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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Herbsttage in dor "Lisel

Bruderkriege und den Mißerfolgen einer mit blinder Willkür geführten Re¬
gierung und gepeinigt von Gewissensbissen, der Krone entsagend, in Prüm
seinem Tode entgegensehen wollte. Noch an demselben Tage fielen Haar und
Bart deö kaiserlichen Büßers unter der Schere des Abtes, "ut den siechen
Leib umhüllte statt des gewohnten Purpurs das rauhe Kleid des Benediktiner-
ordens. Aber es war, als habe der Himmel dem gekrönten Sünder keine Zeit
zu Gebet und Geißelung lassen wollen-, schon am 29. September starb er in
seiner Zelle, Seinem Wunsche gemäß bestattete man ihn in der Mitte des
Chores der Abteikirche, der er reiche Stiftungen und große Schätze an Gold
und Kleinodien zugewandt hatte. Die Neste seiner Gebeine fand man zu¬
sammen mit vier eisernen Schlüsseln und andern Mctallteilen im Jahre 1860
wieder ans. Sie haben eine würdige Ruhestätte in dem von Kaiser Wilhelm I.
gestifteten prächtigen Sarkophage erhalten.

Es versteht sich von selbst, daß eine Abtei von der Bedeutuug und dem
Reichtum Prüms die Eifersucht und den Neid der benachbarten Kirchenfürsten
wachrufen mußte. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurde denn
auch vou Trier aus der Versuch gemacht, das Kloster samt allen seinen Be¬
sitzungen zu dein Gebiet des Erzbistums zu schlagen, doch wußten sich Abt
und Mönche mit Hilfe der Päpste diesem Ansinnen uoch lauge erfolgreich zu
widersetzen, bis endlich, im Jahre 1576, unter Zustimmung von Kaiser und
Papst die Vereinigung der Abtei mit Kurtrier vollzogen wurde. Diese
"Union," wie es in den Akten heißt, war keineswegs eine bloße Formalität,
sie brachte vielmehr dem Erzbischof als dem Administrator des .Klosters eine
Jahreseinnahme vou 36000 Reichsthalern ein. In Prüm vermochte man den
Verlust der politischen Selbständigkeit nie zu verschmerzen. Noch im Jahre
1716 veröffentlichte der Prior Cosmas Knauf eine Protestschrift gegen den
Trierer Stuhl, für die er durch eine lange Haft ans dem Ehrenbreitstein
büßen mußte. Aber eine Wirkung scheint das Opusculum des würdige" Herrn
doch gehabt zu haben. Man besann sich in Trier plötzlich darauf, daß die
schöne'Summe, die man alljährlich aus Prüm zog, auch zu einer Gegenleistung
verpflichte. So ließ denu Kurfürst Franz Ludwig in deu Jahren 1721 bis
l?30 den Mönchen eine neue Kirche, und sein Nachfolger, Franz Georg, seit
1748 ein neues Kloster bauen, ohne daß beide jedoch die Mittel zur würdigen
Ausschmückung des neuen Gotteshauses erübrigen konnten. Der in großen
Dimensionen aufgeführte Barockbau wurde, nachdem das Kloster 1801 von den
Franzosen aufgehoben worden und 1815 an Preußen gekommen war, der Ge¬
meinde als Pfarrkirche überwiesen, die Abtei selbst einer Sekuudärschule ein¬
geräumt, aus der sich später eine höhere Bürgerschule und neuerdings ein
Gymnasium entwickelt hat. Die Ausschmückung der Kirche übernahm die Ge¬
meinde selbst, indem sie die Kosten dnrch einen "Groschenverein" aufbrachte,
dessen Mitglieder sich durch Unterschrift zur wöchentlichen Zahlung einer kleinen
Summe verpflichteten.

Bei meinem Besuche in Prüm stand die schmucke Landstadt im Zeichen


Herbsttage in dor «Lisel

Bruderkriege und den Mißerfolgen einer mit blinder Willkür geführten Re¬
gierung und gepeinigt von Gewissensbissen, der Krone entsagend, in Prüm
seinem Tode entgegensehen wollte. Noch an demselben Tage fielen Haar und
Bart deö kaiserlichen Büßers unter der Schere des Abtes, »ut den siechen
Leib umhüllte statt des gewohnten Purpurs das rauhe Kleid des Benediktiner-
ordens. Aber es war, als habe der Himmel dem gekrönten Sünder keine Zeit
zu Gebet und Geißelung lassen wollen-, schon am 29. September starb er in
seiner Zelle, Seinem Wunsche gemäß bestattete man ihn in der Mitte des
Chores der Abteikirche, der er reiche Stiftungen und große Schätze an Gold
und Kleinodien zugewandt hatte. Die Neste seiner Gebeine fand man zu¬
sammen mit vier eisernen Schlüsseln und andern Mctallteilen im Jahre 1860
wieder ans. Sie haben eine würdige Ruhestätte in dem von Kaiser Wilhelm I.
gestifteten prächtigen Sarkophage erhalten.

