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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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muntrer Maar bedeckt nur 8, das Weinfelder etwas mehr als 16 Hektar, sie
verschwinden also gegen Albaner- und Nemisee, von denen der erste mit seiner
Oberfläche 400, der andre 280 Hektar einnimmt. Und während der Albanersee
mit seinem schön bewaldeten und mit Weinpflanzungen bedeckten Steilufer,
auf dessen höchstem Rande das freundliche Castel Gandolfo thront, den Charakter
sonniger Heiterkeit trägt, kann man das Weinfelder Maar nicht anders als
ein Bild des Todes bezeichnen. Sein Kratertrichter ist völlig kahl, kein Halm,
keine Blume schmückt den grauen Lavaboden, in dessen tiefer Einsenkung das
stille Wasser wie ein dunkler Metallspiegel ruht. Der Eindruck der Verlassen¬
heit wird durch ein einsames Kirchlein erhöht, das, von Grabsteinen umgeben,
sich wenig Schritte vom Ufer erhebt. Es ist der letzte Rest des einst blühenden
Dorfs Weinfelder, dessen Bewohner zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
ans unbekannten Gründen die Stätte verließen und nach dem an einem dritten,
fischreichen und von Ackerland umgebnen Maare liegenden Dorfe Schalkcnmehren
übersiedelten. Der Geistliche hielt es am längsten in der alten Heimat aus,
als aber das Pfarrhaus, wahrscheinlich infolge eines Erdbebens, barst, kehrte
auch er dem unheimlichen Orte den Rücken und folgte seiner Gemeinde nach.
Seitdem spielt das "Totenmeer" in der Sage eine bedeutende Rolle: ein
Gottesgericht soll Dorf und Schloß, die dort gestanden haben, zur Strafe für
einen unerhörten Frevel vom Erdboden vertilgt haben. Mensch und Tier
mieden lange den Schauplatz so furchtbarer Ereignisse, und sogar der Spinne
war es verboten, die Totenstille des Orts durch ihre Arbeit zu stören.

Der düstre Eindruck, den das Weinfelder Maar auf mich gemacht hatte,
wurde glücklicherweise bald durch erfreulichere Lnndschaftsbilder verwischt. Ju
der Nähe von Dann fand ich am Bergabhange ein Brachfeld, das mit
blühendem wildem Mohn lind goldgelben Ringelblumen dicht bedeckt war.
Sogar die Natur schien dem Lokalpatriotismus der Dauner Rechnung zu
tragen und sich vor ihrem herbstlichen Absterben noch einmal mit den Farben des
erlauchten Geschlechts, das so viele Jahrhunderte hier residiert hat, zu schmücken.
Nicht ohne Wehmut verließ ich die reizende Stadt, von der ich nun wohl
verstand, weshalb ihre Bewohner so stolz auf sie sind, und die nicht ohne
Grund alljährlich so viele Naturfreunde anlockt.

Dann war die letzte Station meiner Eifelreise. Von Mähen bis Ander-
nach war mir die Gegend ans frühern Jahren bekannt und vertraut, und was
an Städten und Dörfern zwischen Dann und Mähen lag, vermochte mich nach
den mannigfachen Eindrücken der letzten Tage nicht zu einem Aufenthalte zu
reizen. Vom Zuge ans sah ich Burgruinen und Kirche des alten Dorfs
Ulmen auf dem hohen Uferrande seines Maars liegen, bei Kaisersesch ver¬
beten große Schieferbrüche die rege Dachschieferindustric der Umgegend, und
Monreal winkte verführerisch genug aus seiner engen Schlucht, aber ich blieb
fest und ließ mich selbst durch die herrliche Lage von Mähen, der alten
Genvfevastndt im breiten Nettethale, nicht von meinem Vorsatze abbringen, bis
zum Rheine ohne Unterbrechung dnrchzufahren.


