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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aus den Briefen Goethes

nichts. Die Weltgeschichte null künftig auch was zu erzählen haben." Ja er
steigert sich in dieser künstlichen Stiimnung "ut zwingt sich dazu, das Ereignis
spaßhaft zu nehmen. Dann aber knüpft er Worte menschlicher Teilnahme
daran, weil Reinhard van persönlichen Familienverlusten, die er in der Kala
Strophe erlitten, berichtet hatte.

Goethe hatte in dieser Zeit viel über Störungen seiner Gesundheit zu
klagen. aber eS war zugleich, "in allem, was an Krieg und Staatshändel er¬
innerte, zu entgehn, daß er gerade in diesen Jahren länger als sonst in den
böhmischen Bädern verweilte. Im Jahre 1812 ging er Anfang Mai nach
Karlsbad und kehrte erst gegen Mitte September nach Weimar zurück, und
im folgenden Jahre reiste er schon am 17. April nach Teplitz. Recht eigentlich
als Flüchtling suchte er diesesmal das friedliche Böhmen auf, denn gleich am
Tage nach seiner Abreise trafen die Franzosen in Weimar ein. Dus Hcran-
ziehn des Kriegsgewitters, "die sonderbare und ahnungsvolle Trübung des
politischen und militärischen Himmels," hatte ihn unruhig und unentschlossen
gemacht ; er schwankte, ob er reisen sollte oder nicht, bis endlich die Seinigen,
die seine Natur kannten, ihn an dem genannten Tage forttrieben. Und kaum
ist er auf der Reise, so ist er auch schon in der besten Laune. Gleich am
ersten Tage regt sich der dichterische Trieb. Er hört unterwegs eine Sage
vom getreuen Eckardt, die sogleich rhythmische Gestalt gewinnt. Anderntags
bringt er die Totentanzlegende in Reime, und gleich darauf reizt ihn ein
geschmackloses, sentimentales Lied, das er rentieren hört, zu eiuer Parodie.
.Ich habe geliebt, nun lieb ich nicht mehr," dieses "elendeste aller deutschen
Lieder" verkehrt er in das freudig bejahende: "Ich habe geliebt, nun lieb ich
erst recht." Gegen Zelter entschuldigt er sich allerdings, daß diese Strophen in
der jetzigen Zeit entstanden sind, und nennt sie einen unzeitigen Scherz. In
Wahrheit wurzeln sie gerade in dem Gegensatz gegen das trostlose Welt-
getmnmel: sie atmen ganz das frohe Behagen an seiner privaten und häus¬
lichen Existenz, das er sich durch nichts rauben lassen Null. - - Unterwegs läßt
er sich wohl von vorangegangnen Kriegsszenen erzählen, aber allem Aufregenden
weiß er auch hier zu entgehn. Was er vernimmt, rückt sich ihm unwillkürlich
gleich ins Epische. In Meißen erzählt ihm die Wirtstochter "mit großer
Gemütsruhe" die Verbrennung der Brücke durch Davoust, "und wie die
Flamme in der Nacht sehr schön ausgesehen habe." Jetzt war alles vorüber,
auch die Einquartierungen, die Gefangnenzüge, die Kosaken mit ihren nach¬
schwimmenden Pferden. "Das war alles vorübergegangen, und Meißen befand
sich vor une nach. Dies ists, was am meisten aufheitert, wenn man an Orte
kommt, wo der Krieg wirklich getobt hat, und doch noch alles ans den Füßen
findet."

Näher wird er vom Kriege während seines Aufenthalts in Dresden be¬
rührt; die beiden verbündeten Potentaten, der Kaiser vou Rußland und der
König vou Preußen, werden erwartet, Truppen ziehn hin und her, und Kosaken
lagern in der Stadt. Wiederum reizen ihn die sich darbietenden Genreszeuein


Aus den Briefen Goethes

nichts. Die Weltgeschichte null künftig auch was zu erzählen haben." Ja er
steigert sich in dieser künstlichen Stiimnung »ut zwingt sich dazu, das Ereignis
spaßhaft zu nehmen. Dann aber knüpft er Worte menschlicher Teilnahme
daran, weil Reinhard van persönlichen Familienverlusten, die er in der Kala
Strophe erlitten, berichtet hatte.

