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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Ans 5er Lues^ii Goothes

schrieb, das Gedächtnis des einstigen Jugeudlmndes init herzlichen Worten
heraufbeschwöreud, antwortete dieser sofort mit dem schönen Briefe vom
6, Januar 1813, worin er ausführte, wie unter alten Freunden daS, was durch
die Meinungen getrennt sei, durch die Gesinnung, durch Liebe und Verträg¬
lichkeit zusammengehalten werde, und in diesem Zusammenhang stehn die oft
angeführten Sähe, die den hohen Standpunkt der Goethischen Denkart auf
unvergleichliche Weise bezeichnen- "Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen
Richtungen meines Wesens, nicht um einer Denkweise genug haben; als Dichter
und Künstler bin ich Polhtheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und
eins so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für meine Persön¬
lichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt. Die himmlische"
und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen
zusammen es nur'erfassen mögen. Siehst dn, so steht es mit mir, und so
wirke ich nach innen und außen immer im stillen fort, mag auch gern, daß
ein jeder das Gleiche thue."

Wie empfindlich er aber sein konnte, wenn er auf Ansichten stieß, die
auch uur scheinbar seiner Naturbetrachtung entgegengesetzt waren, das zeigt in
höchst bezeichnender Weise der Anstoß, den er an einer Stelle in Hegels
Phüuomenologie nahm. Wir erfahren es aus einem bisher unbekannten Brief
nu Seebeck vom 28. November 1812. Goethe hatte das Zitat (irrtümlicher¬
weise als ein Zitat aus Hegels Logik) in einem ebeu erschienenen Buche des
Arztes Troxler gefunden. Sie lautet: "Die Knospe verschwindet in dem Hervor¬
brechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird;
ebenso wird dnrch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze
erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen
verdrängen sich als unverträglich miteinander, aber ihre flüssige Natur macht
sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur
Widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andre ist, und diese gleiche
Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus." Das sind echt Hegelsche
Gedanken in echt Hegelscher Prägung. Ihr Sinn ist vollkommen deutlich und
d"le sich im Grunde ganz mit Goethes eigner Ansicht, wie sie z. B. in der
Metamorphose der Pflanzen durchgeführt ist. Aber ihn störte die paradoxe,
damals uoch neue Sprache der Hegelschen Dialektik. In den Vordersätze" war
scheinbar die Unverträglichkeit der wechselnden Naturformen, die Aufhebung
ihres Zusammenhangs ausgesprochen. Goethe übersah in seiner Erregung den
Nachsatz, der diesen' Zusammenhang wiederherstellt, nud doppelt verdrießlich
war ihm, daß ein Manu wie Hegel, auf deu er so große Stücke hielt, eine
richtige Idee "sophistisch verfratzt und durch künstlich sich einander selbst auf¬
hebende Worte und Wendungen verneint und vernichtet" habe. "Es ist wohl
nicht möglich, etwas Monströseres zu sage". Die ewige Realität der Natur
durch einen schlechten sophistischen Spaß vernichten zu wollen, scheint mir eines
vernünftigen Mannes ganz unwürdig zu sein." Seebeck macht ihn dann auf
den Sinn der aus dem Zusammenhang gerissenen Stelle aufmerksam, und es


Ans 5er Lues^ii Goothes

schrieb, das Gedächtnis des einstigen Jugeudlmndes init herzlichen Worten
heraufbeschwöreud, antwortete dieser sofort mit dem schönen Briefe vom
6, Januar 1813, worin er ausführte, wie unter alten Freunden daS, was durch
die Meinungen getrennt sei, durch die Gesinnung, durch Liebe und Verträg¬
lichkeit zusammengehalten werde, und in diesem Zusammenhang stehn die oft
angeführten Sähe, die den hohen Standpunkt der Goethischen Denkart auf
unvergleichliche Weise bezeichnen- „Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen
Richtungen meines Wesens, nicht um einer Denkweise genug haben; als Dichter
und Künstler bin ich Polhtheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und
eins so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für meine Persön¬
lichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt. Die himmlische»
und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen
zusammen es nur'erfassen mögen. Siehst dn, so steht es mit mir, und so
wirke ich nach innen und außen immer im stillen fort, mag auch gern, daß
ein jeder das Gleiche thue."

