Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Laieugcdanken über Humanismus und humanistische Schule

Wie vielen Fällen auch die Dauerhaftigkeit des Sitzfleisches! Es ist bitter,
den Begriff des Banausentums mit den höchsten akademischen Würden in
Verbindung zu bringen, aber es ist ja so, die Begriffe schließen sich nicht
immer aus.




Jeder, der dieses Abgleiten ans einer schiefen Ebene mit Sorge beobachtet
hat, wird auch mit schwerem Herzen der Bewegung für die Gleichberechtigung
zugesehen haben, die die Realisten nach langem zähem Kampf für ihre Schulen
durchgesetzt haben. Mau mag die Sache betrachten, wie man will, sie ist doch
ein Sieg des Vanauseutums und der materialistischen Weltanschnunng. Und
trotzdem, als die Würfel endlich gefallen waren, seufzte man erleichtert auf.
Es war wenigstens eine reinliche Scheidung ermöglicht. Die Realisten mögen
jetzt zeigen, was sie vermögen, und die Universitäten, was sie ans den Leuten
machen, die ihnen die Realanstalten vorbilden, die Regierungen aber mögen
sehen, wie sie es verhüten, das; sich neue Scharen von Amts- und Erwerbs¬
hungrigen zu Berufen drängen, die schon jetzt von mehr Anwärtern belagert
werden, als sie zu beschäftigen imstande sind. Es macht einen seltsamen Ein¬
druck, wenn man das Elend im Medizinerstand, die Ausnützung der Kraft der
Jahre und Jahre ans frei werdende Ämter harrenden Jünger andrer akademisch
gebildeter Berufe neben die Hoffnungen hält, die deu Neuberechtigten leuchten
werden. Das mag nun werden, wie es null; den Gymnasien ist jedenfalls die
Möglichkeit geboten, ihre Tenne reinznfegen und ans der Zwitterstellnng, in die
sie hineingetrieben waren, wieder auf reinen und wirklich humanistischen Boden
zu gelangen. Je energischer sie sich dazu entschließen, desto sicherer gehört
ihnen die Zukunft; je höher sie sich ihr ideales Ziel stecken, desto stärker
Werden sie wieder an sich ziehn. was sich jetzt von ihnen löst. Denn es ist
keine Frage, der ideale Sinn unsers "olks wird sich nicht ans die Dauer und
rein praktischen und materiellen Zielen und Bestrebungen zufrieden geben
- wer weiß denn, ob uns nicht in dem großen Wettbewerb der Nationen auf
dem Weltmarkt bittere Enttäuschungen bevorstehu? - es wird sich nach den
Zeiten zurücksehnen wie nach einem Paradies, wo noch die Musen sein ein¬
facheres Leben reich machten und verschönten, und nicht der Götze Mammon
alles beherrschte. Ich bin ganz sicher, daß die Realisten nur einen kurzen
Triumph feiern werden. Sie werden es erleben, daß ihnen der Boden unter
den Füßen wie Sand wegrinnt. Die Berechtigung ist für ihre Schulen en.e
Errungenschaft von zweifelhaftem Wert, die wohl nur klar machen mürb. daß
ihre bescheidnern Ziele ihr eine bescheidnere Stellung anweisen, als sie jetzt er¬
obert z" haben glauben. Die Väter werden ihre Jungen erst recht auf das
Gymnasium schicken, wenn sie wirklich höheres Streben haben, und das Gym¬
nasium sich danach einrichtet.

Aber es muß sich eben auch wieder auf seiue höhern Zwecke besinnen und
entschlossen dafür einrichten, wenn es seinen alten Rang wieder erreichen will.


Grenzboten I 1901 ^
Laieugcdanken über Humanismus und humanistische Schule

Wie vielen Fällen auch die Dauerhaftigkeit des Sitzfleisches! Es ist bitter,
den Begriff des Banausentums mit den höchsten akademischen Würden in
Verbindung zu bringen, aber es ist ja so, die Begriffe schließen sich nicht
immer aus.




