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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Landflucht und polonfrage

Lohuzahluug. Hätte er Mühe, Arbeit zu finden, so würde er lange Fristen
wünschen. Es giebt beinahe kein sichreres Einkommen als daS eines besitzlosen
Arbeiters, so lange er gesund ist. Dieses Vorzugs seiner Stellung ist sich der
Arbeiter auch bewußt. Es fällt ihm gar nicht ein, den Kleinbesitzer zu be-
neide". Darum wird man, so viel man den Leuten mich kleine Häuser und
kleine Grundstücke anbieten mag, damit doch keine Gegenliebe, sondern nur
Mißtrauen ernten. Die kleinen Leute wittern Übervorteilung in den Renten¬
schulden, die sie übernehmen sollen, Sie glandem daß man ihnen ans diese
Art den Lohn ihrer Arbeit wieder aus der Händen zaubern, will, Sie fürchten
Schollensklaverei, sie glauben ihre Freiheit und Freizügigkeit verloren, wen"
sie ihre Arbeit und ihr Leben einem Gute verschreiben. Kinder von Klein¬
bauern thun das vielleicht noch; wer aber freier Arbeiter gewesen ist, nicht mehr.
Vielleicht sind die Verhältnisse ans der Zeit vor der Steinschen Gesetzgebung,
ans der Zeit der unübersehbaren Grundlasten noch viel mehr beim Volke in
Erinnerung als bei manchen Gebildeten,

Ganz anders aber gelänge es mit Mietwohnungen, worin der Tagelöhner
so frei wäre wie der Arbeiter in der Stadt, Ich setze natürlich voraus, daß
zu diesen Wohnungen auch Garten und Stall gehören. Dann hat der Arbeiter
alles, was er braucht und wünscht, Arbeit und Unterhalt wird er schon finden,
eine Frau auch. Je mehr solcher Wohnungen auf dem Lande, um so mehr
Pflanzstätten zukünftiger Generationen, Auf diese Weise kommt die Landflucht
zum Stehn, Das Bevölkernngsdesizit kaun wieder verschwinden, vielleicht ohne
daß das Wachstum der Jndustriebevölkernng und der Industrie selber nach¬
zulassen braucht. Verschwindet es aber nicht, so ist das stolze Wachstum
unsers Welthandels und unsrer Weltindustrie kein Glück, sondern ein Unglück,
ein allzu teuer erkaufter Sieg.

Diese Agrarpolitik ist eine Aufgabe für die konservative Partei, die ihres
Namens und ihrer Vergangenheit würdig ist. Indem sie die unersetzlichen
Kräfte im Volke konserviert und vor den Verwüstungen einer kurzsichtigen
Augenblickspolitik, sei es des Freihandels, sei es des Schollzolls nur um der
Rente willen, beschützt, rettet sie die Zukunft des Volkes. Für diese Sache
kann sie ihre alten Bundesgenossen, die Beamtenkreise und die christlichen
Kreise wieder an ihre Rechte rufen, damit sie von ihrem Freunde zur Linken,
dem rein materiellen, zum Teil demagogischen Agrariertum nicht zu stürmisch
voran gerissen wird. Die Macht ihres guten Gewissens, ihre werbende Kraft
wird ungeheuer vermehrt, wenn sie nicht nur eine Partei der Landbesitzer dar¬
stellt, sondern des Landvolks, eine Partei für alles Bleibende im Volk und
damit nicht nur eine Partei der Vergangenheit, sondern ebenso der jugend¬
sah. frohen Zukunft.




Landflucht und polonfrage

Lohuzahluug. Hätte er Mühe, Arbeit zu finden, so würde er lange Fristen
wünschen. Es giebt beinahe kein sichreres Einkommen als daS eines besitzlosen
Arbeiters, so lange er gesund ist. Dieses Vorzugs seiner Stellung ist sich der
Arbeiter auch bewußt. Es fällt ihm gar nicht ein, den Kleinbesitzer zu be-
neide». Darum wird man, so viel man den Leuten mich kleine Häuser und
kleine Grundstücke anbieten mag, damit doch keine Gegenliebe, sondern nur
Mißtrauen ernten. Die kleinen Leute wittern Übervorteilung in den Renten¬
schulden, die sie übernehmen sollen, Sie glandem daß man ihnen ans diese
Art den Lohn ihrer Arbeit wieder aus der Händen zaubern, will, Sie fürchten
Schollensklaverei, sie glauben ihre Freiheit und Freizügigkeit verloren, wen»
sie ihre Arbeit und ihr Leben einem Gute verschreiben. Kinder von Klein¬
bauern thun das vielleicht noch; wer aber freier Arbeiter gewesen ist, nicht mehr.
Vielleicht sind die Verhältnisse ans der Zeit vor der Steinschen Gesetzgebung,
ans der Zeit der unübersehbaren Grundlasten noch viel mehr beim Volke in
Erinnerung als bei manchen Gebildeten,

Ganz anders aber gelänge es mit Mietwohnungen, worin der Tagelöhner
so frei wäre wie der Arbeiter in der Stadt, Ich setze natürlich voraus, daß
zu diesen Wohnungen auch Garten und Stall gehören. Dann hat der Arbeiter
alles, was er braucht und wünscht, Arbeit und Unterhalt wird er schon finden,
eine Frau auch. Je mehr solcher Wohnungen auf dem Lande, um so mehr
Pflanzstätten zukünftiger Generationen, Auf diese Weise kommt die Landflucht
zum Stehn, Das Bevölkernngsdesizit kaun wieder verschwinden, vielleicht ohne
daß das Wachstum der Jndustriebevölkernng und der Industrie selber nach¬
zulassen braucht. Verschwindet es aber nicht, so ist das stolze Wachstum
unsers Welthandels und unsrer Weltindustrie kein Glück, sondern ein Unglück,
ein allzu teuer erkaufter Sieg.

Diese Agrarpolitik ist eine Aufgabe für die konservative Partei, die ihres
Namens und ihrer Vergangenheit würdig ist. Indem sie die unersetzlichen
Kräfte im Volke konserviert und vor den Verwüstungen einer kurzsichtigen
Augenblickspolitik, sei es des Freihandels, sei es des Schollzolls nur um der
Rente willen, beschützt, rettet sie die Zukunft des Volkes. Für diese Sache
kann sie ihre alten Bundesgenossen, die Beamtenkreise und die christlichen
Kreise wieder an ihre Rechte rufen, damit sie von ihrem Freunde zur Linken,
dem rein materiellen, zum Teil demagogischen Agrariertum nicht zu stürmisch
voran gerissen wird. Die Macht ihres guten Gewissens, ihre werbende Kraft
wird ungeheuer vermehrt, wenn sie nicht nur eine Partei der Landbesitzer dar¬
stellt, sondern des Landvolks, eine Partei für alles Bleibende im Volk und
damit nicht nur eine Partei der Vergangenheit, sondern ebenso der jugend¬
sah. frohen Zukunft.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/556>, abgerufen am 22.06.2024.