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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Briefen Goethes

Zu den Liebhabereien, die Goethe in dieser Zeit pflegte, gehörte die des
Sammelus von handschriftlichen Briefen namhafter Männer. Er hatte ein
Verzeichnis seines bisherigen Besitzes drucken lassen lind sandte es den Freunden,
damit sie es ihm gelegentlich ergänzten. Reinhard erfreute ihn mit einer An¬
zahl Handschriften von Männern der französischen Revolution und begleitete
sie mit kurzen biographischen Erläuterungen. Andres erhielt er durch die
Gräfin O'Donckt, durch Billers, Lindenau, Zelter lind andre. Bekanntlich
war Goethe ein leidenschaftlicher Sammler, aber der Zweck war dabei immer
ein innerer Gewinn für ihn selbst. Auch das Sammeln von Handschriften
war ihm keine bloße Spielerei, es entsprach einem Bedürfnis seiner Natur.
"Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden nur
vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise ver¬
gegenwärtigt. Solche Dokumente ihres Daseins sind mir, wo nicht ebenso
lieb als ein Porträt, doch gewiß als ein wünschenswertes Supplement oder
Surrogat desselben." So schrieb er an Jacobi am 10. Mai 1812, der ihm
gleichfalls Blätter "von unendlichem Wert" zugesandt hatte, und den er am
6. Januar 1813 nur weitern Zuwachs anging. Wenn er aber an den alten
Freund schrieb, konnte er sich nicht ans das nächste Anliegen beschränken: in
diesen beiden Briefen setzte er sich mit Jacobi auch über ihre Differenz in den
höchsten Angelegenheiten auseinander. Diese Differenz hatte sich mit den
Jahren immer mehr vertieft, doch gerade das dauernde Nachgefühl der einstigen
Jugendfrenndschaft zwang dazu, sie immer wieder zur Sprache zu bringen.
Jacobi hatte ihm kürzlich seine Schrift: "Bon den göttlichen Dingen und ihrer
Offenbarung" zugeschickt, die gegen Schellings Identitätsphilosophie gerichtet
war, und da sie auf eine Trennung Gottes von der Natur hinauslief, auch
Goethes Grundansicht widersprach, ja ihm als ein Angriff auf die öffentlich
bekannten Nberzeuguugeu seines eignen Lebens und Strebens erschien. Andern
gegenüber hat sich Goethe, der sich einmal geradezu als zur Jdcntitätsschule
gehörig, "ja zu ihr geboren" erklärt, aufs schärfste gegen diese Schrift Jaevbis
ausgesprochen und sich ganz auf Schellings Seite gestellt, der in seiner
massiven Art den armen Offenbarllngsphilosophen mit Keulenschlägen be¬
arbeitete. Auch ist das damals entstandne satirische Gedicht "Groß ist die Diana
der Epheser" bekanntlich direkt auf Jacobi gemünzt. In den Briefen an diesen
selbst spricht er sich über den Zwiespalt ihrer Meinungen gleichfalls mit voller
Offenheit ans -- das Gegenteil würde "die alte Reinheit und Aufrichtigkeit
verletzen" --, aber er thut es zugleich mit der Schonung und mit der Weit¬
herzigkeit, die ihm überhaupt eigen ist und in diesem Falle durch das alte
Freundschaftsverhältnis noch verstärkt wird. "Die Differenz zwischen uns
beiden war schon früh genug bemerklich, und wir können uns Glück wünschen,
wenn die Hoffnung, sie selbst bei zunehmendem Auseinanderstreben, durch
Neigung und Liebe immer wieder ausgeglichen zu sehen, nicht unerfüllt ge¬
blieben ist." Jacobi fand lange nicht den Ton, auf diesen Brief zu antworten.
Als er aber seine Verstimmung unterdrückend nach Monaten wieder an Goethe


