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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr.

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lieren sie die Fühlung mit den bewegenden Kräften des politischen Lebens.
Und schließlich sehen sie sich gegenüber den mächtig wachsenden Aufgaben, die
der Staat lösen mußte, eben doch vor die Notwendigkeit gestellt, die für den
Bestand des Staates erforderlichen Geldmittel dein Landesherrn zuzugestehn.
Mit dem allgemeinen Bedürfnis nach einer geregelten, stetigen Finanzwirtschaft
geht die Regelmäßigkeit der finanziellen Bewilligungen Hand in Hand, ein
Umstand, der natürlich auch nicht geeignet war, den Einfluß der Stände zu
steigern.

Imi sechzehnte!? Jahrhundert wirkte in derselben Richtung einer Zunahme
der landesherrlichen Macht die Ausbildung der konfessionellen Gegensätze --
namentlich in den protestantischen Territorien. Hier wurde in materieller Hin¬
sicht die Position der Landesfürsten gestärkt durch die Säkularisierung des
katholischen Kircheuguts. Vor allem aber: die Verteidigung der neuen Glcmbens-
überzengungen erheischte die äußerste Kraftanstrengung so vieler protestantischer
Staaten und eine einheitliche, energische Führung. Wo gleichwohl die Stände
die persönliche Aktion des Lnndesherrn zu lähmen suchten, setzte sich dieser oft
genug über ihren Widerspruch hinweg. Im Jahre 1552 unternahm Kurfürst
Moritz vou Sachsen seinen berühmten Zug gegen Kaiser Karl V., obgleich die
Stände ihre Zustimmung zu dem tollkühnen Unternehmen versagt hatten. Doch
meist führt die gemeinsame Gefahr, der heiligsten Güter durch kaiserlich-katholische
Gewaltpolitik beraubt zu werden, zu einem innigen Einvernehmen der Stände
und der Fürsten. An die Stelle der alten Gegensätzlichkeit tritt eine irenische
Stimmung, die sich auch den niedern Bevölkerungsklassen mitteilt. Dieses innige,
fast persönliche Geineinschaftsverhältnis zwischen Herrscher und Unterthanen,
die schönste Blüte, die die deutsche Kleinstaaterei hervorgetrieben hat, ist von
Ranke einmal mit feinem nachempfinden gezeichnet worden bei der Rückkehr
des Kurfürsten Johann Friedrich aus fünfjähriger Gefangenschaft in sein Land
(im Jahre 1552). Ich kann mir nicht versagen, diese Stelle im Wortlaut mit¬
zuteilein "Welch ein Wiedersehen war es, als er in seinem Stammland bei
Koburg wieder anlangte! Der erste, der ihm entgegenkam, war sein Bruder
Ernst, der seinen Wahlspruch: Ich trau Gott, nun erfüllt sah. Bald erschien
auch seine Gemahlin mit ihren herangewachsenen Söhnen. . . . Vor den Städten
erschienen dann weit draußen die Ratsherren in den schwarzen Mänteln, ihrer
Amtstracht, um den angestammten Herrn zu bewillkommnen: die Bürger mit
ihren Rüstungen oder in ihren besten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den
Märkten warteten die Geistlichen mit der männlichen Jngend auf der einen
Seite, auf der andern die eisgrauesten Bürger mit den jungen Mädchen, die
in fliegenden Haaren mit dem Rautenkranz erschienen; die Knaben stimmten
das Tedeum lateinisch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deutschen:
Herr, Gott, dich loben wir; der Fürst, der ihrem Gebet seine Rückkehr zuschrieb,
zog mit entblößtem Haupte, dankend und gnädig, sie alle vorüber; neben
ihn: sein Sohn und Meister Lukas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die ihm
auch erwidert ward, die Entbehrungen der Gefangenschaft freiwillig mit ihm


lieren sie die Fühlung mit den bewegenden Kräften des politischen Lebens.
Und schließlich sehen sie sich gegenüber den mächtig wachsenden Aufgaben, die
der Staat lösen mußte, eben doch vor die Notwendigkeit gestellt, die für den
Bestand des Staates erforderlichen Geldmittel dein Landesherrn zuzugestehn.
Mit dem allgemeinen Bedürfnis nach einer geregelten, stetigen Finanzwirtschaft
geht die Regelmäßigkeit der finanziellen Bewilligungen Hand in Hand, ein
Umstand, der natürlich auch nicht geeignet war, den Einfluß der Stände zu
steigern.

