Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Thomas Bcilnngton Maccuilay

nicht immer vereinbar sei, die Logik lasse keinen Kompromiß zu. Das
Wesen der Staatskunst aber sei der Kompromiß, Darum sagt er einmal in
einer Parlamentsrede, Anomalien in der Gesetzgebung seien nicht etwas, was
ihn so aufregen könne, "Ich würde nur nicht die Mühe nehmen, die Hand
in die Höhe zu heben, bloß um eine Anomalie los zu werden, die nicht auch
ein Übelstand wäre,"

Und wie er in der Politik diesen Sinn für das Praktische zeigte, so
waren anch sonst seine Anschauungen über Litteratur und Philosophie auf das
Nützliche gerichtet. Namentlich tritt das zu Tage in dem vielbewunderten
Essay über Bacon. Er stellt hier den englischen Philosophen über alle, die
ihm vorhergegangen sind, weil das, was er lehrte, oder wozu er anregte,
nützlich war, die Herrschaft des Menschen über die Materie förderte, während
Plato und alle, die nach ihm philosophierten , zwar Unmögliches versprachen,
aber nichts erreichten, "Die Menschen vollkommen zu machen, gehörte nicht
zu Bacons Plan, Sein bescheidnes Ziel war, es unvollkommnen Menschen
behaglich zu machen." Wenn wir in den Tagebüchern und Briefen Maeaulays
lesen, welchen Genuß ihm die Lektüre Platos und der Griechen überhaupt be¬
reitete, so wundert es uus, in dem erwähnten Essay die spöttischen Worte zu
finden: ^t'ehr tre^ (Plato und seine Nachfolger) tua thon cleoliüminF 800 ^og-rs,
kennt me)' ing,As tuo ^or1<l bvttpr denn vnsn etre^ og^u? Und wenn wir
selbst aus unserm Gefühl heraus uns sagen müssen, daß die herrlichsten Er¬
findungen der technische" Wissenschaften -- nud der Vater dieser Erfindungen
ist, wie Macaulay meint, Vaeon, weil er zuerst der induktiven Methode
Wichtigkeit und Würde verlieh --, daß diese Erfindungen uns zwar Annehm¬
lichkeiten in Fülle bringen, daß wir aber inneres Glück, was doch das höchste
ist, viel mehr in der Beschäftigung mit geistigen, vielleicht nutzlosen Dingen
zu suchen haben, so werden wir auch Macaulay nicht immer in seiner Nütz¬
lichkeitstheorie folgen können. "Unzweifelhaft waren die Wvrtstreitigkeiten der
Alten von Nutzen, insofern als sie dazu dienten, die Geistesfähigkeiten der
Disputierenden zu üben. . . . Aber wenn wir nach etwas mehr aufschauen,
nach etwas, was die Leiden des Menschengeschlechts lindert, dann müssen wir
unsre Enttäuschung eingestehn. . . . Solche Dispute konnten das Wissen in
nichts bereichern. . . . Jede Spur geistigen Anbaus war vorhanden, nur die
Ernte fehlte."

Bei Macaulay hatte der auf das Praktische gerichtete Sinn in der Politik
seine Wurzel in der Anschauung, daß die Staatskunst eine experimentelle
Wissenschaft, also in stetigem Flusse sei. Dieser Gedanke aber hatte auf
seine Beurteilung von Personen, die der Vergangenheit angehörten, einen
günstigen Einfluß. Er verfiel fast nie in den Fehler, den Maßstab der Gegen¬
wart bei Dingen oder Menschen der Vergangenheit anzulegen. Das gab seinem
Urteil eine Milde, die mit Recht zu seinen Vorzügen gerechnet wird. Er ließ
es sich immer angelegen sein, die Menschen aus ihrer Zeit heraus zu verstehn.
So finden wir bei ihm den beherzigenswerten Satz: "Niemand sollte dafür