Aus den Briefen Goethes

Zu den Liebhabereien, die Goethe in dieser Zeit pflegte, gehörte die des
Sammelus von handschriftlichen Briefen namhafter Männer. Er hatte ein
Verzeichnis seines bisherigen Besitzes drucken lassen lind sandte es den Freunden,
damit sie es ihm gelegentlich ergänzten. Reinhard erfreute ihn mit einer An¬
zahl Handschriften von Männern der französischen Revolution und begleitete
sie mit kurzen biographischen Erläuterungen. Andres erhielt er durch die
Gräfin O'Donckt, durch Billers, Lindenau, Zelter lind andre. Bekanntlich
war Goethe ein leidenschaftlicher Sammler, aber der Zweck war dabei immer
ein innerer Gewinn für ihn selbst. Auch das Sammeln von Handschriften
war ihm keine bloße Spielerei, es entsprach einem Bedürfnis seiner Natur.
„Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden nur
vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise ver¬
gegenwärtigt. Solche Dokumente ihres Daseins sind mir, wo nicht ebenso
lieb als ein Porträt, doch gewiß als ein wünschenswertes Supplement oder
Surrogat desselben." So schrieb er an Jacobi am 10. Mai 1812, der ihm
gleichfalls Blätter „von unendlichem Wert" zugesandt hatte, und den er am
6. Januar 1813 nur weitern Zuwachs anging. Wenn er aber an den alten
Freund schrieb, konnte er sich nicht ans das nächste Anliegen beschränken: in
diesen beiden Briefen setzte er sich mit Jacobi auch über ihre Differenz in den
höchsten Angelegenheiten auseinander. Diese Differenz hatte sich mit den
Jahren immer mehr vertieft, doch gerade das dauernde Nachgefühl der einstigen
Jugendfrenndschaft zwang dazu, sie immer wieder zur Sprache zu bringen.
Jacobi hatte ihm kürzlich seine Schrift: „Bon den göttlichen Dingen und ihrer
Offenbarung" zugeschickt, die gegen Schellings Identitätsphilosophie gerichtet
war, und da sie auf eine Trennung Gottes von der Natur hinauslief, auch
Goethes Grundansicht widersprach, ja ihm als ein Angriff auf die öffentlich
bekannten Nberzeuguugeu seines eignen Lebens und Strebens erschien. Andern
gegenüber hat sich Goethe, der sich einmal geradezu als zur Jdcntitätsschule
gehörig, „ja zu ihr geboren" erklärt, aufs schärfste gegen diese Schrift Jaevbis
ausgesprochen und sich ganz auf Schellings Seite gestellt, der in seiner
massiven Art den armen Offenbarllngsphilosophen mit Keulenschlägen be¬
arbeitete. Auch ist das damals entstandne satirische Gedicht „Groß ist die Diana
der Epheser" bekanntlich direkt auf Jacobi gemünzt. In den Briefen an diesen
selbst spricht er sich über den Zwiespalt ihrer Meinungen gleichfalls mit voller
Offenheit ans — das Gegenteil würde „die alte Reinheit und Aufrichtigkeit
verletzen" —, aber er thut es zugleich mit der Schonung und mit der Weit¬
herzigkeit, die ihm überhaupt eigen ist und in diesem Falle durch das alte
Freundschaftsverhältnis noch verstärkt wird. „Die Differenz zwischen uns
beiden war schon früh genug bemerklich, und wir können uns Glück wünschen,
wenn die Hoffnung, sie selbst bei zunehmendem Auseinanderstreben, durch
Neigung und Liebe immer wieder ausgeglichen zu sehen, nicht unerfüllt ge¬
blieben ist." Jacobi fand lange nicht den Ton, auf diesen Brief zu antworten.
Als er aber seine Verstimmung unterdrückend nach Monaten wieder an Goethe


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[0524] Aus den Briefen Goethes Zu den Liebhabereien, die Goethe in dieser Zeit pflegte, gehörte die des Sammelus von handschriftlichen Briefen namhafter Männer. Er hatte ein Verzeichnis seines bisherigen Besitzes drucken lassen lind sandte es den Freunden, damit sie es ihm gelegentlich ergänzten. Reinhard erfreute ihn mit einer An¬ zahl Handschriften von Männern der französischen Revolution und begleitete sie mit kurzen biographischen Erläuterungen. Andres erhielt er durch die Gräfin O'Donckt, durch Billers, Lindenau, Zelter lind andre. Bekanntlich war Goethe ein leidenschaftlicher Sammler, aber der Zweck war dabei immer ein innerer Gewinn für ihn selbst. Auch das Sammeln von Handschriften war ihm keine bloße Spielerei, es entsprach einem Bedürfnis seiner Natur. „Da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden nur vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift auf eine magische Weise ver¬ gegenwärtigt. Solche Dokumente ihres Daseins sind mir, wo nicht ebenso lieb als ein Porträt, doch gewiß als ein wünschenswertes Supplement oder Surrogat desselben." So schrieb er an Jacobi am 10. Mai 1812, der ihm gleichfalls Blätter „von unendlichem Wert" zugesandt hatte, und den er am 6. Januar 1813 nur weitern Zuwachs anging. Wenn er aber an den alten Freund schrieb, konnte er sich nicht ans das nächste Anliegen beschränken: in diesen beiden Briefen setzte er sich mit Jacobi auch über ihre Differenz in den höchsten Angelegenheiten auseinander. Diese Differenz hatte sich mit den Jahren immer mehr vertieft, doch gerade das dauernde Nachgefühl der einstigen Jugendfrenndschaft zwang dazu, sie immer wieder zur Sprache zu bringen. Jacobi hatte ihm kürzlich seine Schrift: „Bon den göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung" zugeschickt, die gegen Schellings Identitätsphilosophie gerichtet war, und da sie auf eine Trennung Gottes von der Natur hinauslief, auch Goethes Grundansicht widersprach, ja ihm als ein Angriff auf die öffentlich bekannten Nberzeuguugeu seines eignen Lebens und Strebens erschien. Andern gegenüber hat sich Goethe, der sich einmal geradezu als zur Jdcntitätsschule gehörig, „ja zu ihr geboren" erklärt, aufs schärfste gegen diese Schrift Jaevbis ausgesprochen und sich ganz auf Schellings Seite gestellt, der in seiner massiven Art den armen Offenbarllngsphilosophen mit Keulenschlägen be¬ arbeitete. Auch ist das damals entstandne satirische Gedicht „Groß ist die Diana der Epheser" bekanntlich direkt auf Jacobi gemünzt. In den Briefen an diesen selbst spricht er sich über den Zwiespalt ihrer Meinungen gleichfalls mit voller Offenheit ans — das Gegenteil würde „die alte Reinheit und Aufrichtigkeit verletzen" —, aber er thut es zugleich mit der Schonung und mit der Weit¬ herzigkeit, die ihm überhaupt eigen ist und in diesem Falle durch das alte Freundschaftsverhältnis noch verstärkt wird. „Die Differenz zwischen uns beiden war schon früh genug bemerklich, und wir können uns Glück wünschen, wenn die Hoffnung, sie selbst bei zunehmendem Auseinanderstreben, durch Neigung und Liebe immer wieder ausgeglichen zu sehen, nicht unerfüllt ge¬ blieben ist." Jacobi fand lange nicht den Ton, auf diesen Brief zu antworten. Als er aber seine Verstimmung unterdrückend nach Monaten wieder an Goethe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/524>, abgerufen am 22.06.2024.