Jeder, der dieses Abgleiten ans einer schiefen Ebene mit Sorge beobachtet
hat, wird auch mit schwerem Herzen der Bewegung für die Gleichberechtigung
zugesehen haben, die die Realisten nach langem zähem Kampf für ihre Schulen
durchgesetzt haben. Mau mag die Sache betrachten, wie man will, sie ist doch
ein Sieg des Vanauseutums und der materialistischen Weltanschnunng. Und
trotzdem, als die Würfel endlich gefallen waren, seufzte man erleichtert auf.
Es war wenigstens eine reinliche Scheidung ermöglicht. Die Realisten mögen
jetzt zeigen, was sie vermögen, und die Universitäten, was sie ans den Leuten
machen, die ihnen die Realanstalten vorbilden, die Regierungen aber mögen
sehen, wie sie es verhüten, das; sich neue Scharen von Amts- und Erwerbs¬
hungrigen zu Berufen drängen, die schon jetzt von mehr Anwärtern belagert
werden, als sie zu beschäftigen imstande sind. Es macht einen seltsamen Ein¬
druck, wenn man das Elend im Medizinerstand, die Ausnützung der Kraft der
Jahre und Jahre ans frei werdende Ämter harrenden Jünger andrer akademisch
gebildeter Berufe neben die Hoffnungen hält, die deu Neuberechtigten leuchten
werden. Das mag nun werden, wie es null; den Gymnasien ist jedenfalls die
Möglichkeit geboten, ihre Tenne reinznfegen und ans der Zwitterstellnng, in die
sie hineingetrieben waren, wieder auf reinen und wirklich humanistischen Boden
zu gelangen. Je energischer sie sich dazu entschließen, desto sicherer gehört
ihnen die Zukunft; je höher sie sich ihr ideales Ziel stecken, desto stärker
Werden sie wieder an sich ziehn. was sich jetzt von ihnen löst. Denn es ist
keine Frage, der ideale Sinn unsers «olks wird sich nicht ans die Dauer und
rein praktischen und materiellen Zielen und Bestrebungen zufrieden geben
- wer weiß denn, ob uns nicht in dem großen Wettbewerb der Nationen auf
dem Weltmarkt bittere Enttäuschungen bevorstehu? - es wird sich nach den
Zeiten zurücksehnen wie nach einem Paradies, wo noch die Musen sein ein¬
facheres Leben reich machten und verschönten, und nicht der Götze Mammon
alles beherrschte. Ich bin ganz sicher, daß die Realisten nur einen kurzen
Triumph feiern werden. Sie werden es erleben, daß ihnen der Boden unter
den Füßen wie Sand wegrinnt. Die Berechtigung ist für ihre Schulen en.e
Errungenschaft von zweifelhaftem Wert, die wohl nur klar machen mürb. daß
ihre bescheidnern Ziele ihr eine bescheidnere Stellung anweisen, als sie jetzt er¬
obert z» haben glauben. Die Väter werden ihre Jungen erst recht auf das
Gymnasium schicken, wenn sie wirklich höheres Streben haben, und das Gym¬
nasium sich danach einrichtet.

Aber es muß sich eben auch wieder auf seiue höhern Zwecke besinnen und
entschlossen dafür einrichten, wenn es seinen alten Rang wieder erreichen will.