Thomas Bcilnngton Maccuilay

nicht immer vereinbar sei, die Logik lasse keinen Kompromiß zu. Das
Wesen der Staatskunst aber sei der Kompromiß, Darum sagt er einmal in
einer Parlamentsrede, Anomalien in der Gesetzgebung seien nicht etwas, was
ihn so aufregen könne, „Ich würde nur nicht die Mühe nehmen, die Hand
in die Höhe zu heben, bloß um eine Anomalie los zu werden, die nicht auch
ein Übelstand wäre,"

Und wie er in der Politik diesen Sinn für das Praktische zeigte, so
waren anch sonst seine Anschauungen über Litteratur und Philosophie auf das
Nützliche gerichtet. Namentlich tritt das zu Tage in dem vielbewunderten
Essay über Bacon. Er stellt hier den englischen Philosophen über alle, die
ihm vorhergegangen sind, weil das, was er lehrte, oder wozu er anregte,
nützlich war, die Herrschaft des Menschen über die Materie förderte, während
Plato und alle, die nach ihm philosophierten , zwar Unmögliches versprachen,
aber nichts erreichten, „Die Menschen vollkommen zu machen, gehörte nicht
zu Bacons Plan, Sein bescheidnes Ziel war, es unvollkommnen Menschen
behaglich zu machen." Wenn wir in den Tagebüchern und Briefen Maeaulays
lesen, welchen Genuß ihm die Lektüre Platos und der Griechen überhaupt be¬
reitete, so wundert es uus, in dem erwähnten Essay die spöttischen Worte zu
finden: ^t'ehr tre^ (Plato und seine Nachfolger) tua thon cleoliüminF 800 ^og-rs,
kennt me)' ing,As tuo ^or1<l bvttpr denn vnsn etre^ og^u? Und wenn wir
selbst aus unserm Gefühl heraus uns sagen müssen, daß die herrlichsten Er¬
findungen der technische» Wissenschaften — nud der Vater dieser Erfindungen
ist, wie Macaulay meint, Vaeon, weil er zuerst der induktiven Methode
Wichtigkeit und Würde verlieh —, daß diese Erfindungen uns zwar Annehm¬
lichkeiten in Fülle bringen, daß wir aber inneres Glück, was doch das höchste
ist, viel mehr in der Beschäftigung mit geistigen, vielleicht nutzlosen Dingen
zu suchen haben, so werden wir auch Macaulay nicht immer in seiner Nütz¬
lichkeitstheorie folgen können. „Unzweifelhaft waren die Wvrtstreitigkeiten der
Alten von Nutzen, insofern als sie dazu dienten, die Geistesfähigkeiten der
Disputierenden zu üben. . . . Aber wenn wir nach etwas mehr aufschauen,
nach etwas, was die Leiden des Menschengeschlechts lindert, dann müssen wir
unsre Enttäuschung eingestehn. . . . Solche Dispute konnten das Wissen in
nichts bereichern. . . . Jede Spur geistigen Anbaus war vorhanden, nur die
Ernte fehlte."

Bei Macaulay hatte der auf das Praktische gerichtete Sinn in der Politik
seine Wurzel in der Anschauung, daß die Staatskunst eine experimentelle
Wissenschaft, also in stetigem Flusse sei. Dieser Gedanke aber hatte auf
seine Beurteilung von Personen, die der Vergangenheit angehörten, einen
günstigen Einfluß. Er verfiel fast nie in den Fehler, den Maßstab der Gegen¬
wart bei Dingen oder Menschen der Vergangenheit anzulegen. Das gab seinem
Urteil eine Milde, die mit Recht zu seinen Vorzügen gerechnet wird. Er ließ
es sich immer angelegen sein, die Menschen aus ihrer Zeit heraus zu verstehn.
So finden wir bei ihm den beherzigenswerten Satz: „Niemand sollte dafür


