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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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so bemerken wir auf diese Grobheit ruhig und kühl, daß wir uns schmeicheln,
weder gedankenlos, noch dreist, noch offiziös zu sein, und wir wundern uns
nur, wie ein Blatt, das offiziös für das heutige Friedrichsruh ist, den Grenz¬
boten einen Vorwurf daraus machen kann, daß sie offiziös für die Regierung
wären. Jedenfalls würden diese, wenn sie die Wahl zwischen beiden hätten,
das Auswärtige Amt vorziehn.

Zuletzt noch ein Wort für unsre guten Freunde, die "Altdeutschen,"
Sie sind das nämlich wirklich, denn wir ziehn mit ihnen an demselben Strange,
wir wollen beide die Weltstellung Deutschlands, aber so, wie sie das jetzt zu¬
weilen thun, geht es wirklich nicht. Sie haben am 5, März im Reichstage
wieder die alten Sachen vorgebracht und sich mit den, Bewußtsein niedergesetzt,
daß sie Sieger geblieben seien, denn Graf Bülow hat nicht mehr geantwortet,
und ami West consentit. Aber das alte Wort vom "beschränkten Unter-
thanenverstande" wird in seiner echten Form ("beschränkte Einsicht") für die
auswärtige Politik immer seine Berechtigung haben, schon weil man über
laufende Geschäfte vernünftigerweise nicht öffentlich reden kann, und für eine
Reihe sehr wichtiger Dinge werden wir in der That auf eine spätere Öffnung
der Geheimarchive warten müssen, daran ändert unsre so sehr gewachsene poli¬
tische Reife gar nichts, Oder hat etwa Fürst Bismcirck seiner Zeit die Gegen¬
minen aufgedeckt, die er zwischen 1867 und 1870 gegen die französisch-öster¬
reichisch-italienischen Machenschaften legte? Hier entscheidet weder die Be¬
friedigung der öffentlichen Neugier noch das Bedürfnis des Historikers, sondern
lediglich das Staatsinteresse. Und an so selbstverständliche Dinge muß man
erst erinnern! Was von der "Verbitterung und Erbitterung" weiter Volks¬
kreise über gewisse, entsetzlich breitgetretne Vorgänge in England und dergl.
gesagt worden ist, das klingt ja sehr graulich; aber hochkomisch wirkt es, wenn
dem Grafen Bülow vorgehalten wird, daß Berliner illustrierte Blätter Bilder von
der Bekleidung des deutscheu Kronprinzen mit dem Hosenbandorden und der Er¬
nennung des deutscheu Kaisers zum englischen Feldmarschnll gebracht haben.
Ja gegen das Sensationsbedürfnis unsers lieben Publikums ist kein Kraut
gewachsen, und wir haben doch Preßfreiheit! Schließlich wünschen auch wir,
daß "die Empfindungen des kleinen Mannes, der trotz solcher Dinge monarchisch
denkt, nicht ohne Not verletzt" werden, denn auch wir legen Wert auf ein
Vertrauensverhältnis zwischen Negierung und Volk, namentlich in der schwie¬
rigen Lage, in der wir sind, aber wir meinen gerade von diesem Standpunkt
aus, es wäre auch recht sehr am Platze, dafür zu sorgen, daß die Empfindungen
unsers Kaisers geschont würden, und doch werden ihm tagtäglich Dinge gesagt
und immer wieder gesagt, die ihn aufs tiefste verletzen müßten, wenn er nicht
zu vornehm dächte. Zu diesen Dingen gehört auch der Satz: "Noch ist es
Zeit zur Umkehr, aber es ist die allerhöchste Zeit." Worin soll diese "Um¬
kehr" bestehn? In einer Änderung unsrer Politik? Die hat ihre guten
Gründe. In der Unterlassung von höfischen Aufmerksamkeiten? Sie sind
entweder bedeutungslos oder von politischen Rücksichten geboten. Und wenn


so bemerken wir auf diese Grobheit ruhig und kühl, daß wir uns schmeicheln,
weder gedankenlos, noch dreist, noch offiziös zu sein, und wir wundern uns
nur, wie ein Blatt, das offiziös für das heutige Friedrichsruh ist, den Grenz¬
boten einen Vorwurf daraus machen kann, daß sie offiziös für die Regierung
wären. Jedenfalls würden diese, wenn sie die Wahl zwischen beiden hätten,
das Auswärtige Amt vorziehn.

