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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aus dein österreichische" Reichsrat

im ReichSrate die Erledigung der Staatsnotwendigkeiten durch die tschechische
Taktik verhindert werden sollte. Trotzdem schien es mehrere Wochen lang, daß
der Haß gegen die Verfassung und gegen das Zentralparlament und der natio¬
nale Größenwahn, der seine Gleichwertigkeit mit dem Deutschtum in jeder
Weise bethätigen Null, stärker sein werden als die politische Einsicht und die
Rücksicht ans die schon empfindlich fühlbare Schädigung der wirtschaftlichen
Interessen aller Völker des vielsprachigen Staates.

Leider findet die tschechische Radaupolitik eine Art von Entschuldigung,
jn gewissermaßen Rückendeckung in der unklugen Haltung der Altdeutschen
Gruppe. Der schroffste nud rücksichtsloseste Nationalismus, den sie den un¬
ablässigen Vorstoßen und der unermüdlichen Wühlarbeit des Slawentums ent¬
gegensetzt, läßt sich schließlich ebenso rechtfertigen, wie der unerbittliche Kampf
gegen den volksverräterischen Klerikalismus, wenn mau auch einzelne Äuße¬
rungen dieser Denk- und Gefühlsweise entweder vom Standpunkt der parla¬
mentarischen Form oder aus sachlichen Gründen nicht billigen kann. Aber neben
der politischen Verwertung der Los vou Rom-Bewegung, das offne Lossagen
von jedem österreichischen Patriotismus und jeder österreichischen Gesinnung
muß die maßgebenden Mächte der Staatsgewalt zu Gegnern der deutschen
Sache machen.

Ein Beispiel politischer Einsicht und Selbstzucht hat unter diesen be¬
trübenden Umständen das Herrenhaus gegeben. Es gelang das Wunder, die
Rechte, die Mittelpartei und die Verfassungspartei zur einstimmigen Annahme
einer Adresse als Antwort auf die Thronrede zu bewegen, deren Wortlaut
insbesondre den Feudalen und tschechischen Staatsrechtlern ein großes Opfer
auferlegte. Unter Wahrung der nationalen Gleichberechtigung wurde in der
Adresse die Notwendigkeit einer Vermittlungssprache betont, vorbehaltlich orga¬
nischer Entwicklung die Rechtsbeständigkeit, und der große Nutzen der Ver¬
fassung anerkannt, jede einseitige Nachgiebigkeit auf dein Sprachgebiete scharf
zurückgewiesen. Die Freude auf deutscher und verfassungstreuer Seite bei der
Veröffentlichung des Adreßentwurfs wurde allerdings durch den Verlauf der
Adreßdebatte im Herrenhause stark abgekühlt. Der oberste Führer der Tschechen,
der böhmische Landmarschall Fürst Lobkowitz, hielt in seiner Rede am böhmischen
Staatsrecht, an dem Verlangen nach einer Verminderung der .Kompetenzen
der Zentralgewalt und des Zentralparlameuts zu Gunsten der Laudesautonomie
und der Landtage fest und sprach sich für eine zeitweilige Herrschaft des Ab¬
solutismus aus. Der klerikale Landeshauptmann Rhomberg von Vorarlberg
griff die altdeutsche Agitation, die Los vou Nom-Bewegung und die interkon
fessionelle Volksschule in der heftigsten Weise an, hielt sich aber von den
staatsrechtlichen Ideen der böhmischen Feudalherren ebenso fern, wie der
ihm konfessionell gesinnungsverwandte polnische Fürst Czartoryski, der den
autonomischen Gedanken nicht übermäßig betonte und indirekt doch für den
Fortbestand der Verfassung und des Zentralparlaments eintrat. Schon der
Sprecher der Mittelpartei, Fürst Schönburg, stellte die gesamtstaatlichen An-


Aus dein österreichische» Reichsrat

im ReichSrate die Erledigung der Staatsnotwendigkeiten durch die tschechische
Taktik verhindert werden sollte. Trotzdem schien es mehrere Wochen lang, daß
der Haß gegen die Verfassung und gegen das Zentralparlament und der natio¬
nale Größenwahn, der seine Gleichwertigkeit mit dem Deutschtum in jeder
Weise bethätigen Null, stärker sein werden als die politische Einsicht und die
Rücksicht ans die schon empfindlich fühlbare Schädigung der wirtschaftlichen
Interessen aller Völker des vielsprachigen Staates.

Leider findet die tschechische Radaupolitik eine Art von Entschuldigung,
jn gewissermaßen Rückendeckung in der unklugen Haltung der Altdeutschen
Gruppe. Der schroffste nud rücksichtsloseste Nationalismus, den sie den un¬
ablässigen Vorstoßen und der unermüdlichen Wühlarbeit des Slawentums ent¬
gegensetzt, läßt sich schließlich ebenso rechtfertigen, wie der unerbittliche Kampf
gegen den volksverräterischen Klerikalismus, wenn mau auch einzelne Äuße¬
rungen dieser Denk- und Gefühlsweise entweder vom Standpunkt der parla¬
mentarischen Form oder aus sachlichen Gründen nicht billigen kann. Aber neben
der politischen Verwertung der Los vou Rom-Bewegung, das offne Lossagen
von jedem österreichischen Patriotismus und jeder österreichischen Gesinnung
muß die maßgebenden Mächte der Staatsgewalt zu Gegnern der deutschen
Sache machen.

