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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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geteilt - wenn er dann abgestiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe
gekleideter Knabe aufgesparte Goldstücke der Bürgerschaft in einem künstlichen
Pokale dar, Johann Friedrich erschien wie ein Märtyrer und Heiliger. Als
er in Weimar einzog, meinte man ein langes weißes Kreuz über ihm zu sehen."

Aber freilich solche ideelle Gemeinschaftsstimmungen Pflegen nur vorüber¬
gehend bei starken Anlässen über die tiefen, thatsächlichen Gegensätze des ge¬
schichtlichen Lebens hinwegzutäuschen. Als der Jammer des Dreißigjährigen
Krieges über das deutsche Volk hereingebrochen war, und es um galt, durch
organische Reformen die Not zu lindern, da zeigte sich deutlich, welche ver¬
hängnisvolle Macht im Staatsleben die privilegierten Stände trotz allen: noch
behaupteten. Der drückenden Abgabepflichten wußten sie sich zu entziehn: sie
wurden auf die politisch rechtlose, arme Bevölkerung abgewälzt. In den Rhein-
landen steuerten nach dein Dreißigjährigen Kriege die reichsten Bürger fünf
bis sechs Thaler jährlich, die Prälaten und die Ritterschaft waren völlig ab¬
gabefrei, dagegen mußte der ärmste Mann auf dein platten Lande fünfzehn
Thaler, der Bauer siebzig bis achtzig Thaler entrichten. Ohne Rechenschaft
ablegen zu müssen, füllten sich die städtischen Patriziate auf Kosten der Bürger¬
schaft ihre Taschen, Die adlichen Herren auf dem Lande nutzten den Besitz
der Gerichtshoheit, um daraus ungemessene Lasten und Fronten ihrer Hinter¬
sassen zu konstruieren.

Auf der andern Seite hatte sich bei den Landesherren das Gefühl der
Verantwortlichkeit für das Wvhlergehn ihrer Unterthanen vielfach zu stolzem
Wirknngsdrauge gesteigert. Bei ihren Resormversnchen war ein Zusammenstoß
mit den Landständen unvermeidlich. Diese steifem sich in lautem Widerspruch
auf ihre thatsächliche, rechtlich garantierte Machtstellung -- ein Verfahren,
durch das zu allen Zeiten der Mangel innerer Kraft und moralischen Rechts
verdeckt worden ist. Von dem Mute und der Thatkraft der Landesherren
hing es ab, ob und mit welcher Energie sie den Kampf mit den Ständen ihres
Landes aufnahmen. Bei der Fülle der Kleinstaaten Deutschlands war sein
Ergebnis außerordentlich verschieden. Aber im ganzen siegte das Landes-
fürstentum. Die staatliche!" Vorrechte der Stände wurden zerrieben; das Zeit¬
alter patriarchalisch-ständischer Monarchie wurde abgelöst durch das der ab¬
soluten Monarchie,

Man wird nicht sagen können, daß die neue Verfassungsform ohne weiteres
und mit Regelmäßigkeit der Gesamtheit zum Segen gereicht habe. Da nun¬
mehr alle staatlichen Zwischeninstanzen zwischen der Persönlichkeit des Monarchen
und den Unterthanen ausgeschaltet waren, wurden in der Hand des Herrschers
eine Fülle von Hoheitsrechten vereinigt. Nur seine persönliche Tüchtigkeit
konnte eine Gewähr dafür bieten, daß bei ihrer Handhabung schädliche Aus¬
wüchse vermieden wurden. Namentlich in den kleinern Staaten Deutschlands
ist im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert von unfähigen Herrschern viel
gesündigt worden. Indem sie nach dem strahlenden Glänze des französischen
Hoses hinüberschallten und die dortigen Gepflogenheiten im kleinen auf ihre


Grenzboten 11 1901 1Ü

geteilt - wenn er dann abgestiegen, brachte ihm wohl ein in die Hoffarbe
gekleideter Knabe aufgesparte Goldstücke der Bürgerschaft in einem künstlichen
Pokale dar, Johann Friedrich erschien wie ein Märtyrer und Heiliger. Als
er in Weimar einzog, meinte man ein langes weißes Kreuz über ihm zu sehen."

Aber freilich solche ideelle Gemeinschaftsstimmungen Pflegen nur vorüber¬
gehend bei starken Anlässen über die tiefen, thatsächlichen Gegensätze des ge¬
schichtlichen Lebens hinwegzutäuschen. Als der Jammer des Dreißigjährigen
Krieges über das deutsche Volk hereingebrochen war, und es um galt, durch
organische Reformen die Not zu lindern, da zeigte sich deutlich, welche ver¬
hängnisvolle Macht im Staatsleben die privilegierten Stände trotz allen: noch
behaupteten. Der drückenden Abgabepflichten wußten sie sich zu entziehn: sie
wurden auf die politisch rechtlose, arme Bevölkerung abgewälzt. In den Rhein-
landen steuerten nach dein Dreißigjährigen Kriege die reichsten Bürger fünf
bis sechs Thaler jährlich, die Prälaten und die Ritterschaft waren völlig ab¬
gabefrei, dagegen mußte der ärmste Mann auf dein platten Lande fünfzehn
Thaler, der Bauer siebzig bis achtzig Thaler entrichten. Ohne Rechenschaft
ablegen zu müssen, füllten sich die städtischen Patriziate auf Kosten der Bürger¬
schaft ihre Taschen, Die adlichen Herren auf dem Lande nutzten den Besitz
der Gerichtshoheit, um daraus ungemessene Lasten und Fronten ihrer Hinter¬
sassen zu konstruieren.

Auf der andern Seite hatte sich bei den Landesherren das Gefühl der
Verantwortlichkeit für das Wvhlergehn ihrer Unterthanen vielfach zu stolzem
Wirknngsdrauge gesteigert. Bei ihren Resormversnchen war ein Zusammenstoß
mit den Landständen unvermeidlich. Diese steifem sich in lautem Widerspruch
auf ihre thatsächliche, rechtlich garantierte Machtstellung — ein Verfahren,
durch das zu allen Zeiten der Mangel innerer Kraft und moralischen Rechts
verdeckt worden ist. Von dem Mute und der Thatkraft der Landesherren
hing es ab, ob und mit welcher Energie sie den Kampf mit den Ständen ihres
Landes aufnahmen. Bei der Fülle der Kleinstaaten Deutschlands war sein
Ergebnis außerordentlich verschieden. Aber im ganzen siegte das Landes-
fürstentum. Die staatliche!» Vorrechte der Stände wurden zerrieben; das Zeit¬
alter patriarchalisch-ständischer Monarchie wurde abgelöst durch das der ab¬
soluten Monarchie,

Man wird nicht sagen können, daß die neue Verfassungsform ohne weiteres
und mit Regelmäßigkeit der Gesamtheit zum Segen gereicht habe. Da nun¬
mehr alle staatlichen Zwischeninstanzen zwischen der Persönlichkeit des Monarchen
und den Unterthanen ausgeschaltet waren, wurden in der Hand des Herrschers
eine Fülle von Hoheitsrechten vereinigt. Nur seine persönliche Tüchtigkeit
konnte eine Gewähr dafür bieten, daß bei ihrer Handhabung schädliche Aus¬
wüchse vermieden wurden. Namentlich in den kleinern Staaten Deutschlands
ist im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert von unfähigen Herrschern viel
gesündigt worden. Indem sie nach dem strahlenden Glänze des französischen
Hoses hinüberschallten und die dortigen Gepflogenheiten im kleinen auf ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/121>, abgerufen am 03.07.2024.