, die sich bismarckischer Weisheit rühmt, würde, wenn sie sich ihren
Inhalt zur Richtschnur machen würde, nicht prosperieren; für sie ist das
„Knurren" Geschäftsprinzip, und den, der ihr gegenüber den gesunden Menschen¬
verstand gelten lassen will und freimütig seiue wohlbegründete, wenn auch
gerade nicht populäre Anschauung äußert, beschimpft und verleumdet sie.
Zweifellos besteht eine Tradition der Waffenbrüderschaft, die Fürst Bismarck
in seinem Interview vom 2. Juli 1890 erwähnt; zweifellos schuldet auch
Deutschland dem Jnselvolke Dank als dem Gedankenquell geistiger und poli¬
tischer Freiheit, und sogar ein Chauvinist sollte nicht die Thatsache leugnen
dürfen, daß unser Handel unter dem Schutz der englischen Flagge groß ge-
worden ist. Und doch als der Leipziger Historiker Erich Marcks sich gegen
die verführte Volksstimmung erhob und die Wahrheit der Wissenschaft deu
Unwahrheiten der chauvinistischen Demagogen entgegenhielt, da verhöhnte man
sie als Professorenweisheit — im Lande der Ehrlichkeit und der Dichter und
Denker, Die Staatsmänner allerdings haben die Haltung ihrer Presse auf
beiden Seiten und von jeher desavouiert; wie Fürst Bismarck, so war auch
die englische Negierung zu einer friedlich sachlichen Auseinandersetzung bereit.
Die Grenzen der beiderseitigen Besitzungen wurden im Laufe der Zeit sach¬
gemäß abgesteckt und damit die afrikanische Frage zwischen deu Kabiuetteu be¬
seitigt. Als Gegenstück zu den Erklärungen des Altreichskanzlers legte die


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[0159] Fürst Bismarcks englische Politik afrikanischen Gesellschaft ist, wie ich glaube, eine halbe Million Pfund Sterling angelegt, in unsrer deutschen Gesellschaft etwas weniger. Legen Sie diese beiden Beträge zusammen, und die ganze Summe ist nicht soviel wie eine Tagesausgabe bei der bloßen Vorbereitung eines Kriegs, In diesem Falle der' kolonialen Rivalität Englands und Deutschlands kann der Gegenstand des Streits, so hoch man ihn auch anschlagen will, nicht auch nur einigermaßen den gewissen Schaden aufwiegen, der aus einen, ernsthaften kriegerischen Zusammen¬ stoß zwischen England und Deutschland entstehn würde, und das alles über die Teilung von Landstrichen, deren Wert noch sehr zweifelhaft ist. , , . Zwischen Deutschen und Engländern ist es immer leicht, zu einem billigen und freund¬ schaftlichen Einvernehmen zu gelangen. Wir sind beide ehrliche Völker, Nur kennen uns gut und achten uns gegenseitig aufrichtig. Es ist über diese er¬ bärmliche Geschichte so viel tolles Zeug gesprochen und geschrieben worden, daß ein paar einfache Worte, wie sie der gesunde Menschenverstand eingiebt, nicht schaden können," Auch über die südafrikanische Frage ist soviel tolles Zeug gesprochen und ge¬ schriebn, daß einfache Worte und der gesunde Menschenverstand dagegen lange nicht aufkommen konnten. Der gesunde Menschenverstand wird — in der Politik wie im Leben — geneigt sein, sich nach den beiden Worten zu richten: „Was du nicht willst, daß man dir thu, das füg auch keinem andern zu!" und „Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben; willst du die andern versteh», blick in dein eigenes Herz!" Man könnte diese beiden Sprüche als den Inbegriff der Realpolitik Bismarcks bezeichnen, aber die Ein- tagspresse, die sich bismarckischer Weisheit rühmt, würde, wenn sie sich ihren Inhalt zur Richtschnur machen würde, nicht prosperieren; für sie ist das „Knurren" Geschäftsprinzip, und den, der ihr gegenüber den gesunden Menschen¬ verstand gelten lassen will und freimütig seiue wohlbegründete, wenn auch gerade nicht populäre Anschauung äußert, beschimpft und verleumdet sie. Zweifellos besteht eine Tradition der Waffenbrüderschaft, die Fürst Bismarck in seinem Interview vom 2. Juli 1890 erwähnt; zweifellos schuldet auch Deutschland dem Jnselvolke Dank als dem Gedankenquell geistiger und poli¬ tischer Freiheit, und sogar ein Chauvinist sollte nicht die Thatsache leugnen dürfen, daß unser Handel unter dem Schutz der englischen Flagge groß ge- worden ist. Und doch als der Leipziger Historiker Erich Marcks sich gegen die verführte Volksstimmung erhob und die Wahrheit der Wissenschaft deu Unwahrheiten der chauvinistischen Demagogen entgegenhielt, da verhöhnte man sie als Professorenweisheit — im Lande der Ehrlichkeit und der Dichter und Denker, Die Staatsmänner allerdings haben die Haltung ihrer Presse auf beiden Seiten und von jeher desavouiert; wie Fürst Bismarck, so war auch die englische Negierung zu einer friedlich sachlichen Auseinandersetzung bereit. Die Grenzen der beiderseitigen Besitzungen wurden im Laufe der Zeit sach¬ gemäß abgesteckt und damit die afrikanische Frage zwischen deu Kabiuetteu be¬ seitigt. Als Gegenstück zu den Erklärungen des Altreichskanzlers legte die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/159>, abgerufen am 03.07.2024.