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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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mentarischen Arbeiten zu erkaufe", Dr. Körber hat aber nicht blos; in Worten
jedes derartige Vorgehn in seiner Herrenhausrede Don sich gewiesen, sondern
auch durch seine Sündhaftigkeit gegenüber einer ebenso stürmischen wie sachlich
unberechtigten Forderung des Polenklnbs thatsächlich den Beweis geliefert,
daß er sich von der Bahn voller Unparteilichkeit und rein sachlicher Erwägung
nicht abdrängen lasse. Und so glauben die deutschen Parteien sich darauf ver¬
lassen zu können, daß er sie nicht täuschen werde.

Gerade eine der peinlichsten parlamentarischen Szenen der letzten Zeit
scheint die Gewähr zu bieten, das; es augenblicklich den Jnngtschechen mit
ihrer Wendung ernst ist. Als sich der natioualsoziale Abgeordnete Fresl in
besonders tückischer Weise an die Präsidententribüne heranschlich, dem Vor¬
sitzenden Vizepräsidenten Prade die Rednerliste aus der Hand und sofort in
Stücke riß, wurde er von den in der Nähe stehenden deutschen Abgeordneten
in ihrer Entrüstung über das freche Attentat nicht bloß von der Tribüne
hinuntergeworfen, sondern auch mit einer Tracht Prügel bestraft, ohne daß
sich bei den Jnugtschecheu eine Hand für ihn gerührt hätte, Seine verzweifelten
Vorwürfe wurden schroff mit der Aufforderung abgewiesen, der tschechischen
Nation keine Schande zu machen. Das hatte höchst erregte Auseinander¬
setzungen zwischen Juugtschechen und Tschechischradikalen zur Folge. Die
korrekte Haltung der Jungtschechen wurde mit lautem Bravo von allen Seiten
des Hauses belohnt, was ihnen schon seit langer Zeit nicht widerfahren war.

Da die Obmännerkonferenz noch mehrere andre Regierungsvorlagen in
das vor Ostern zu erledigende Programm aufgenommen hat, ist nun allen,
Anscheine nach in den nächsten vier Wochen ein normaler Verlauf der parla¬
mentarischen Thätigkeit z" erwarten. Auch die endgiltige Wiederwahl des
jetzigen Präsidiums ist, abgesehen von einem leidenschaftlichen Protest der
tschechisch radikalen Gruppe, wenn auch nnter Stimmenthaltung der All
deutschen, der Tschechen und der Sozialdemokraten, anstandslos vollzogen
worden. Was freilich spater geschehn wird, bleibt unberechenbar, insbesondre
auch die Wirkung der für den Mai in Aussicht genommnen Tagung des
böhmischen Landtags, Pessimistische Politiker bemerken schon jetzt bedrohliche
Anzeichen einer Annäherung der frühern Parteien der Rechten und prophezeien
den Wiedcrzusammenschluß der frühern slawisch-klerikal-feudalen Mehrheit. Bei
verschiednen Ausschußwaren sind in der That schon jetzt nicht bloß die Kleri¬
kalen, sondern auch die Christlichsozialen mit den Slawen Hand in Hand ge¬
gangen. Die beiden letzten Fraktionen haben aber schon heftige Zusammen¬
stöße mit den Altdeutschen gehabt. Trotz der eindringlichen Warnungen, die
der Verlauf der Wahlen dem deutschfeindlichen Klerikalismus und dem kleri¬
kalen Antisemitismus gebracht hat, bleiben beide ganz unzuverlässige Vertreter
des deutschnationalen Gedankens, Ebenso haben sich schon früher und noch
mehr in der neusten Zeit gewichtige Gründe zur Trennung für Tschechen,
Polen und Südslawen ergeben. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht aus¬
geschlossen, daß sich der Haß gegen das Deutschtum und gegen den Fortschritt


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mentarischen Arbeiten zu erkaufe», Dr. Körber hat aber nicht blos; in Worten
jedes derartige Vorgehn in seiner Herrenhausrede Don sich gewiesen, sondern
auch durch seine Sündhaftigkeit gegenüber einer ebenso stürmischen wie sachlich
unberechtigten Forderung des Polenklnbs thatsächlich den Beweis geliefert,
daß er sich von der Bahn voller Unparteilichkeit und rein sachlicher Erwägung
nicht abdrängen lasse. Und so glauben die deutschen Parteien sich darauf ver¬
lassen zu können, daß er sie nicht täuschen werde.

Gerade eine der peinlichsten parlamentarischen Szenen der letzten Zeit
scheint die Gewähr zu bieten, das; es augenblicklich den Jnngtschechen mit
ihrer Wendung ernst ist. Als sich der natioualsoziale Abgeordnete Fresl in
besonders tückischer Weise an die Präsidententribüne heranschlich, dem Vor¬
sitzenden Vizepräsidenten Prade die Rednerliste aus der Hand und sofort in
Stücke riß, wurde er von den in der Nähe stehenden deutschen Abgeordneten
in ihrer Entrüstung über das freche Attentat nicht bloß von der Tribüne
hinuntergeworfen, sondern auch mit einer Tracht Prügel bestraft, ohne daß
sich bei den Jnugtschecheu eine Hand für ihn gerührt hätte, Seine verzweifelten
Vorwürfe wurden schroff mit der Aufforderung abgewiesen, der tschechischen
Nation keine Schande zu machen. Das hatte höchst erregte Auseinander¬
setzungen zwischen Juugtschechen und Tschechischradikalen zur Folge. Die
korrekte Haltung der Jungtschechen wurde mit lautem Bravo von allen Seiten
des Hauses belohnt, was ihnen schon seit langer Zeit nicht widerfahren war.

Da die Obmännerkonferenz noch mehrere andre Regierungsvorlagen in
das vor Ostern zu erledigende Programm aufgenommen hat, ist nun allen,
Anscheine nach in den nächsten vier Wochen ein normaler Verlauf der parla¬
mentarischen Thätigkeit z» erwarten. Auch die endgiltige Wiederwahl des
jetzigen Präsidiums ist, abgesehen von einem leidenschaftlichen Protest der
tschechisch radikalen Gruppe, wenn auch nnter Stimmenthaltung der All
deutschen, der Tschechen und der Sozialdemokraten, anstandslos vollzogen
worden. Was freilich spater geschehn wird, bleibt unberechenbar, insbesondre
auch die Wirkung der für den Mai in Aussicht genommnen Tagung des
böhmischen Landtags, Pessimistische Politiker bemerken schon jetzt bedrohliche
Anzeichen einer Annäherung der frühern Parteien der Rechten und prophezeien
den Wiedcrzusammenschluß der frühern slawisch-klerikal-feudalen Mehrheit. Bei
verschiednen Ausschußwaren sind in der That schon jetzt nicht bloß die Kleri¬
kalen, sondern auch die Christlichsozialen mit den Slawen Hand in Hand ge¬
gangen. Die beiden letzten Fraktionen haben aber schon heftige Zusammen¬
stöße mit den Altdeutschen gehabt. Trotz der eindringlichen Warnungen, die
der Verlauf der Wahlen dem deutschfeindlichen Klerikalismus und dem kleri¬
kalen Antisemitismus gebracht hat, bleiben beide ganz unzuverlässige Vertreter
des deutschnationalen Gedankens, Ebenso haben sich schon früher und noch
mehr in der neusten Zeit gewichtige Gründe zur Trennung für Tschechen,
Polen und Südslawen ergeben. Trotzdem ist die Möglichkeit nicht aus¬
geschlossen, daß sich der Haß gegen das Deutschtum und gegen den Fortschritt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/598>, abgerufen am 22.06.2024.