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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in der Lisel

<mi vunanr ignor^t in ihrem Gitterwappen führt, würde in einem solchen Bilde
einen neuen, würdigen Schmuck erhalten.

Es war ein köstlicher, stiller Herbstmorgen, als ich die steil abfallende
Hauptstraße des Städtchens hinabwanderte, um, dem Lieserthale folgend, die
einsame Landschaft aufzusuchen, die durch ihre merkwürdige Gebirgsformation
und vor allem durch ihre Kraterseen, Maare genannt, von jeher die Aufmerk¬
samkeit aller Forscher und Naturfreunde erregt hat. Die Wiesen am Flusse
hatten ihren schönsten Juwelcnschmnck von Frühtan augelegt, und die Wälder,
über deren Wipfel das erste goldne Licht des Morgens flimmerte, lagen so
still und friedlich vor mir ausgebreitet, als wenn sie einen ununterbrochnem
Sonntag feierten. Bei dem Dorfe Gemunden verließ ich Thal und Landstraße
und stieg deu Höhenzug empor, dessen höchste Erhebung, der 562 Meter hohe
Müuseberg, die ganze Gegend beherrscht. Ich mochte etwa 100 Meter ge¬
stiegen sein, als sich mir plötzlich ein Anblick bot, der mich, obwohl ich darauf
gefaßt war, dennoch überraschte. Ju einer trichterförmigen Mulde schimmerte,
von Buchenwald umgeben, der kreisrunde Spiegel eines tiefen, blauen Berg¬
sees, des Gemündner Maares. Regungslos lag der See zu meinen Füßen;
nur ein Streif bebaute" Landes, der die Wasserfläche wie ein Gürtel um¬
schließt, und ein hinter Weiden verstecktes Badehänscheu verrieten, daß der
Ort keineswegs so einsam und von den Menschen gemieden ist, wie es der
Fremde bei flüchtigem Besuche wohl anzunehmen Pflegt.

Am Südrande dieses Kraters weiterwaudernd, erreichte ich auf stark an¬
steigendem Waldwege den kahlen Gipfel des Mänsebergs. Ist die Rundsicht
von dort oben, die nordwärts vom Gebirgsstock der Hohen Eifel, südwärts
von den Uferbergen der Mosel und dein Hunsrücken abgeschlossen wird, schon
unvergleichlich großartig, so wirkt der Blick von Nordabhänge des Gipfels in
die Tiefe geradezu verblüffend. Man erblickt hier plötzlich ein zweites Maar,
das Weinfelder, dessen Spiegel jedoch volle 80 Meter höher liegt als der
des andern. Obgleich die Scheidewand zwischen beiden an ihrer breitesten
Stelle nur 710 Meter beträgt, sind beide Seen so vollkommen isoliert, daß
man nicht die geringste Spur einer unterirdischen Verbindung zwischen ihnen
wahrnimmt. Wäre eine solche vorhanden, so würde das Weinfelder Maar
auch bald genug ausgetrocknet sein, da sein Wasser in das Gemündner ab¬
fließen müßte.

Wer das Albanergebirge bei Rom kennt, der wird erstaunen, hier eine
Art Miniaturausgabe jeuer Lieblingslandschaft aller Maler und Poeten wieder¬
zufinden. Die Ähnlichkeit in Formation und Szenerie ist unverkennbar: wo
sich dort der Monte Cavo erhebt, finden wir hier den Mänseberg, während
dem Albanersee das Weinfelder Maar, dein Nemisee das Gemündner Maar
entspricht. Auch die Kraterseen des Albanergelürgs zeigen einen merklichen
Unterschied in der Höhe ihrer Spiegel, doch bleibt auch der höchstgclegne von
ihnen, der Nemisee, immer noch 163 Meter unter dem Niveau des Weinfelder
Maars zurück. Dafür sind die Eifelseen aber auch sehr viel kleiner, das Ge-


Herbsttage in der Lisel

<mi vunanr ignor^t in ihrem Gitterwappen führt, würde in einem solchen Bilde
einen neuen, würdigen Schmuck erhalten.