Es versteht sich von selbst, daß eine Abtei von der Bedeutuug und dem
Reichtum Prüms die Eifersucht und den Neid der benachbarten Kirchenfürsten
wachrufen mußte. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurde denn
auch vou Trier aus der Versuch gemacht, das Kloster samt allen seinen Be¬
sitzungen zu dein Gebiet des Erzbistums zu schlagen, doch wußten sich Abt
und Mönche mit Hilfe der Päpste diesem Ansinnen uoch lauge erfolgreich zu
widersetzen, bis endlich, im Jahre 1576, unter Zustimmung von Kaiser und
Papst die Vereinigung der Abtei mit Kurtrier vollzogen wurde. Diese
„Union," wie es in den Akten heißt, war keineswegs eine bloße Formalität,
sie brachte vielmehr dem Erzbischof als dem Administrator des .Klosters eine
Jahreseinnahme vou 36000 Reichsthalern ein. In Prüm vermochte man den
Verlust der politischen Selbständigkeit nie zu verschmerzen. Noch im Jahre
1716 veröffentlichte der Prior Cosmas Knauf eine Protestschrift gegen den
Trierer Stuhl, für die er durch eine lange Haft ans dem Ehrenbreitstein
büßen mußte. Aber eine Wirkung scheint das Opusculum des würdige» Herrn
doch gehabt zu haben. Man besann sich in Trier plötzlich darauf, daß die
schöne'Summe, die man alljährlich aus Prüm zog, auch zu einer Gegenleistung
verpflichte. So ließ denu Kurfürst Franz Ludwig in deu Jahren 1721 bis
l?30 den Mönchen eine neue Kirche, und sein Nachfolger, Franz Georg, seit
1748 ein neues Kloster bauen, ohne daß beide jedoch die Mittel zur würdigen
Ausschmückung des neuen Gotteshauses erübrigen konnten. Der in großen
Dimensionen aufgeführte Barockbau wurde, nachdem das Kloster 1801 von den
Franzosen aufgehoben worden und 1815 an Preußen gekommen war, der Ge¬
meinde als Pfarrkirche überwiesen, die Abtei selbst einer Sekuudärschule ein¬
geräumt, aus der sich später eine höhere Bürgerschule und neuerdings ein
Gymnasium entwickelt hat. Die Ausschmückung der Kirche übernahm die Ge¬
meinde selbst, indem sie die Kosten dnrch einen „Groschenverein" aufbrachte,
dessen Mitglieder sich durch Unterschrift zur wöchentlichen Zahlung einer kleinen
Summe verpflichteten.

Bei meinem Besuche in Prüm stand die schmucke Landstadt im Zeichen


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[0579] Herbsttage in dor «Lisel Bruderkriege und den Mißerfolgen einer mit blinder Willkür geführten Re¬ gierung und gepeinigt von Gewissensbissen, der Krone entsagend, in Prüm seinem Tode entgegensehen wollte. Noch an demselben Tage fielen Haar und Bart deö kaiserlichen Büßers unter der Schere des Abtes, »ut den siechen Leib umhüllte statt des gewohnten Purpurs das rauhe Kleid des Benediktiner- ordens. Aber es war, als habe der Himmel dem gekrönten Sünder keine Zeit zu Gebet und Geißelung lassen wollen-, schon am 29. September starb er in seiner Zelle, Seinem Wunsche gemäß bestattete man ihn in der Mitte des Chores der Abteikirche, der er reiche Stiftungen und große Schätze an Gold und Kleinodien zugewandt hatte. Die Neste seiner Gebeine fand man zu¬ sammen mit vier eisernen Schlüsseln und andern Mctallteilen im Jahre 1860 wieder ans. Sie haben eine würdige Ruhestätte in dem von Kaiser Wilhelm I. gestifteten prächtigen Sarkophage erhalten. Es versteht sich von selbst, daß eine Abtei von der Bedeutuug und dem Reichtum Prüms die Eifersucht und den Neid der benachbarten Kirchenfürsten wachrufen mußte. Seit der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts wurde denn auch vou Trier aus der Versuch gemacht, das Kloster samt allen seinen Be¬ sitzungen zu dein Gebiet des Erzbistums zu schlagen, doch wußten sich Abt und Mönche mit Hilfe der Päpste diesem Ansinnen uoch lauge erfolgreich zu widersetzen, bis endlich, im Jahre 1576, unter Zustimmung von Kaiser und Papst die Vereinigung der Abtei mit Kurtrier vollzogen wurde. Diese „Union," wie es in den Akten heißt, war keineswegs eine bloße Formalität, sie brachte vielmehr dem Erzbischof als dem Administrator des .Klosters eine Jahreseinnahme vou 36000 Reichsthalern ein. In Prüm vermochte man den Verlust der politischen Selbständigkeit nie zu verschmerzen. Noch im Jahre 1716 veröffentlichte der Prior Cosmas Knauf eine Protestschrift gegen den Trierer Stuhl, für die er durch eine lange Haft ans dem Ehrenbreitstein büßen mußte. Aber eine Wirkung scheint das Opusculum des würdige» Herrn doch gehabt zu haben. Man besann sich in Trier plötzlich darauf, daß die schöne'Summe, die man alljährlich aus Prüm zog, auch zu einer Gegenleistung verpflichte. So ließ denu Kurfürst Franz Ludwig in deu Jahren 1721 bis l?30 den Mönchen eine neue Kirche, und sein Nachfolger, Franz Georg, seit 1748 ein neues Kloster bauen, ohne daß beide jedoch die Mittel zur würdigen Ausschmückung des neuen Gotteshauses erübrigen konnten. Der in großen Dimensionen aufgeführte Barockbau wurde, nachdem das Kloster 1801 von den Franzosen aufgehoben worden und 1815 an Preußen gekommen war, der Ge¬ meinde als Pfarrkirche überwiesen, die Abtei selbst einer Sekuudärschule ein¬ geräumt, aus der sich später eine höhere Bürgerschule und neuerdings ein Gymnasium entwickelt hat. Die Ausschmückung der Kirche übernahm die Ge¬ meinde selbst, indem sie die Kosten dnrch einen „Groschenverein" aufbrachte, dessen Mitglieder sich durch Unterschrift zur wöchentlichen Zahlung einer kleinen Summe verpflichteten. Bei meinem Besuche in Prüm stand die schmucke Landstadt im Zeichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/579>, abgerufen am 22.06.2024.