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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Briefen Goethes

unaussprechlich Unglücklichen jedes Behagen verscheuchte, dergestalt, daß wir
es uns zum Vorwurf machen, in dem Moment, wo jedermann leidet und
fürchtet, einige vergnügte Stunden zu genießen, wie mir denn doch manche in
den hiesigen Gebirgen gegönnt waren," Das Behagen also, das er genießt,
und das er wiederholt dankbar preist, ruht ans einem ernsten Grunde. Er ist
nicht fühllos i" dem allgemeinen Elend, nicht gleichgiltig gegen den Krieg und
seine Leiden, vielmehr bricht immer seine menschliche Teilnahme durch, aber er
kann nichts dazu thun, und darum steht sein Entschluß fest, sich für seine
Person aus dem Weltgetöse in die Stille zurückzuziehn und das zu thun, was
sein Beruf und seine Pflicht ist, Thue jeder das seinige, das ist die Lehre,
die er für sich aus der Weltlage ableitet, und die er gerade in diesen Tagen
mis seine Maxime immer wiederholt. "Haltet euch uur an eurer Stelle so
gut ihr könnt^ und wegen meiner seid unbesorgt; ich will schon das meinige
thun," "Thue nur jeder in jedem Augenblick das seinige," "Allen tüchtigen
Menschen bleibt durchaus nichts weiter zu thun, und wenn der Schmied immer
sein Hufeisen schmiedet und die Köchin immer kocht, so ist das notwendige
und rechte gethan im Krieg wie im Frieden. Alles reden, schwatzen und
klatschen ist vom Übel."

Das Geschäft aber, das ihm jetzt obliegt, und zu dessen Förderung er sich
in die böhmischen Bäder zurückzieht, ist die Erzählung seines eignen Lebens.
Inmitten der Bedrängnisse der Zeit beschwört er die Tage seiner Jugend
herauf lind versenkt sich mit historischem Sinn in die Zustände des vergangnen
Jahrhunderts. Seine Denkart hat mit den Jahren eine "historische Wendung"
genommen (an Jacobi, 10. Mai 1812). Zur Fortsetzung des Werkes erbat
er sich noch immer Beiträge von den alten Freunden, und obwohl von An¬
fang an das ganze Werk mit dem Eintritt in Weimar abschließen sollte, waren
ihm doch auch Beiträge über spätere Zeiten willkommen. So wünschte er
Von dem Verghauptmaiin von Trebra Aufzeichnungen für die erste Weimarer
Zeit, die Auffrischung der Bilder jener glücklichen Epoche. "Die frühern
Zeiten der Kindheit und ersten Jugend bleiben lebhaft bestimmt in der Ein-
l'ildungskrast geprägt, wenn die spätern Ereignisse, die sich leidenschaftlicher
übereinander drängen, sich wechselseitig aufheben und nnr erst mit einiger An¬
strengung und vou ihrer Seite, wie der Geist des Hohepriesters, widerstrebend
hervorrufen lassen." Seine Jugendjahre aber will er mit heitern Farben dar
stellen, hierzu braucht er heitere Stimmung, und auch darum will er sich vom
Lärm der Welt abschließen, will Ruhe um sich haben. Zwar im Mai 181!'.
hatten sich die Kriegsunruhen auch bis an die böhmische Grenze, in dle Nähe
von Teplitz gezogen, und er war damals froh, daß er seinen eignen Wagen
mit-ins Bad genommen hatte. "Denn da man so nah am Kriegsschauplatz
ist, daß man nachts sogar manchmal die Feuerzeichen am Himmel sieht, wem:
irgend ein unglücklicher Ort brennt, da man von lauter Flüchtigen, Blessierten,
^ängstigten umgeben ist, so sucht mau gern in die Weite zu kommen, wenn
man zu Htiuse sein bischen Geschäft abgethan hat." um so ungestörter war