Grenzboten I 1901 73

muntrer Maar bedeckt nur 8, das Weinfelder etwas mehr als 16 Hektar, sie
verschwinden also gegen Albaner- und Nemisee, von denen der erste mit seiner
Oberfläche 400, der andre 280 Hektar einnimmt. Und während der Albanersee
mit seinem schön bewaldeten und mit Weinpflanzungen bedeckten Steilufer,
auf dessen höchstem Rande das freundliche Castel Gandolfo thront, den Charakter
sonniger Heiterkeit trägt, kann man das Weinfelder Maar nicht anders als
ein Bild des Todes bezeichnen. Sein Kratertrichter ist völlig kahl, kein Halm,
keine Blume schmückt den grauen Lavaboden, in dessen tiefer Einsenkung das
stille Wasser wie ein dunkler Metallspiegel ruht. Der Eindruck der Verlassen¬
heit wird durch ein einsames Kirchlein erhöht, das, von Grabsteinen umgeben,
sich wenig Schritte vom Ufer erhebt. Es ist der letzte Rest des einst blühenden
Dorfs Weinfelder, dessen Bewohner zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts
ans unbekannten Gründen die Stätte verließen und nach dem an einem dritten,
fischreichen und von Ackerland umgebnen Maare liegenden Dorfe Schalkcnmehren
übersiedelten. Der Geistliche hielt es am längsten in der alten Heimat aus,
als aber das Pfarrhaus, wahrscheinlich infolge eines Erdbebens, barst, kehrte
auch er dem unheimlichen Orte den Rücken und folgte seiner Gemeinde nach.
Seitdem spielt das „Totenmeer" in der Sage eine bedeutende Rolle: ein
Gottesgericht soll Dorf und Schloß, die dort gestanden haben, zur Strafe für
einen unerhörten Frevel vom Erdboden vertilgt haben. Mensch und Tier
mieden lange den Schauplatz so furchtbarer Ereignisse, und sogar der Spinne
war es verboten, die Totenstille des Orts durch ihre Arbeit zu stören.

Der düstre Eindruck, den das Weinfelder Maar auf mich gemacht hatte,
wurde glücklicherweise bald durch erfreulichere Lnndschaftsbilder verwischt. Ju
der Nähe von Dann fand ich am Bergabhange ein Brachfeld, das mit
blühendem wildem Mohn lind goldgelben Ringelblumen dicht bedeckt war.
Sogar die Natur schien dem Lokalpatriotismus der Dauner Rechnung zu
tragen und sich vor ihrem herbstlichen Absterben noch einmal mit den Farben des
erlauchten Geschlechts, das so viele Jahrhunderte hier residiert hat, zu schmücken.
Nicht ohne Wehmut verließ ich die reizende Stadt, von der ich nun wohl
verstand, weshalb ihre Bewohner so stolz auf sie sind, und die nicht ohne
Grund alljährlich so viele Naturfreunde anlockt.

Dann war die letzte Station meiner Eifelreise. Von Mähen bis Ander-
nach war mir die Gegend ans frühern Jahren bekannt und vertraut, und was
an Städten und Dörfern zwischen Dann und Mähen lag, vermochte mich nach
den mannigfachen Eindrücken der letzten Tage nicht zu einem Aufenthalte zu
reizen. Vom Zuge ans sah ich Burgruinen und Kirche des alten Dorfs
Ulmen auf dem hohen Uferrande seines Maars liegen, bei Kaisersesch ver¬
beten große Schieferbrüche die rege Dachschieferindustric der Umgegend, und
Monreal winkte verführerisch genug aus seiner engen Schlucht, aber ich blieb
fest und ließ mich selbst durch die herrliche Lage von Mähen, der alten
Genvfevastndt im breiten Nettethale, nicht von meinem Vorsatze abbringen, bis
zum Rheine ohne Unterbrechung dnrchzufahren.


Grenzboten I 1901 73
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/585>, abgerufen am 22.06.2024.