Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


"Beschwichtigungsversuche"

user Artikel "Wozu der Lärm?" ist nicht totgeschwiegen, sonder"
vielfach abgedruckt worden, von vielen Zeitungen verschiedner
Richtungen zu unsrer Genugthuung beifällig, von andern mit
kritischen oder ganz ablehnenden Bemerkungen; nur die Alt¬
deutschen haben ihn gänzlich ignoriert. Die Kreuzzeitung, die
ihm im übrigen zustimmt, nimmt doch an unsrer Bemerkung, daß nirgends
giftiger räsonniert werde als in Berlin, Anstoß und verweist uns auf Leipziger
und Dresdner Blätter, die dasselbe besorgten. Das ist uus leider nicht un¬
bekannt, und wir hätten jeden Tag Gelegenheit, uns über die Dummheiten
und Taktlosigkeiten zu ärgern, die in diesen Organen der öffentlichen Meinung
fast in jeder Nummer breitspurig und anspruchsvoll ausgekramt werden, un¬
ermüdlich immer dieselben, hundertmal gesagten Dinge, von den "Neben¬
geräusche"" bei der "Chinaexpedition" an bis zu dem unglücklichen Schwarzen
Adler für Lord Roberts. Aber wenn die Kreuzzeitung etwa meinen sollte,
wir hätten das aus Lokalpatrivtismus verschwiegen, so würde sie irren; diese
Blätter sind uns nur nicht wichtig genug, weil ihre Bedeutung nicht über eine
ganz lokale oder landschaftliche hinausgeht. Die Hamburger Nachrichten be¬
kämpfe" unsern Artikel ausführlich, weil sie darin einen "offiziösen Beschwich-
ilgungsversuch" zu erkennen glauben. Er ist weder das eine noch das andre,
sondern eine ruhige Entwicklung klarer Gründe, und wir finden es klüglich,
wenn man ein Blatt, das aus ehrlicher Überzeugung und gelegentlich auch
aus ebenso ehrlicher Entrüstung für die maßlos verlästerte auswärtige Politik
des Kaisers und des Kanzlers eintritt, nnr deshalb für offiziös, d. h. für ab¬
hängig erklärt, also dermaßen verrannt ist, daß man einen andern, abweichenden
Standpunkt gar nicht mehr für möglich hält. Aber das nebenbei. Wir haben
gar nicht gesagt, daß uns der Dreibund vor einer europäischen Koalition be¬
schütze, sondern nur, daß er zwar für Europa, also für einen europäischen
Krieg genügen möge, aber nicht für die großen Weltverhältnisse, die natürlich
unsre Reibungsfläche mit fremden Staaten vermehrt haben, so gut wie die Ver-


Grmzbowi I 1901 si8


„Beschwichtigungsversuche"

user Artikel „Wozu der Lärm?" ist nicht totgeschwiegen, sonder»
vielfach abgedruckt worden, von vielen Zeitungen verschiedner
Richtungen zu unsrer Genugthuung beifällig, von andern mit
kritischen oder ganz ablehnenden Bemerkungen; nur die Alt¬
deutschen haben ihn gänzlich ignoriert. Die Kreuzzeitung, die
ihm im übrigen zustimmt, nimmt doch an unsrer Bemerkung, daß nirgends
giftiger räsonniert werde als in Berlin, Anstoß und verweist uns auf Leipziger
und Dresdner Blätter, die dasselbe besorgten. Das ist uus leider nicht un¬
bekannt, und wir hätten jeden Tag Gelegenheit, uns über die Dummheiten
und Taktlosigkeiten zu ärgern, die in diesen Organen der öffentlichen Meinung
fast in jeder Nummer breitspurig und anspruchsvoll ausgekramt werden, un¬
ermüdlich immer dieselben, hundertmal gesagten Dinge, von den „Neben¬
geräusche«" bei der „Chinaexpedition" an bis zu dem unglücklichen Schwarzen
Adler für Lord Roberts. Aber wenn die Kreuzzeitung etwa meinen sollte,
wir hätten das aus Lokalpatrivtismus verschwiegen, so würde sie irren; diese
Blätter sind uns nur nicht wichtig genug, weil ihre Bedeutung nicht über eine
ganz lokale oder landschaftliche hinausgeht. Die Hamburger Nachrichten be¬
kämpfe» unsern Artikel ausführlich, weil sie darin einen „offiziösen Beschwich-
ilgungsversuch" zu erkennen glauben. Er ist weder das eine noch das andre,
sondern eine ruhige Entwicklung klarer Gründe, und wir finden es klüglich,
wenn man ein Blatt, das aus ehrlicher Überzeugung und gelegentlich auch
aus ebenso ehrlicher Entrüstung für die maßlos verlästerte auswärtige Politik
des Kaisers und des Kanzlers eintritt, nnr deshalb für offiziös, d. h. für ab¬
hängig erklärt, also dermaßen verrannt ist, daß man einen andern, abweichenden
Standpunkt gar nicht mehr für möglich hält. Aber das nebenbei. Wir haben
gar nicht gesagt, daß uns der Dreibund vor einer europäischen Koalition be¬
schütze, sondern nur, daß er zwar für Europa, also für einen europäischen
Krieg genügen möge, aber nicht für die großen Weltverhältnisse, die natürlich
unsre Reibungsfläche mit fremden Staaten vermehrt haben, so gut wie die Ver-