Zuletzt noch ein Wort für unsre guten Freunde, die „Altdeutschen,"
Sie sind das nämlich wirklich, denn wir ziehn mit ihnen an demselben Strange,
wir wollen beide die Weltstellung Deutschlands, aber so, wie sie das jetzt zu¬
weilen thun, geht es wirklich nicht. Sie haben am 5, März im Reichstage
wieder die alten Sachen vorgebracht und sich mit den, Bewußtsein niedergesetzt,
daß sie Sieger geblieben seien, denn Graf Bülow hat nicht mehr geantwortet,
und ami West consentit. Aber das alte Wort vom „beschränkten Unter-
thanenverstande" wird in seiner echten Form („beschränkte Einsicht") für die
auswärtige Politik immer seine Berechtigung haben, schon weil man über
laufende Geschäfte vernünftigerweise nicht öffentlich reden kann, und für eine
Reihe sehr wichtiger Dinge werden wir in der That auf eine spätere Öffnung
der Geheimarchive warten müssen, daran ändert unsre so sehr gewachsene poli¬
tische Reife gar nichts, Oder hat etwa Fürst Bismcirck seiner Zeit die Gegen¬
minen aufgedeckt, die er zwischen 1867 und 1870 gegen die französisch-öster¬
reichisch-italienischen Machenschaften legte? Hier entscheidet weder die Be¬
friedigung der öffentlichen Neugier noch das Bedürfnis des Historikers, sondern
lediglich das Staatsinteresse. Und an so selbstverständliche Dinge muß man
erst erinnern! Was von der „Verbitterung und Erbitterung" weiter Volks¬
kreise über gewisse, entsetzlich breitgetretne Vorgänge in England und dergl.
gesagt worden ist, das klingt ja sehr graulich; aber hochkomisch wirkt es, wenn
dem Grafen Bülow vorgehalten wird, daß Berliner illustrierte Blätter Bilder von
der Bekleidung des deutscheu Kronprinzen mit dem Hosenbandorden und der Er¬
nennung des deutscheu Kaisers zum englischen Feldmarschnll gebracht haben.
Ja gegen das Sensationsbedürfnis unsers lieben Publikums ist kein Kraut
gewachsen, und wir haben doch Preßfreiheit! Schließlich wünschen auch wir,
daß „die Empfindungen des kleinen Mannes, der trotz solcher Dinge monarchisch
denkt, nicht ohne Not verletzt" werden, denn auch wir legen Wert auf ein
Vertrauensverhältnis zwischen Negierung und Volk, namentlich in der schwie¬
rigen Lage, in der wir sind, aber wir meinen gerade von diesem Standpunkt
aus, es wäre auch recht sehr am Platze, dafür zu sorgen, daß die Empfindungen
unsers Kaisers geschont würden, und doch werden ihm tagtäglich Dinge gesagt
und immer wieder gesagt, die ihn aufs tiefste verletzen müßten, wenn er nicht
zu vornehm dächte. Zu diesen Dingen gehört auch der Satz: „Noch ist es
Zeit zur Umkehr, aber es ist die allerhöchste Zeit." Worin soll diese „Um¬
kehr" bestehn? In einer Änderung unsrer Politik? Die hat ihre guten
Gründe. In der Unterlassung von höfischen Aufmerksamkeiten? Sie sind
entweder bedeutungslos oder von politischen Rücksichten geboten. Und wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/548>, abgerufen am 22.06.2024.