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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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schauungen mit aller wünschenswerten Schärfe in den Vordergrund, während
Fürst Auersperg und Ur, Ernst Pleuer, der einstige Führer der Verfassungs¬
partei, die UnHaltbarkeit der staatsrechtlichen Projekte in glänzender Weise
nachwiesen. Von besondern: Werte und genau bezeichnend für die herrschende
Strömung in den maßgebenden Kreisen waren aber zuvörderst die Energie,
mit der Unterrichtsminister von Härtel den Angriff auf die Freiheit der Schulen
zurückwies und die ihnen auch vom Standpunkt des österreichische!? Patriotismus
gemachten Vorwürfe auf ihren wahren Wert zurückführte, und dann vor allen"
die entschiedne Stellung des Ministerpräsidenten Dr. Körber gegen jeden Ver¬
such eines Verfassnngsbrnchs oder einer Erpressung von nationalen Vorteilen
durch Erschwerung der Arbeit des Parlaments. Die Wirkung der staats-
männischen Haltung des Herrenhauses, das den Anspruch erhob, nötigenfalls
die Aufgaben der Volksvertretung zu erfüllen, war ans allen Seiten sehr tief
und stimmte die Hoffnungen des radikalen tschechischen Nationalismus und
aller staatsrechtlichen Bestrebungen stark herab. Und das zeigte sich unerwartet
schnell an der Änderung der Taktik der tschechischen Opposition.

Die Verhandlungen des Ministerpräsidenten mit den jungtschechischen
Führern wegen des Ausgebens ihres Widerstands gegen die dringendste der
zu erledigende" Staatsnotwendigkeiten, das Rekrutengesetz, das aber von
einigen Parteien in unlösbaren Zusammenhang mit der Branntweinstenervor-
lage und der Jnvestitionsvorlage gestellt worden ist, haben zu einem günstigen
Ergebnis geführt. Alle tschechischen Fraktionen stimmten der Ausschaltung der
Obstruktion gegen die genannten Vorlagen zu. Nach kategorischen Versiche¬
rungen der Negierung beschränkt sich ihre Gegenleistung auf die Erfüllung
wirtschaftlicher Forderlinge" Böhmens, die zum Teil ebenso deutschen wie
tschechischen Gegenden zu gute kommen sollen. Ihr sachlicher Zusammenhang
mit der Jnvestitionsvorlage fordert auch deren Zustandekommen. Das Über¬
einkommen mit der Regierung wird aber so geheim gehalten, daß nur fünf¬
zehn Mitglieder des Jnngtschechenklubs von den Einzelheiten Kenntnis haben.
Die unbestimmten Andeutungen tschechischer Blätter, daß sich unter den Be¬
dingungen des Paktes auch "kulturelle" Errungenschaften befänden, sollen
offenbar zur Rechtfertigung der taktischen Schwenkung vor ihrem fcmatisierten
Lesepublikum dienen. Um jeden Verdacht der deutschen Parteien zu zerstreuen,
daß etwa auf ihre Kosten Zugeständnisse gemacht worden seien, wurde von
offiziöser Seite "allen in Umlauf gesetzten tendenziösen Gerüchten über die
politische Lage, die offensichtlich den Zweck haben, die Situation zu erschweren
"nit keine Besserung aufkommen zu lassen," schürfstens entgegengetreten. Diese
Gerüchte wurden "als gänzlich nuwcchr, als offenkundige politische Brunnen¬
vergiftung" bezeichnet, die nnr den Zweck verfolge, zwischen den einzelnen
Parteien Mißtrauen zu säen.

Nun sollte man allerdings "reinen, daß die von Taaffc bis Badeni und
Thun gemachten Erfahrungen jeden österreichischen Ministerpräsidenten abhalten
müßten, durch geheime Abmachungen und Zusagen den Fortgang der parla-


schauungen mit aller wünschenswerten Schärfe in den Vordergrund, während
Fürst Auersperg und Ur, Ernst Pleuer, der einstige Führer der Verfassungs¬
partei, die UnHaltbarkeit der staatsrechtlichen Projekte in glänzender Weise
nachwiesen. Von besondern: Werte und genau bezeichnend für die herrschende
Strömung in den maßgebenden Kreisen waren aber zuvörderst die Energie,
mit der Unterrichtsminister von Härtel den Angriff auf die Freiheit der Schulen
zurückwies und die ihnen auch vom Standpunkt des österreichische!? Patriotismus
gemachten Vorwürfe auf ihren wahren Wert zurückführte, und dann vor allen»
die entschiedne Stellung des Ministerpräsidenten Dr. Körber gegen jeden Ver¬
such eines Verfassnngsbrnchs oder einer Erpressung von nationalen Vorteilen
durch Erschwerung der Arbeit des Parlaments. Die Wirkung der staats-
männischen Haltung des Herrenhauses, das den Anspruch erhob, nötigenfalls
die Aufgaben der Volksvertretung zu erfüllen, war ans allen Seiten sehr tief
und stimmte die Hoffnungen des radikalen tschechischen Nationalismus und
aller staatsrechtlichen Bestrebungen stark herab. Und das zeigte sich unerwartet
schnell an der Änderung der Taktik der tschechischen Opposition.

Die Verhandlungen des Ministerpräsidenten mit den jungtschechischen
Führern wegen des Ausgebens ihres Widerstands gegen die dringendste der
zu erledigende» Staatsnotwendigkeiten, das Rekrutengesetz, das aber von
einigen Parteien in unlösbaren Zusammenhang mit der Branntweinstenervor-
lage und der Jnvestitionsvorlage gestellt worden ist, haben zu einem günstigen
Ergebnis geführt. Alle tschechischen Fraktionen stimmten der Ausschaltung der
Obstruktion gegen die genannten Vorlagen zu. Nach kategorischen Versiche¬
rungen der Negierung beschränkt sich ihre Gegenleistung auf die Erfüllung
wirtschaftlicher Forderlinge» Böhmens, die zum Teil ebenso deutschen wie
tschechischen Gegenden zu gute kommen sollen. Ihr sachlicher Zusammenhang
mit der Jnvestitionsvorlage fordert auch deren Zustandekommen. Das Über¬
einkommen mit der Regierung wird aber so geheim gehalten, daß nur fünf¬
zehn Mitglieder des Jnngtschechenklubs von den Einzelheiten Kenntnis haben.
Die unbestimmten Andeutungen tschechischer Blätter, daß sich unter den Be¬
dingungen des Paktes auch „kulturelle" Errungenschaften befänden, sollen
offenbar zur Rechtfertigung der taktischen Schwenkung vor ihrem fcmatisierten
Lesepublikum dienen. Um jeden Verdacht der deutschen Parteien zu zerstreuen,
daß etwa auf ihre Kosten Zugeständnisse gemacht worden seien, wurde von
offiziöser Seite „allen in Umlauf gesetzten tendenziösen Gerüchten über die
politische Lage, die offensichtlich den Zweck haben, die Situation zu erschweren
»nit keine Besserung aufkommen zu lassen," schürfstens entgegengetreten. Diese
Gerüchte wurden „als gänzlich nuwcchr, als offenkundige politische Brunnen¬
vergiftung" bezeichnet, die nnr den Zweck verfolge, zwischen den einzelnen
Parteien Mißtrauen zu säen.

Nun sollte man allerdings »reinen, daß die von Taaffc bis Badeni und
Thun gemachten Erfahrungen jeden österreichischen Ministerpräsidenten abhalten
müßten, durch geheime Abmachungen und Zusagen den Fortgang der parla-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/597>, abgerufen am 22.06.2024.