Wie empfindlich er aber sein konnte, wenn er auf Ansichten stieß, die
auch uur scheinbar seiner Naturbetrachtung entgegengesetzt waren, das zeigt in
höchst bezeichnender Weise der Anstoß, den er an einer Stelle in Hegels
Phüuomenologie nahm. Wir erfahren es aus einem bisher unbekannten Brief
nu Seebeck vom 28. November 1812. Goethe hatte das Zitat (irrtümlicher¬
weise als ein Zitat aus Hegels Logik) in einem ebeu erschienenen Buche des
Arztes Troxler gefunden. Sie lautet: „Die Knospe verschwindet in dem Hervor¬
brechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird;
ebenso wird dnrch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze
erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen
verdrängen sich als unverträglich miteinander, aber ihre flüssige Natur macht
sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur
Widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andre ist, und diese gleiche
Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus." Das sind echt Hegelsche
Gedanken in echt Hegelscher Prägung. Ihr Sinn ist vollkommen deutlich und
d«le sich im Grunde ganz mit Goethes eigner Ansicht, wie sie z. B. in der
Metamorphose der Pflanzen durchgeführt ist. Aber ihn störte die paradoxe,
damals uoch neue Sprache der Hegelschen Dialektik. In den Vordersätze« war
scheinbar die Unverträglichkeit der wechselnden Naturformen, die Aufhebung
ihres Zusammenhangs ausgesprochen. Goethe übersah in seiner Erregung den
Nachsatz, der diesen' Zusammenhang wiederherstellt, nud doppelt verdrießlich
war ihm, daß ein Manu wie Hegel, auf deu er so große Stücke hielt, eine
richtige Idee „sophistisch verfratzt und durch künstlich sich einander selbst auf¬
hebende Worte und Wendungen verneint und vernichtet" habe. „Es ist wohl
nicht möglich, etwas Monströseres zu sage». Die ewige Realität der Natur
durch einen schlechten sophistischen Spaß vernichten zu wollen, scheint mir eines
vernünftigen Mannes ganz unwürdig zu sein." Seebeck macht ihn dann auf
den Sinn der aus dem Zusammenhang gerissenen Stelle aufmerksam, und es


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[0525] Ans 5er Lues^ii Goothes schrieb, das Gedächtnis des einstigen Jugeudlmndes init herzlichen Worten heraufbeschwöreud, antwortete dieser sofort mit dem schönen Briefe vom 6, Januar 1813, worin er ausführte, wie unter alten Freunden daS, was durch die Meinungen getrennt sei, durch die Gesinnung, durch Liebe und Verträg¬ lichkeit zusammengehalten werde, und in diesem Zusammenhang stehn die oft angeführten Sähe, die den hohen Standpunkt der Goethischen Denkart auf unvergleichliche Weise bezeichnen- „Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtungen meines Wesens, nicht um einer Denkweise genug haben; als Dichter und Künstler bin ich Polhtheist, Pantheist hingegen als Naturforscher, und eins so entschieden als das andre. Bedarf ich eines Gottes für meine Persön¬ lichkeit, als sittlicher Mensch, so ist dafür auch schon gesorgt. Die himmlische» und irdischen Dinge sind ein so weites Reich, daß die Organe aller Wesen zusammen es nur'erfassen mögen. Siehst dn, so steht es mit mir, und so wirke ich nach innen und außen immer im stillen fort, mag auch gern, daß ein jeder das Gleiche thue." Wie empfindlich er aber sein konnte, wenn er auf Ansichten stieß, die auch uur scheinbar seiner Naturbetrachtung entgegengesetzt waren, das zeigt in höchst bezeichnender Weise der Anstoß, den er an einer Stelle in Hegels Phüuomenologie nahm. Wir erfahren es aus einem bisher unbekannten Brief nu Seebeck vom 28. November 1812. Goethe hatte das Zitat (irrtümlicher¬ weise als ein Zitat aus Hegels Logik) in einem ebeu erschienenen Buche des Arztes Troxler gefunden. Sie lautet: „Die Knospe verschwindet in dem Hervor¬ brechen der Blüte, und man könnte sagen, daß jene von dieser widerlegt wird; ebenso wird dnrch die Frucht die Blüte für ein falsches Dasein der Pflanze erklärt, und als ihre Wahrheit tritt jene an die Stelle von dieser. Diese Formen verdrängen sich als unverträglich miteinander, aber ihre flüssige Natur macht sie zugleich zu Momenten der organischen Einheit, worin sie sich nicht nur Widerstreiten, sondern eins so notwendig als das andre ist, und diese gleiche Notwendigkeit macht erst das Leben des Ganzen aus." Das sind echt Hegelsche Gedanken in echt Hegelscher Prägung. Ihr Sinn ist vollkommen deutlich und d«le sich im Grunde ganz mit Goethes eigner Ansicht, wie sie z. B. in der Metamorphose der Pflanzen durchgeführt ist. Aber ihn störte die paradoxe, damals uoch neue Sprache der Hegelschen Dialektik. In den Vordersätze« war scheinbar die Unverträglichkeit der wechselnden Naturformen, die Aufhebung ihres Zusammenhangs ausgesprochen. Goethe übersah in seiner Erregung den Nachsatz, der diesen' Zusammenhang wiederherstellt, nud doppelt verdrießlich war ihm, daß ein Manu wie Hegel, auf deu er so große Stücke hielt, eine richtige Idee „sophistisch verfratzt und durch künstlich sich einander selbst auf¬ hebende Worte und Wendungen verneint und vernichtet" habe. „Es ist wohl nicht möglich, etwas Monströseres zu sage». Die ewige Realität der Natur durch einen schlechten sophistischen Spaß vernichten zu wollen, scheint mir eines vernünftigen Mannes ganz unwürdig zu sein." Seebeck macht ihn dann auf den Sinn der aus dem Zusammenhang gerissenen Stelle aufmerksam, und es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/525>, abgerufen am 22.06.2024.