Imi sechzehnte!? Jahrhundert wirkte in derselben Richtung einer Zunahme
der landesherrlichen Macht die Ausbildung der konfessionellen Gegensätze —
namentlich in den protestantischen Territorien. Hier wurde in materieller Hin¬
sicht die Position der Landesfürsten gestärkt durch die Säkularisierung des
katholischen Kircheuguts. Vor allem aber: die Verteidigung der neuen Glcmbens-
überzengungen erheischte die äußerste Kraftanstrengung so vieler protestantischer
Staaten und eine einheitliche, energische Führung. Wo gleichwohl die Stände
die persönliche Aktion des Lnndesherrn zu lähmen suchten, setzte sich dieser oft
genug über ihren Widerspruch hinweg. Im Jahre 1552 unternahm Kurfürst
Moritz vou Sachsen seinen berühmten Zug gegen Kaiser Karl V., obgleich die
Stände ihre Zustimmung zu dem tollkühnen Unternehmen versagt hatten. Doch
meist führt die gemeinsame Gefahr, der heiligsten Güter durch kaiserlich-katholische
Gewaltpolitik beraubt zu werden, zu einem innigen Einvernehmen der Stände
und der Fürsten. An die Stelle der alten Gegensätzlichkeit tritt eine irenische
Stimmung, die sich auch den niedern Bevölkerungsklassen mitteilt. Dieses innige,
fast persönliche Geineinschaftsverhältnis zwischen Herrscher und Unterthanen,
die schönste Blüte, die die deutsche Kleinstaaterei hervorgetrieben hat, ist von
Ranke einmal mit feinem nachempfinden gezeichnet worden bei der Rückkehr
des Kurfürsten Johann Friedrich aus fünfjähriger Gefangenschaft in sein Land
(im Jahre 1552). Ich kann mir nicht versagen, diese Stelle im Wortlaut mit¬
zuteilein „Welch ein Wiedersehen war es, als er in seinem Stammland bei
Koburg wieder anlangte! Der erste, der ihm entgegenkam, war sein Bruder
Ernst, der seinen Wahlspruch: Ich trau Gott, nun erfüllt sah. Bald erschien
auch seine Gemahlin mit ihren herangewachsenen Söhnen. . . . Vor den Städten
erschienen dann weit draußen die Ratsherren in den schwarzen Mänteln, ihrer
Amtstracht, um den angestammten Herrn zu bewillkommnen: die Bürger mit
ihren Rüstungen oder in ihren besten Kleidern bildeten ein Spalier; auf den
Märkten warteten die Geistlichen mit der männlichen Jngend auf der einen
Seite, auf der andern die eisgrauesten Bürger mit den jungen Mädchen, die
in fliegenden Haaren mit dem Rautenkranz erschienen; die Knaben stimmten
das Tedeum lateinisch an, die jungen Mädchen antworteten mit dem deutschen:
Herr, Gott, dich loben wir; der Fürst, der ihrem Gebet seine Rückkehr zuschrieb,
zog mit entblößtem Haupte, dankend und gnädig, sie alle vorüber; neben
ihn: sein Sohn und Meister Lukas Cranach, der aus herzlicher Liebe, die ihm
auch erwidert ward, die Entbehrungen der Gefangenschaft freiwillig mit ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_234529/120>, abgerufen am 03.07.2024.