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0133" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234663"/>
          <fw type="header" place="top"> Thomas Bcilnngton Maccuilay</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_343" prev="#ID_342"> nicht immer vereinbar sei, die Logik lasse keinen Kompromiß zu. Das<lb/>
Wesen der Staatskunst aber sei der Kompromiß, Darum sagt er einmal in<lb/>
einer Parlamentsrede, Anomalien in der Gesetzgebung seien nicht etwas, was<lb/>
ihn so aufregen könne, &#x201E;Ich würde nur nicht die Mühe nehmen, die Hand<lb/>
in die Höhe zu heben, bloß um eine Anomalie los zu werden, die nicht auch<lb/>
ein Übelstand wäre,"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_344"> Und wie er in der Politik diesen Sinn für das Praktische zeigte, so<lb/>
waren anch sonst seine Anschauungen über Litteratur und Philosophie auf das<lb/>
Nützliche gerichtet. Namentlich tritt das zu Tage in dem vielbewunderten<lb/>
Essay über Bacon. Er stellt hier den englischen Philosophen über alle, die<lb/>
ihm vorhergegangen sind, weil das, was er lehrte, oder wozu er anregte,<lb/>
nützlich war, die Herrschaft des Menschen über die Materie förderte, während<lb/>
Plato und alle, die nach ihm philosophierten , zwar Unmögliches versprachen,<lb/>
aber nichts erreichten, &#x201E;Die Menschen vollkommen zu machen, gehörte nicht<lb/>
zu Bacons Plan, Sein bescheidnes Ziel war, es unvollkommnen Menschen<lb/>
behaglich zu machen." Wenn wir in den Tagebüchern und Briefen Maeaulays<lb/>
lesen, welchen Genuß ihm die Lektüre Platos und der Griechen überhaupt be¬<lb/>
reitete, so wundert es uus, in dem erwähnten Essay die spöttischen Worte zu<lb/>
finden: ^t'ehr tre^ (Plato und seine Nachfolger) tua thon cleoliüminF 800 ^og-rs,<lb/>
kennt me)' ing,As tuo ^or1&lt;l bvttpr denn vnsn etre^ og^u? Und wenn wir<lb/>
selbst aus unserm Gefühl heraus uns sagen müssen, daß die herrlichsten Er¬<lb/>
findungen der technische» Wissenschaften &#x2014; nud der Vater dieser Erfindungen<lb/>
ist, wie Macaulay meint, Vaeon, weil er zuerst der induktiven Methode<lb/>
Wichtigkeit und Würde verlieh &#x2014;, daß diese Erfindungen uns zwar Annehm¬<lb/>
lichkeiten in Fülle bringen, daß wir aber inneres Glück, was doch das höchste<lb/>
ist, viel mehr in der Beschäftigung mit geistigen, vielleicht nutzlosen Dingen<lb/>
zu suchen haben, so werden wir auch Macaulay nicht immer in seiner Nütz¬<lb/>
lichkeitstheorie folgen können. &#x201E;Unzweifelhaft waren die Wvrtstreitigkeiten der<lb/>
Alten von Nutzen, insofern als sie dazu dienten, die Geistesfähigkeiten der<lb/>
Disputierenden zu üben. . . . Aber wenn wir nach etwas mehr aufschauen,<lb/>
nach etwas, was die Leiden des Menschengeschlechts lindert, dann müssen wir<lb/>
unsre Enttäuschung eingestehn. . . . Solche Dispute konnten das Wissen in<lb/>
nichts bereichern. . . . Jede Spur geistigen Anbaus war vorhanden, nur die<lb/>
Ernte fehlte."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_345" next="#ID_346"> Bei Macaulay hatte der auf das Praktische gerichtete Sinn in der Politik<lb/>
seine Wurzel in der Anschauung, daß die Staatskunst eine experimentelle<lb/>
Wissenschaft, also in stetigem Flusse sei. Dieser Gedanke aber hatte auf<lb/>
seine Beurteilung von Personen, die der Vergangenheit angehörten, einen<lb/>
günstigen Einfluß. Er verfiel fast nie in den Fehler, den Maßstab der Gegen¬<lb/>
wart bei Dingen oder Menschen der Vergangenheit anzulegen. Das gab seinem<lb/>