Aus den Briefen Goethes

unaussprechlich Unglücklichen jedes Behagen verscheuchte, dergestalt, daß wir
es uns zum Vorwurf machen, in dem Moment, wo jedermann leidet und
fürchtet, einige vergnügte Stunden zu genießen, wie mir denn doch manche in
den hiesigen Gebirgen gegönnt waren," Das Behagen also, das er genießt,
und das er wiederholt dankbar preist, ruht ans einem ernsten Grunde. Er ist
nicht fühllos i» dem allgemeinen Elend, nicht gleichgiltig gegen den Krieg und
seine Leiden, vielmehr bricht immer seine menschliche Teilnahme durch, aber er
kann nichts dazu thun, und darum steht sein Entschluß fest, sich für seine
Person aus dem Weltgetöse in die Stille zurückzuziehn und das zu thun, was
sein Beruf und seine Pflicht ist, Thue jeder das seinige, das ist die Lehre,
die er für sich aus der Weltlage ableitet, und die er gerade in diesen Tagen
mis seine Maxime immer wiederholt. „Haltet euch uur an eurer Stelle so
gut ihr könnt^ und wegen meiner seid unbesorgt; ich will schon das meinige
thun," „Thue nur jeder in jedem Augenblick das seinige," „Allen tüchtigen
Menschen bleibt durchaus nichts weiter zu thun, und wenn der Schmied immer
sein Hufeisen schmiedet und die Köchin immer kocht, so ist das notwendige
und rechte gethan im Krieg wie im Frieden. Alles reden, schwatzen und
klatschen ist vom Übel."

Das Geschäft aber, das ihm jetzt obliegt, und zu dessen Förderung er sich
in die böhmischen Bäder zurückzieht, ist die Erzählung seines eignen Lebens.
Inmitten der Bedrängnisse der Zeit beschwört er die Tage seiner Jugend
herauf lind versenkt sich mit historischem Sinn in die Zustände des vergangnen
Jahrhunderts. Seine Denkart hat mit den Jahren eine „historische Wendung"
genommen (an Jacobi, 10. Mai 1812). Zur Fortsetzung des Werkes erbat
er sich noch immer Beiträge von den alten Freunden, und obwohl von An¬
fang an das ganze Werk mit dem Eintritt in Weimar abschließen sollte, waren
ihm doch auch Beiträge über spätere Zeiten willkommen. So wünschte er
Von dem Verghauptmaiin von Trebra Aufzeichnungen für die erste Weimarer
Zeit, die Auffrischung der Bilder jener glücklichen Epoche. „Die frühern
Zeiten der Kindheit und ersten Jugend bleiben lebhaft bestimmt in der Ein-
l'ildungskrast geprägt, wenn die spätern Ereignisse, die sich leidenschaftlicher
übereinander drängen, sich wechselseitig aufheben und nnr erst mit einiger An¬
strengung und vou ihrer Seite, wie der Geist des Hohepriesters, widerstrebend
hervorrufen lassen." Seine Jugendjahre aber will er mit heitern Farben dar
stellen, hierzu braucht er heitere Stimmung, und auch darum will er sich vom
Lärm der Welt abschließen, will Ruhe um sich haben. Zwar im Mai 181!'.
hatten sich die Kriegsunruhen auch bis an die böhmische Grenze, in dle Nähe
von Teplitz gezogen, und er war damals froh, daß er seinen eignen Wagen
mit-ins Bad genommen hatte. „Denn da man so nah am Kriegsschauplatz
ist, daß man nachts sogar manchmal die Feuerzeichen am Himmel sieht, wem:
irgend ein unglücklicher Ort brennt, da man von lauter Flüchtigen, Blessierten,
^ängstigten umgeben ist, so sucht mau gern in die Weite zu kommen, wenn
man zu Htiuse sein bischen Geschäft abgethan hat." um so ungestörter war


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/519>, abgerufen am 22.06.2024.