Es war ein köstlicher, stiller Herbstmorgen, als ich die steil abfallende
Hauptstraße des Städtchens hinabwanderte, um, dem Lieserthale folgend, die
einsame Landschaft aufzusuchen, die durch ihre merkwürdige Gebirgsformation
und vor allem durch ihre Kraterseen, Maare genannt, von jeher die Aufmerk¬
samkeit aller Forscher und Naturfreunde erregt hat. Die Wiesen am Flusse
hatten ihren schönsten Juwelcnschmnck von Frühtan augelegt, und die Wälder,
über deren Wipfel das erste goldne Licht des Morgens flimmerte, lagen so
still und friedlich vor mir ausgebreitet, als wenn sie einen ununterbrochnem
Sonntag feierten. Bei dem Dorfe Gemunden verließ ich Thal und Landstraße
und stieg deu Höhenzug empor, dessen höchste Erhebung, der 562 Meter hohe
Müuseberg, die ganze Gegend beherrscht. Ich mochte etwa 100 Meter ge¬
stiegen sein, als sich mir plötzlich ein Anblick bot, der mich, obwohl ich darauf
gefaßt war, dennoch überraschte. Ju einer trichterförmigen Mulde schimmerte,
von Buchenwald umgeben, der kreisrunde Spiegel eines tiefen, blauen Berg¬
sees, des Gemündner Maares. Regungslos lag der See zu meinen Füßen;
nur ein Streif bebaute» Landes, der die Wasserfläche wie ein Gürtel um¬
schließt, und ein hinter Weiden verstecktes Badehänscheu verrieten, daß der
Ort keineswegs so einsam und von den Menschen gemieden ist, wie es der
Fremde bei flüchtigem Besuche wohl anzunehmen Pflegt.

Am Südrande dieses Kraters weiterwaudernd, erreichte ich auf stark an¬
steigendem Waldwege den kahlen Gipfel des Mänsebergs. Ist die Rundsicht
von dort oben, die nordwärts vom Gebirgsstock der Hohen Eifel, südwärts
von den Uferbergen der Mosel und dein Hunsrücken abgeschlossen wird, schon
unvergleichlich großartig, so wirkt der Blick von Nordabhänge des Gipfels in
die Tiefe geradezu verblüffend. Man erblickt hier plötzlich ein zweites Maar,
das Weinfelder, dessen Spiegel jedoch volle 80 Meter höher liegt als der
des andern. Obgleich die Scheidewand zwischen beiden an ihrer breitesten
Stelle nur 710 Meter beträgt, sind beide Seen so vollkommen isoliert, daß
man nicht die geringste Spur einer unterirdischen Verbindung zwischen ihnen
wahrnimmt. Wäre eine solche vorhanden, so würde das Weinfelder Maar
auch bald genug ausgetrocknet sein, da sein Wasser in das Gemündner ab¬
fließen müßte.

Wer das Albanergebirge bei Rom kennt, der wird erstaunen, hier eine
Art Miniaturausgabe jeuer Lieblingslandschaft aller Maler und Poeten wieder¬
zufinden. Die Ähnlichkeit in Formation und Szenerie ist unverkennbar: wo
sich dort der Monte Cavo erhebt, finden wir hier den Mänseberg, während
dem Albanersee das Weinfelder Maar, dein Nemisee das Gemündner Maar
entspricht. Auch die Kraterseen des Albanergelürgs zeigen einen merklichen
Unterschied in der Höhe ihrer Spiegel, doch bleibt auch der höchstgclegne von
ihnen, der Nemisee, immer noch 163 Meter unter dem Niveau des Weinfelder
Maars zurück. Dafür sind die Eifelseen aber auch sehr viel kleiner, das Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/584>, abgerufen am 22.06.2024.