Urteil eine Milde, die mit Recht zu seinen Vorzügen gerechnet wird. Er ließ<lb/>
es sich immer angelegen sein, die Menschen aus ihrer Zeit heraus zu verstehn.<lb/>
So finden wir bei ihm den beherzigenswerten Satz: &#x201E;Niemand sollte dafür</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0133] Thomas Bcilnngton Maccuilay nicht immer vereinbar sei, die Logik lasse keinen Kompromiß zu. Das Wesen der Staatskunst aber sei der Kompromiß, Darum sagt er einmal in einer Parlamentsrede, Anomalien in der Gesetzgebung seien nicht etwas, was ihn so aufregen könne, „Ich würde nur nicht die Mühe nehmen, die Hand in die Höhe zu heben, bloß um eine Anomalie los zu werden, die nicht auch ein Übelstand wäre," Und wie er in der Politik diesen Sinn für das Praktische zeigte, so waren anch sonst seine Anschauungen über Litteratur und Philosophie auf das Nützliche gerichtet. Namentlich tritt das zu Tage in dem vielbewunderten Essay über Bacon. Er stellt hier den englischen Philosophen über alle, die ihm vorhergegangen sind, weil das, was er lehrte, oder wozu er anregte, nützlich war, die Herrschaft des Menschen über die Materie förderte, während Plato und alle, die nach ihm philosophierten , zwar Unmögliches versprachen, aber nichts erreichten, „Die Menschen vollkommen zu machen, gehörte nicht zu Bacons Plan, Sein bescheidnes Ziel war, es unvollkommnen Menschen behaglich zu machen." Wenn wir in den Tagebüchern und Briefen Maeaulays lesen, welchen Genuß ihm die Lektüre Platos und der Griechen überhaupt be¬ reitete, so wundert es uus, in dem erwähnten Essay die spöttischen Worte zu finden: ^t'ehr tre^ (Plato und seine Nachfolger) tua thon cleoliüminF 800 ^og-rs, kennt me)' ing,As tuo ^or1<l bvttpr denn vnsn etre^ og^u? Und wenn wir selbst aus unserm Gefühl heraus uns sagen müssen, daß die herrlichsten Er¬ findungen der technische» Wissenschaften — nud der Vater dieser Erfindungen ist, wie Macaulay meint, Vaeon, weil er zuerst der induktiven Methode Wichtigkeit und Würde verlieh —, daß diese Erfindungen uns zwar Annehm¬ lichkeiten in Fülle bringen, daß wir aber inneres Glück, was doch das höchste ist, viel mehr in der Beschäftigung mit geistigen, vielleicht nutzlosen Dingen zu suchen haben, so werden wir auch Macaulay nicht immer in seiner Nütz¬ lichkeitstheorie folgen können. „Unzweifelhaft waren die Wvrtstreitigkeiten der Alten von Nutzen, insofern als sie dazu dienten, die Geistesfähigkeiten der Disputierenden zu üben. . . . Aber wenn wir nach etwas mehr aufschauen, nach etwas, was die Leiden des Menschengeschlechts lindert, dann müssen wir unsre Enttäuschung eingestehn. . . . Solche Dispute konnten das Wissen in nichts bereichern. . . . Jede Spur geistigen Anbaus war vorhanden, nur die Ernte fehlte." Bei Macaulay hatte der auf das Praktische gerichtete Sinn in der Politik seine Wurzel in der Anschauung, daß die Staatskunst eine experimentelle Wissenschaft, also in stetigem Flusse sei. Dieser Gedanke aber hatte auf seine Beurteilung von Personen, die der Vergangenheit angehörten, einen günstigen Einfluß. Er verfiel fast nie in den Fehler, den Maßstab der Gegen¬ wart bei Dingen oder Menschen der Vergangenheit anzulegen. Das gab seinem Urteil eine Milde, die mit Recht zu seinen Vorzügen gerechnet wird. Er ließ es sich immer angelegen sein, die Menschen aus ihrer Zeit heraus zu verstehn. So finden wir bei ihm den beherzigenswerten Satz: „Niemand sollte dafür

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/133
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/133>, abgerufen am 03.07.2024.