Grenzboten I 1901 ^
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234441"/>
          <fw type="header" place="top"> Laieugcdanken über Humanismus und humanistische Schule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1819" prev="#ID_1818"> Wie vielen Fällen auch die Dauerhaftigkeit des Sitzfleisches! Es ist bitter,<lb/>
den Begriff des Banausentums mit den höchsten akademischen Würden in<lb/>
Verbindung zu bringen, aber es ist ja so, die Begriffe schließen sich nicht<lb/>
immer aus.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1820"> Jeder, der dieses Abgleiten ans einer schiefen Ebene mit Sorge beobachtet<lb/>
hat, wird auch mit schwerem Herzen der Bewegung für die Gleichberechtigung<lb/>
zugesehen haben, die die Realisten nach langem zähem Kampf für ihre Schulen<lb/>
durchgesetzt haben. Mau mag die Sache betrachten, wie man will, sie ist doch<lb/>
ein Sieg des Vanauseutums und der materialistischen Weltanschnunng. Und<lb/>
trotzdem, als die Würfel endlich gefallen waren, seufzte man erleichtert auf.<lb/>
Es war wenigstens eine reinliche Scheidung ermöglicht. Die Realisten mögen<lb/>
jetzt zeigen, was sie vermögen, und die Universitäten, was sie ans den Leuten<lb/>
machen, die ihnen die Realanstalten vorbilden, die Regierungen aber mögen<lb/>
sehen, wie sie es verhüten, das; sich neue Scharen von Amts- und Erwerbs¬<lb/>
hungrigen zu Berufen drängen, die schon jetzt von mehr Anwärtern belagert<lb/>
werden, als sie zu beschäftigen imstande sind. Es macht einen seltsamen Ein¬<lb/>
druck, wenn man das Elend im Medizinerstand, die Ausnützung der Kraft der<lb/>
Jahre und Jahre ans frei werdende Ämter harrenden Jünger andrer akademisch<lb/>
gebildeter Berufe neben die Hoffnungen hält, die deu Neuberechtigten leuchten<lb/>
werden. Das mag nun werden, wie es null; den Gymnasien ist jedenfalls die<lb/>
Möglichkeit geboten, ihre Tenne reinznfegen und ans der Zwitterstellnng, in die<lb/>
sie hineingetrieben waren, wieder auf reinen und wirklich humanistischen Boden<lb/>
zu gelangen. Je energischer sie sich dazu entschließen, desto sicherer gehört<lb/>
ihnen die Zukunft; je höher sie sich ihr ideales Ziel stecken, desto stärker<lb/>
Werden sie wieder an sich ziehn. was sich jetzt von ihnen löst. Denn es ist<lb/>
keine Frage, der ideale Sinn unsers «olks wird sich nicht ans die Dauer und<lb/>
rein praktischen und materiellen Zielen und Bestrebungen zufrieden geben<lb/>
- wer weiß denn, ob uns nicht in dem großen Wettbewerb der Nationen auf<lb/>
dem Weltmarkt bittere Enttäuschungen bevorstehu? - es wird sich nach den<lb/>
Zeiten zurücksehnen wie nach einem Paradies, wo noch die Musen sein ein¬<lb/>
facheres Leben reich machten und verschönten, und nicht der Götze Mammon<lb/>
alles beherrschte. Ich bin ganz sicher, daß die Realisten nur einen kurzen<lb/>
Triumph feiern werden. Sie werden es erleben, daß ihnen der Boden unter<lb/>
den Füßen wie Sand wegrinnt. Die Berechtigung ist für ihre Schulen en.e<lb/>
Errungenschaft von zweifelhaftem Wert, die wohl nur klar machen mürb. daß<lb/>
ihre bescheidnern Ziele ihr eine bescheidnere Stellung anweisen, als sie jetzt er¬<lb/>
obert z» haben glauben. Die Väter werden ihre Jungen erst recht auf das<lb/>
Gymnasium schicken, wenn sie wirklich höheres Streben haben, und das Gym¬<lb/>
nasium sich danach einrichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1821" next="#ID_1822"> Aber es muß sich eben auch wieder auf seiue höhern Zwecke besinnen und<lb/>
entschlossen dafür einrichten, wenn es seinen alten Rang wieder erreichen will.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1901 ^</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] Laieugcdanken über Humanismus und humanistische Schule Wie vielen Fällen auch die Dauerhaftigkeit des Sitzfleisches! Es ist bitter, den Begriff des Banausentums mit den höchsten akademischen Würden in Verbindung zu bringen, aber es ist ja so, die Begriffe schließen sich nicht immer aus. Jeder, der dieses Abgleiten ans einer schiefen Ebene mit Sorge beobachtet hat, wird auch mit schwerem Herzen der Bewegung für die Gleichberechtigung zugesehen haben, die die Realisten nach langem zähem Kampf für ihre Schulen durchgesetzt haben. Mau mag die Sache betrachten, wie man will, sie ist doch ein Sieg des Vanauseutums und der materialistischen Weltanschnunng. Und trotzdem, als die Würfel endlich gefallen waren, seufzte man erleichtert auf. Es war wenigstens eine reinliche Scheidung ermöglicht. Die Realisten mögen jetzt zeigen, was sie vermögen, und die Universitäten, was sie ans den Leuten machen, die ihnen die Realanstalten vorbilden, die Regierungen aber mögen sehen, wie sie es verhüten, das; sich neue Scharen von Amts- und Erwerbs¬ hungrigen zu Berufen drängen, die schon jetzt von mehr Anwärtern belagert werden, als sie zu beschäftigen imstande sind. Es macht einen seltsamen Ein¬ druck, wenn man das Elend im Medizinerstand, die Ausnützung der Kraft der Jahre und Jahre ans frei werdende Ämter harrenden Jünger andrer akademisch gebildeter Berufe neben die Hoffnungen hält, die deu Neuberechtigten leuchten werden. Das mag nun werden, wie es null; den Gymnasien ist jedenfalls die Möglichkeit geboten, ihre Tenne reinznfegen und ans der Zwitterstellnng, in die sie hineingetrieben waren, wieder auf reinen und wirklich humanistischen Boden zu gelangen. Je energischer sie sich dazu entschließen, desto sicherer gehört ihnen die Zukunft; je höher sie sich ihr ideales Ziel stecken, desto stärker Werden sie wieder an sich ziehn. was sich jetzt von ihnen löst. Denn es ist keine Frage, der ideale Sinn unsers «olks wird sich nicht ans die Dauer und rein praktischen und materiellen Zielen und Bestrebungen zufrieden geben - wer weiß denn, ob uns nicht in dem großen Wettbewerb der Nationen auf dem Weltmarkt bittere Enttäuschungen bevorstehu? - es wird sich nach den Zeiten zurücksehnen wie nach einem Paradies, wo noch die Musen sein ein¬ facheres Leben reich machten und verschönten, und nicht der Götze Mammon alles beherrschte. Ich bin ganz sicher, daß die Realisten nur einen kurzen Triumph feiern werden. Sie werden es erleben, daß ihnen der Boden unter den Füßen wie Sand wegrinnt. Die Berechtigung ist für ihre Schulen en.e Errungenschaft von zweifelhaftem Wert, die wohl nur klar machen mürb. daß ihre bescheidnern Ziele ihr eine bescheidnere Stellung anweisen, als sie jetzt er¬ obert z» haben glauben. Die Väter werden ihre Jungen erst recht auf das Gymnasium schicken, wenn sie wirklich höheres Streben haben, und das Gym¬ nasium sich danach einrichtet. Aber es muß sich eben auch wieder auf seiue höhern Zwecke besinnen und entschlossen dafür einrichten, wenn es seinen alten Rang wieder erreichen will. Grenzboten I 1901 ^

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/561>, abgerufen am 22.06.2024.