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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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Fürst Bismarcks englische Politik

englische Regierung ihren Standpunkt in folgender Weise dar. Am ti. März
1885 erklärte Lord Granville im Oberhause: "Ich bin überzeugt, daß es mehr
als je im Interesse Deutschlands und Englands liegt, daß unsre Beziehungen
gute sein sollen, zu einer Zeit, wo nur im Begriff stehn, uns fast in jedem
Weltteile zu begegnen. Bei den: großen und gemeinsamen Werk des Handels
und der Zivilisation sollten wir im Geiste herzlichen Zusammenwirkens vor¬
wärts gehn. Ich erkläre mit voller Aufrichtigkeit, daß alle meine Bestrebungen
dahin gerichtet sein werden, fortzufahren, soweit es in meiner Macht liegt, die
versöhnliche Politik des Fürsten Bismarck auszuführen." Und um 12. März
erklärte Gladstone, "England dürfe dem Deutschen Reiche bei dessen Kolonial¬
politik nicht mit scheelem Ange begegnen. Man dürfe nicht die Besetzung des
einen und des andern Punktes in krämerhaftem Geiste besprechen und mit
neidischem Auge das betrachten, was nicht England zufiele. Sowohl politisch
als grundsätzlich könne seitens Englands kein schwererer Fehler gemacht werden,
als solche Laune vorherrschen zu lassen. Werde Deutschland eine kolonisierende
Macht, so rufe er ihm Gottes Segen für seine Bestrebungen zu, es werde
Englands Bundesfrennd und Genosse sein zum Segen der Menschheit. Ich
begrüße seinen Eintritt in diese Thätigkeit und werde erfreulich finden, daß
es unser Genosse in der Verbreitung des Lichts und der Zivilisation in
weniger zivilisierten Gegenden wird. Es wird bei diesem Werke unsre herz-
lichsten und besten Wünsche und jede Ermutigung finden, die in unsrer
Macht steht."

Ebensowenig wie Fürst Bismarck Steine in den "englischen Garten werfen"
wollte, ebensowenig lag es im englischen Interesse, die Blüten deutscher Meeres¬
politik zu knicken. Denn für beide Völker gilt das, was der Altreichskanzler
am 16. März 1885 in der Reichstagssitznng aussprach: "Den Satz konnte
ich mir ja vollständig aneignen, daß wir, England und Deutschland, wenn
nicht ausschließlich aufeinander angewiesen, doch den Beruf haben, nach Stammes¬
verwandtschaft, nach historischen Traditionen, vor allen Dingen aber nach ge¬
meinsamen Interessen und nach der Abwesenheit widersprechender Interessen im
freundlichsten Einverständnis miteinander zu leben. Dieses Einverständnis zu
suchen bin ich seit Jahr und Tag beschäftigt."

Wie Fürst Bismarck bei seinen hier wiedergegebnen Anschauungen über
die deutsch-englischen Beziehungen die "Politiker" und die Presse alldeutscher
lind antisemitischer Weisheit angefaßt hätte, die sich jetzt in Englandhaß be¬
rauschen und über die Regierung herfallen, weil sie sich nicht von ihnen ins
Schlepptau nehmen läßt, kann man sich ungefähr ausmalen, wenn man seine
Rede vom 6. Februar 1888 liest. Er richtete an jene die Mahnung, ihre
drohenden Artikel doch lieber zu unterlassen, "sie führen zu nichts. Die
Drohung, die Nur nicht von der Regierung, aber in der Presse erfahren, ist
eigentlich eine unglaubliche Dummheit: wenn man eine große und stolze
Macht . . . durch eine drohende Zusammenstellung von Worten glaubt ein¬
schüchtern zu können."


Fürst Bismarcks englische Politik

englische Regierung ihren Standpunkt in folgender Weise dar. Am ti. März
1885 erklärte Lord Granville im Oberhause: „Ich bin überzeugt, daß es mehr
als je im Interesse Deutschlands und Englands liegt, daß unsre Beziehungen
gute sein sollen, zu einer Zeit, wo nur im Begriff stehn, uns fast in jedem
Weltteile zu begegnen. Bei den: großen und gemeinsamen Werk des Handels
und der Zivilisation sollten wir im Geiste herzlichen Zusammenwirkens vor¬
wärts gehn. Ich erkläre mit voller Aufrichtigkeit, daß alle meine Bestrebungen
dahin gerichtet sein werden, fortzufahren, soweit es in meiner Macht liegt, die
versöhnliche Politik des Fürsten Bismarck auszuführen." Und um 12. März
erklärte Gladstone, „England dürfe dem Deutschen Reiche bei dessen Kolonial¬
politik nicht mit scheelem Ange begegnen. Man dürfe nicht die Besetzung des
einen und des andern Punktes in krämerhaftem Geiste besprechen und mit
neidischem Auge das betrachten, was nicht England zufiele. Sowohl politisch
als grundsätzlich könne seitens Englands kein schwererer Fehler gemacht werden,
als solche Laune vorherrschen zu lassen. Werde Deutschland eine kolonisierende
Macht, so rufe er ihm Gottes Segen für seine Bestrebungen zu, es werde
Englands Bundesfrennd und Genosse sein zum Segen der Menschheit. Ich
begrüße seinen Eintritt in diese Thätigkeit und werde erfreulich finden, daß
es unser Genosse in der Verbreitung des Lichts und der Zivilisation in
weniger zivilisierten Gegenden wird. Es wird bei diesem Werke unsre herz-
lichsten und besten Wünsche und jede Ermutigung finden, die in unsrer
Macht steht."

Ebensowenig wie Fürst Bismarck Steine in den „englischen Garten werfen"
wollte, ebensowenig lag es im englischen Interesse, die Blüten deutscher Meeres¬
politik zu knicken. Denn für beide Völker gilt das, was der Altreichskanzler
am 16. März 1885 in der Reichstagssitznng aussprach: „Den Satz konnte
ich mir ja vollständig aneignen, daß wir, England und Deutschland, wenn
nicht ausschließlich aufeinander angewiesen, doch den Beruf haben, nach Stammes¬
verwandtschaft, nach historischen Traditionen, vor allen Dingen aber nach ge¬
meinsamen Interessen und nach der Abwesenheit widersprechender Interessen im
freundlichsten Einverständnis miteinander zu leben. Dieses Einverständnis zu
suchen bin ich seit Jahr und Tag beschäftigt."

Wie Fürst Bismarck bei seinen hier wiedergegebnen Anschauungen über
die deutsch-englischen Beziehungen die „Politiker" und die Presse alldeutscher
lind antisemitischer Weisheit angefaßt hätte, die sich jetzt in Englandhaß be¬
rauschen und über die Regierung herfallen, weil sie sich nicht von ihnen ins
Schlepptau nehmen läßt, kann man sich ungefähr ausmalen, wenn man seine
Rede vom 6. Februar 1888 liest. Er richtete an jene die Mahnung, ihre
drohenden Artikel doch lieber zu unterlassen, „sie führen zu nichts. Die
Drohung, die Nur nicht von der Regierung, aber in der Presse erfahren, ist
eigentlich eine unglaubliche Dummheit: wenn man eine große und stolze
Macht . . . durch eine drohende Zusammenstellung von Worten glaubt ein¬
schüchtern zu können."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/160>, abgerufen am 01.07.2024.