Grmzbowi I 1901 si8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234425"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341873_233879/figures/grenzboten_341873_233879_234425_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> &#x201E;Beschwichtigungsversuche"</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1785" next="#ID_1786"> user Artikel &#x201E;Wozu der Lärm?" ist nicht totgeschwiegen, sonder»<lb/>
vielfach abgedruckt worden, von vielen Zeitungen verschiedner<lb/>
Richtungen zu unsrer Genugthuung beifällig, von andern mit<lb/>
kritischen oder ganz ablehnenden Bemerkungen; nur die Alt¬<lb/>
deutschen haben ihn gänzlich ignoriert. Die Kreuzzeitung, die<lb/>
ihm im übrigen zustimmt, nimmt doch an unsrer Bemerkung, daß nirgends<lb/>
giftiger räsonniert werde als in Berlin, Anstoß und verweist uns auf Leipziger<lb/>
und Dresdner Blätter, die dasselbe besorgten. Das ist uus leider nicht un¬<lb/>
bekannt, und wir hätten jeden Tag Gelegenheit, uns über die Dummheiten<lb/>
und Taktlosigkeiten zu ärgern, die in diesen Organen der öffentlichen Meinung<lb/>
fast in jeder Nummer breitspurig und anspruchsvoll ausgekramt werden, un¬<lb/>
ermüdlich immer dieselben, hundertmal gesagten Dinge, von den &#x201E;Neben¬<lb/>
geräusche«" bei der &#x201E;Chinaexpedition" an bis zu dem unglücklichen Schwarzen<lb/>
Adler für Lord Roberts. Aber wenn die Kreuzzeitung etwa meinen sollte,<lb/>
wir hätten das aus Lokalpatrivtismus verschwiegen, so würde sie irren; diese<lb/>
Blätter sind uns nur nicht wichtig genug, weil ihre Bedeutung nicht über eine<lb/>
ganz lokale oder landschaftliche hinausgeht. Die Hamburger Nachrichten be¬<lb/>
kämpfe» unsern Artikel ausführlich, weil sie darin einen &#x201E;offiziösen Beschwich-<lb/>
ilgungsversuch" zu erkennen glauben. Er ist weder das eine noch das andre,<lb/>
sondern eine ruhige Entwicklung klarer Gründe, und wir finden es klüglich,<lb/>
wenn man ein Blatt, das aus ehrlicher Überzeugung und gelegentlich auch<lb/>
aus ebenso ehrlicher Entrüstung für die maßlos verlästerte auswärtige Politik<lb/>
des Kaisers und des Kanzlers eintritt, nnr deshalb für offiziös, d. h. für ab¬<lb/>
hängig erklärt, also dermaßen verrannt ist, daß man einen andern, abweichenden<lb/>
Standpunkt gar nicht mehr für möglich hält. Aber das nebenbei. Wir haben<lb/>
gar nicht gesagt, daß uns der Dreibund vor einer europäischen Koalition be¬<lb/>
schütze, sondern nur, daß er zwar für Europa, also für einen europäischen<lb/>
Krieg genügen möge, aber nicht für die großen Weltverhältnisse, die natürlich<lb/>
unsre Reibungsfläche mit fremden Staaten vermehrt haben, so gut wie die Ver-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grmzbowi I 1901 si8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0545] [Abbildung] „Beschwichtigungsversuche" user Artikel „Wozu der Lärm?" ist nicht totgeschwiegen, sonder» vielfach abgedruckt worden, von vielen Zeitungen verschiedner Richtungen zu unsrer Genugthuung beifällig, von andern mit kritischen oder ganz ablehnenden Bemerkungen; nur die Alt¬ deutschen haben ihn gänzlich ignoriert. Die Kreuzzeitung, die ihm im übrigen zustimmt, nimmt doch an unsrer Bemerkung, daß nirgends giftiger räsonniert werde als in Berlin, Anstoß und verweist uns auf Leipziger und Dresdner Blätter, die dasselbe besorgten. Das ist uus leider nicht un¬ bekannt, und wir hätten jeden Tag Gelegenheit, uns über die Dummheiten und Taktlosigkeiten zu ärgern, die in diesen Organen der öffentlichen Meinung fast in jeder Nummer breitspurig und anspruchsvoll ausgekramt werden, un¬ ermüdlich immer dieselben, hundertmal gesagten Dinge, von den „Neben¬ geräusche«" bei der „Chinaexpedition" an bis zu dem unglücklichen Schwarzen Adler für Lord Roberts. Aber wenn die Kreuzzeitung etwa meinen sollte, wir hätten das aus Lokalpatrivtismus verschwiegen, so würde sie irren; diese Blätter sind uns nur nicht wichtig genug, weil ihre Bedeutung nicht über eine ganz lokale oder landschaftliche hinausgeht. Die Hamburger Nachrichten be¬ kämpfe» unsern Artikel ausführlich, weil sie darin einen „offiziösen Beschwich- ilgungsversuch" zu erkennen glauben. Er ist weder das eine noch das andre, sondern eine ruhige Entwicklung klarer Gründe, und wir finden es klüglich, wenn man ein Blatt, das aus ehrlicher Überzeugung und gelegentlich auch aus ebenso ehrlicher Entrüstung für die maßlos verlästerte auswärtige Politik des Kaisers und des Kanzlers eintritt, nnr deshalb für offiziös, d. h. für ab¬ hängig erklärt, also dermaßen verrannt ist, daß man einen andern, abweichenden Standpunkt gar nicht mehr für möglich hält. Aber das nebenbei. Wir haben gar nicht gesagt, daß uns der Dreibund vor einer europäischen Koalition be¬ schütze, sondern nur, daß er zwar für Europa, also für einen europäischen Krieg genügen möge, aber nicht für die großen Weltverhältnisse, die natürlich unsre Reibungsfläche mit fremden Staaten vermehrt haben, so gut wie die Ver- Grmzbowi I 1901 si8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/545
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/545>, abgerufen am 22.06.2024.