Goethe hatte in dieser Zeit viel über Störungen seiner Gesundheit zu
klagen. aber eS war zugleich, »in allem, was an Krieg und Staatshändel er¬
innerte, zu entgehn, daß er gerade in diesen Jahren länger als sonst in den
böhmischen Bädern verweilte. Im Jahre 1812 ging er Anfang Mai nach
Karlsbad und kehrte erst gegen Mitte September nach Weimar zurück, und
im folgenden Jahre reiste er schon am 17. April nach Teplitz. Recht eigentlich
als Flüchtling suchte er diesesmal das friedliche Böhmen auf, denn gleich am
Tage nach seiner Abreise trafen die Franzosen in Weimar ein. Dus Hcran-
ziehn des Kriegsgewitters, „die sonderbare und ahnungsvolle Trübung des
politischen und militärischen Himmels," hatte ihn unruhig und unentschlossen
gemacht ; er schwankte, ob er reisen sollte oder nicht, bis endlich die Seinigen,
die seine Natur kannten, ihn an dem genannten Tage forttrieben. Und kaum
ist er auf der Reise, so ist er auch schon in der besten Laune. Gleich am
ersten Tage regt sich der dichterische Trieb. Er hört unterwegs eine Sage
vom getreuen Eckardt, die sogleich rhythmische Gestalt gewinnt. Anderntags
bringt er die Totentanzlegende in Reime, und gleich darauf reizt ihn ein
geschmackloses, sentimentales Lied, das er rentieren hört, zu eiuer Parodie.
.Ich habe geliebt, nun lieb ich nicht mehr," dieses „elendeste aller deutschen
Lieder" verkehrt er in das freudig bejahende: „Ich habe geliebt, nun lieb ich
erst recht." Gegen Zelter entschuldigt er sich allerdings, daß diese Strophen in
der jetzigen Zeit entstanden sind, und nennt sie einen unzeitigen Scherz. In
Wahrheit wurzeln sie gerade in dem Gegensatz gegen das trostlose Welt-
getmnmel: sie atmen ganz das frohe Behagen an seiner privaten und häus¬
lichen Existenz, das er sich durch nichts rauben lassen Null. - - Unterwegs läßt
er sich wohl von vorangegangnen Kriegsszenen erzählen, aber allem Aufregenden
weiß er auch hier zu entgehn. Was er vernimmt, rückt sich ihm unwillkürlich
gleich ins Epische. In Meißen erzählt ihm die Wirtstochter „mit großer
Gemütsruhe" die Verbrennung der Brücke durch Davoust, „und wie die
Flamme in der Nacht sehr schön ausgesehen habe." Jetzt war alles vorüber,
auch die Einquartierungen, die Gefangnenzüge, die Kosaken mit ihren nach¬
schwimmenden Pferden. „Das war alles vorübergegangen, und Meißen befand
sich vor une nach. Dies ists, was am meisten aufheitert, wenn man an Orte
kommt, wo der Krieg wirklich getobt hat, und doch noch alles ans den Füßen
findet."

Näher wird er vom Kriege während seines Aufenthalts in Dresden be¬
rührt; die beiden verbündeten Potentaten, der Kaiser vou Rußland und der
König vou Preußen, werden erwartet, Truppen ziehn hin und her, und Kosaken
lagern in der Stadt. Wiederum reizen ihn die sich darbietenden Genreszeuein


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[0517] Aus den Briefen Goethes nichts. Die Weltgeschichte null künftig auch was zu erzählen haben." Ja er steigert sich in dieser künstlichen Stiimnung »ut zwingt sich dazu, das Ereignis spaßhaft zu nehmen. Dann aber knüpft er Worte menschlicher Teilnahme daran, weil Reinhard van persönlichen Familienverlusten, die er in der Kala Strophe erlitten, berichtet hatte. Goethe hatte in dieser Zeit viel über Störungen seiner Gesundheit zu klagen. aber eS war zugleich, »in allem, was an Krieg und Staatshändel er¬ innerte, zu entgehn, daß er gerade in diesen Jahren länger als sonst in den böhmischen Bädern verweilte. Im Jahre 1812 ging er Anfang Mai nach Karlsbad und kehrte erst gegen Mitte September nach Weimar zurück, und im folgenden Jahre reiste er schon am 17. April nach Teplitz. Recht eigentlich als Flüchtling suchte er diesesmal das friedliche Böhmen auf, denn gleich am Tage nach seiner Abreise trafen die Franzosen in Weimar ein. Dus Hcran- ziehn des Kriegsgewitters, „die sonderbare und ahnungsvolle Trübung des politischen und militärischen Himmels," hatte ihn unruhig und unentschlossen gemacht ; er schwankte, ob er reisen sollte oder nicht, bis endlich die Seinigen, die seine Natur kannten, ihn an dem genannten Tage forttrieben. Und kaum ist er auf der Reise, so ist er auch schon in der besten Laune. Gleich am ersten Tage regt sich der dichterische Trieb. Er hört unterwegs eine Sage vom getreuen Eckardt, die sogleich rhythmische Gestalt gewinnt. Anderntags bringt er die Totentanzlegende in Reime, und gleich darauf reizt ihn ein geschmackloses, sentimentales Lied, das er rentieren hört, zu eiuer Parodie. .Ich habe geliebt, nun lieb ich nicht mehr," dieses „elendeste aller deutschen Lieder" verkehrt er in das freudig bejahende: „Ich habe geliebt, nun lieb ich erst recht." Gegen Zelter entschuldigt er sich allerdings, daß diese Strophen in der jetzigen Zeit entstanden sind, und nennt sie einen unzeitigen Scherz. In Wahrheit wurzeln sie gerade in dem Gegensatz gegen das trostlose Welt- getmnmel: sie atmen ganz das frohe Behagen an seiner privaten und häus¬ lichen Existenz, das er sich durch nichts rauben lassen Null. - - Unterwegs läßt er sich wohl von vorangegangnen Kriegsszenen erzählen, aber allem Aufregenden weiß er auch hier zu entgehn. Was er vernimmt, rückt sich ihm unwillkürlich gleich ins Epische. In Meißen erzählt ihm die Wirtstochter „mit großer Gemütsruhe" die Verbrennung der Brücke durch Davoust, „und wie die Flamme in der Nacht sehr schön ausgesehen habe." Jetzt war alles vorüber, auch die Einquartierungen, die Gefangnenzüge, die Kosaken mit ihren nach¬ schwimmenden Pferden. „Das war alles vorübergegangen, und Meißen befand sich vor une nach. Dies ists, was am meisten aufheitert, wenn man an Orte kommt, wo der Krieg wirklich getobt hat, und doch noch alles ans den Füßen findet." Näher wird er vom Kriege während seines Aufenthalts in Dresden be¬ rührt; die beiden verbündeten Potentaten, der Kaiser vou Rußland und der König vou Preußen, werden erwartet, Truppen ziehn hin und her, und Kosaken lagern in der Stadt. Wiederum reizen ihn die sich darbietenden Genreszeuein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/517>, abgerufen am 22.06.2024.