Ein Beispiel politischer Einsicht und Selbstzucht hat unter diesen be¬
trübenden Umständen das Herrenhaus gegeben. Es gelang das Wunder, die
Rechte, die Mittelpartei und die Verfassungspartei zur einstimmigen Annahme
einer Adresse als Antwort auf die Thronrede zu bewegen, deren Wortlaut
insbesondre den Feudalen und tschechischen Staatsrechtlern ein großes Opfer
auferlegte. Unter Wahrung der nationalen Gleichberechtigung wurde in der
Adresse die Notwendigkeit einer Vermittlungssprache betont, vorbehaltlich orga¬
nischer Entwicklung die Rechtsbeständigkeit, und der große Nutzen der Ver¬
fassung anerkannt, jede einseitige Nachgiebigkeit auf dein Sprachgebiete scharf
zurückgewiesen. Die Freude auf deutscher und verfassungstreuer Seite bei der
Veröffentlichung des Adreßentwurfs wurde allerdings durch den Verlauf der
Adreßdebatte im Herrenhause stark abgekühlt. Der oberste Führer der Tschechen,
der böhmische Landmarschall Fürst Lobkowitz, hielt in seiner Rede am böhmischen
Staatsrecht, an dem Verlangen nach einer Verminderung der .Kompetenzen
der Zentralgewalt und des Zentralparlameuts zu Gunsten der Laudesautonomie
und der Landtage fest und sprach sich für eine zeitweilige Herrschaft des Ab¬
solutismus aus. Der klerikale Landeshauptmann Rhomberg von Vorarlberg
griff die altdeutsche Agitation, die Los vou Nom-Bewegung und die interkon
fessionelle Volksschule in der heftigsten Weise an, hielt sich aber von den
staatsrechtlichen Ideen der böhmischen Feudalherren ebenso fern, wie der
ihm konfessionell gesinnungsverwandte polnische Fürst Czartoryski, der den
autonomischen Gedanken nicht übermäßig betonte und indirekt doch für den
Fortbestand der Verfassung und des Zentralparlaments eintrat. Schon der
Sprecher der Mittelpartei, Fürst Schönburg, stellte die gesamtstaatlichen An-


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[0596] Aus dein österreichische» Reichsrat im ReichSrate die Erledigung der Staatsnotwendigkeiten durch die tschechische Taktik verhindert werden sollte. Trotzdem schien es mehrere Wochen lang, daß der Haß gegen die Verfassung und gegen das Zentralparlament und der natio¬ nale Größenwahn, der seine Gleichwertigkeit mit dem Deutschtum in jeder Weise bethätigen Null, stärker sein werden als die politische Einsicht und die Rücksicht ans die schon empfindlich fühlbare Schädigung der wirtschaftlichen Interessen aller Völker des vielsprachigen Staates. Leider findet die tschechische Radaupolitik eine Art von Entschuldigung, jn gewissermaßen Rückendeckung in der unklugen Haltung der Altdeutschen Gruppe. Der schroffste nud rücksichtsloseste Nationalismus, den sie den un¬ ablässigen Vorstoßen und der unermüdlichen Wühlarbeit des Slawentums ent¬ gegensetzt, läßt sich schließlich ebenso rechtfertigen, wie der unerbittliche Kampf gegen den volksverräterischen Klerikalismus, wenn mau auch einzelne Äuße¬ rungen dieser Denk- und Gefühlsweise entweder vom Standpunkt der parla¬ mentarischen Form oder aus sachlichen Gründen nicht billigen kann. Aber neben der politischen Verwertung der Los vou Rom-Bewegung, das offne Lossagen von jedem österreichischen Patriotismus und jeder österreichischen Gesinnung muß die maßgebenden Mächte der Staatsgewalt zu Gegnern der deutschen Sache machen. Ein Beispiel politischer Einsicht und Selbstzucht hat unter diesen be¬ trübenden Umständen das Herrenhaus gegeben. Es gelang das Wunder, die Rechte, die Mittelpartei und die Verfassungspartei zur einstimmigen Annahme einer Adresse als Antwort auf die Thronrede zu bewegen, deren Wortlaut insbesondre den Feudalen und tschechischen Staatsrechtlern ein großes Opfer auferlegte. Unter Wahrung der nationalen Gleichberechtigung wurde in der Adresse die Notwendigkeit einer Vermittlungssprache betont, vorbehaltlich orga¬ nischer Entwicklung die Rechtsbeständigkeit, und der große Nutzen der Ver¬ fassung anerkannt, jede einseitige Nachgiebigkeit auf dein Sprachgebiete scharf zurückgewiesen. Die Freude auf deutscher und verfassungstreuer Seite bei der Veröffentlichung des Adreßentwurfs wurde allerdings durch den Verlauf der Adreßdebatte im Herrenhause stark abgekühlt. Der oberste Führer der Tschechen, der böhmische Landmarschall Fürst Lobkowitz, hielt in seiner Rede am böhmischen Staatsrecht, an dem Verlangen nach einer Verminderung der .Kompetenzen der Zentralgewalt und des Zentralparlameuts zu Gunsten der Laudesautonomie und der Landtage fest und sprach sich für eine zeitweilige Herrschaft des Ab¬ solutismus aus. Der klerikale Landeshauptmann Rhomberg von Vorarlberg griff die altdeutsche Agitation, die Los vou Nom-Bewegung und die interkon fessionelle Volksschule in der heftigsten Weise an, hielt sich aber von den staatsrechtlichen Ideen der böhmischen Feudalherren ebenso fern, wie der ihm konfessionell gesinnungsverwandte polnische Fürst Czartoryski, der den autonomischen Gedanken nicht übermäßig betonte und indirekt doch für den Fortbestand der Verfassung und des Zentralparlaments eintrat. Schon der Sprecher der Mittelpartei, Fürst Schönburg, stellte die gesamtstaatlichen An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/596>, abgerufen am 22.06.2024.