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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Naturerkennen hat eine viel zu große Überschätzung der Realitäten erzeugt,
und sie hat es endlich bis zur Leugnung alles Geistigen gebracht, Natur-
Wissenschaft ist Trumpf bis zum heutigen Tage; wer eine andre Welt hinter
der Materie sucht, der ist ein Narr.

Ja, diese,: Weg zum Banausentum sind nur gegangen. Es ist fast banal,
das zu konstatieren, denn es ist hundertmal warnend darauf hingewiesen
worden. Aber der Zustand ist da. Er ist gekommen wie der Dieb in der
Nacht trotz aller gesalbten Wächter, die das Heiligtum unsrer Volksseele
umstanden, der Wissenschaft, der Kirche und des Staats, und droht uns das
Beste zu rauben, eben unsre Seele selbst. Ist es da würdig, daß man die
Hände in den Schoß legt und müde sagt: Es ist nun einmal so? Ist es
nicht Pflicht, sich dagegen aufzubäumen und mit aller Kraft dafür zu kümpfeu,
daß es wieder anders werde?

Wie ein tötender Brei hat sich das Bnnausentum über alles gedeckt. Das
Leben zirkuliert in immer engern Kreisen, und das Philistertum ist froh, wenn
ein enger Schematismus ihm die nächsten Wege weist und es des eignen
Denkens und Wollens überhebt. Es ist wohl überflüssig, das mit Beispiele"
zu belegen. Es zeigt sich in den freien Berufen, wo Manier und Mode das
schaffende Leben ersticken, es zeigt sich in der subalternen Arbeit der Stände,
die durch ihre akademische Abkunft die höchste Weihe empfangen haben -- die
höchste Weihe! Sie haben an trockne" Brüsten gesogen.

Für gewisse Dinge braucht mau ja nur subalterne Beamte, und von denen
kann man schließlich nicht mehr verlangen als subalternen Geist und subalterne
Gesinnung. Auch der Betrieb mancher Ämter, die noch von akademisch Ge¬
bildeten versehen werden, verlangt nicht viel mehr. Das wird dann ein Sinken
in das Banausentum fast notwendig zur Folge haben. Komisch ist es aber,
daß der Staat heutzutage auf der einen Seite für subalterne Beschäftigung
akademische Bildung verlangt, auf der andern -- und hier sind es vor allem
die Städte -- mit Subalterner -- seminaristischer -- Bildung für Ämter zu¬
frieden ist, die unbedingt akademische Bildung fordern. Z. B. bei der Schul-
verwaltung und für die Erziehung der Töchter und der zukünftigen Lehrerinnen.

Auf dem wirklich akademischen Gebiet giebt es ja parallele Erscheinungen.
In manchen Fächern werden für die Erlangung des Doktvrtitels Bedingungen
gestellt, die den Aspiranten das Blut aus der Haut treiben; die besten Jahre,
oft eine ganze Reihe Jahre, müssen mit nutzlosen, in keinem Verhältnis zum
wissenschaftlichen Gewinn stehenden Arbeiten vergeudet werden zur Erreichung
dieses schönen Ornaments. In andern Fächern backt "um Doktoren aus
subaltern vorgebildeten Material, soviel es werden wollen. Wieviel Sorten
"Doktor" hat man denn jetzt? Und was schwingt sich ans die höchsten Lehr¬
stühle selbst? Selbstverständlich die höchste Wissenschaftlichkeit, aber bei der
strengen Abschließung der Universitäten mit ihrer schulbildenden Cliquenherr¬
schaft und ihrem Konnexionsbetrieb gelangt auch manches Verlegenheitsgewächs
dahin, und dank der zweckmäßigen Einrichtung der Privatdozenten in ach


Naturerkennen hat eine viel zu große Überschätzung der Realitäten erzeugt,
und sie hat es endlich bis zur Leugnung alles Geistigen gebracht, Natur-
Wissenschaft ist Trumpf bis zum heutigen Tage; wer eine andre Welt hinter
der Materie sucht, der ist ein Narr.

Ja, diese,: Weg zum Banausentum sind nur gegangen. Es ist fast banal,
das zu konstatieren, denn es ist hundertmal warnend darauf hingewiesen
worden. Aber der Zustand ist da. Er ist gekommen wie der Dieb in der
Nacht trotz aller gesalbten Wächter, die das Heiligtum unsrer Volksseele
umstanden, der Wissenschaft, der Kirche und des Staats, und droht uns das
Beste zu rauben, eben unsre Seele selbst. Ist es da würdig, daß man die
Hände in den Schoß legt und müde sagt: Es ist nun einmal so? Ist es
nicht Pflicht, sich dagegen aufzubäumen und mit aller Kraft dafür zu kümpfeu,
daß es wieder anders werde?

Wie ein tötender Brei hat sich das Bnnausentum über alles gedeckt. Das
Leben zirkuliert in immer engern Kreisen, und das Philistertum ist froh, wenn
ein enger Schematismus ihm die nächsten Wege weist und es des eignen
Denkens und Wollens überhebt. Es ist wohl überflüssig, das mit Beispiele»
zu belegen. Es zeigt sich in den freien Berufen, wo Manier und Mode das
schaffende Leben ersticken, es zeigt sich in der subalternen Arbeit der Stände,
die durch ihre akademische Abkunft die höchste Weihe empfangen haben — die
höchste Weihe! Sie haben an trockne» Brüsten gesogen.

Für gewisse Dinge braucht mau ja nur subalterne Beamte, und von denen
kann man schließlich nicht mehr verlangen als subalternen Geist und subalterne
Gesinnung. Auch der Betrieb mancher Ämter, die noch von akademisch Ge¬
bildeten versehen werden, verlangt nicht viel mehr. Das wird dann ein Sinken
in das Banausentum fast notwendig zur Folge haben. Komisch ist es aber,
daß der Staat heutzutage auf der einen Seite für subalterne Beschäftigung
akademische Bildung verlangt, auf der andern — und hier sind es vor allem
die Städte — mit Subalterner — seminaristischer — Bildung für Ämter zu¬
frieden ist, die unbedingt akademische Bildung fordern. Z. B. bei der Schul-
verwaltung und für die Erziehung der Töchter und der zukünftigen Lehrerinnen.

Auf dem wirklich akademischen Gebiet giebt es ja parallele Erscheinungen.
In manchen Fächern werden für die Erlangung des Doktvrtitels Bedingungen
gestellt, die den Aspiranten das Blut aus der Haut treiben; die besten Jahre,
oft eine ganze Reihe Jahre, müssen mit nutzlosen, in keinem Verhältnis zum
wissenschaftlichen Gewinn stehenden Arbeiten vergeudet werden zur Erreichung
dieses schönen Ornaments. In andern Fächern backt »um Doktoren aus
subaltern vorgebildeten Material, soviel es werden wollen. Wieviel Sorten
„Doktor" hat man denn jetzt? Und was schwingt sich ans die höchsten Lehr¬
stühle selbst? Selbstverständlich die höchste Wissenschaftlichkeit, aber bei der
strengen Abschließung der Universitäten mit ihrer schulbildenden Cliquenherr¬
schaft und ihrem Konnexionsbetrieb gelangt auch manches Verlegenheitsgewächs
dahin, und dank der zweckmäßigen Einrichtung der Privatdozenten in ach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/560>, abgerufen am 22.06.2024.