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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die englische Kirche

Los gewöhnlich ist, für wenig Geld schwer arbeite" zu müssen. Es sind nicht
bloß junge Leute, sondern oft genug Männer in höheren Alter, denen es ein
Einfluß oder Geld fehlt, Sie werden von einem Pfründeninhaber zur Unter¬
stützung angenommen und können nach Belieben wieder entlassen werden. Ihre
Besoldung ist gewöhnlich sehr mäßig, und wenn ihr Brodgeber in seiner Pflicht
lässig ist, liegt die Hauptlast der Arbeit in der Gemeinde auf ihren Schultern.
Was das Einkommen anbetrifft, so sind freilich die meisten Pfarrer anch uicht
auf Rosen gebettet. Der Niedergang des Bodenwerts in deu letzten Jahren
hat gerade den geistlichen Stand schwer getroffen, schwerer als andre Kreise,
da ein Wettmachen des Ausfalls durch Nebenerwerb nur in seltnen Fällen
möglich ist. Es wird angenommen, daß die Hälfte aller Pfarrstellen weniger
als 150 Pfund eintrügt, für englische Verhältnisse eine sehr geringe Summe,
besonders wenn man bedenkt, was für Ansprüche an die Tasche des Geistlichen
gestellt werden, und daß von dem, was nach Abzug der Steuern übrig bleibt,
eine oft vielköpfige Familie anstündig leben soll.

Neben den armen Stellen finden sich natürlich auch gute und reich aus¬
gestattete. An Stellen, die über 500 Pfund bringen, giebt es viele, und die
Würdenträger, Erzbischöfe, Bischöfe, Dechanten usw., brauchen uicht am Hunger-
tnche zu nagen. Der Erzbischof von Canterburh erfreut sich eines fürstlichen
Gehalts von 15000 Pfund, der von York und der Bischof von London be¬
ziehn jeder 10000 Pfund. Die übrigen Bischöfe schwanken zwischen 7000 und
3000 Pfund. Bloß der von Sodor und Mau lSvdor steht abgekürzt für
insuüirnm soclorsnsiuin) muß sich mit 1500 Pfund bescheiden.

Großer Reichtum und lüttere Armut stehn also auch in der Kirche neben¬
einander. Und doch sind die Verhältnisse unvergleichlich besser als früher.
Zur Zeit der Königin Anna hatte gewiß das Geld mehr Kanflraft als hente.
Doch eine Pfarrstelle mit weniger als 10 Pfund jährlichen Einkommens war
auch damals zum Leben nicht genug. Die Einziehung und Verschleuderung
des ursprünglich für deu Unterhalt der Pfarrgeistlichen bestimmten Zehnten
machte eine durchgreifende Verbesserung unmöglich, und alles, was die Königin
Anna thun konnte, war ein Verzicht auf die ihr noch ans dein Raube zu¬
stehenden Bezüge, die seitdem unter dem Namen der Königin Anna-Stiftung
((jmZM Enno's Lormt/) zur Aufbesserung der ärmern Stellen verwandt worden
sind. Seit 1809 hat ferner der Staatsschatz 1100000 Pfund für denselben
Zweck beigesteuert, und eine noch größere Summe, etwa 1300000 Pfund, ist
von Privatleuten aufgebracht worden. Alles in allem kann man, ohne den
Wert der Pfarrhäuser zu berechnen, das jährliche Einkommen der Pfarrgeist
lichkeit auf 4500000 Pfund veranschlagen, dem das der Würdenträger mit
352000 Pfund gegenübersteht.

Als durchaus gesichert ist jedoch dieses Einkonnnen nicht anzusehen; denn
der größte Teil stammt aus dem Zehnten, der nicht mit Unrecht als eine
drückende, und was schlimmer ist, ungerechte Last empfunden wird. Er ruht fast
nur auf den, durch den Freihandel schon schwer genug getrosfnen Lande und ist


Die englische Kirche

Los gewöhnlich ist, für wenig Geld schwer arbeite» zu müssen. Es sind nicht
bloß junge Leute, sondern oft genug Männer in höheren Alter, denen es ein
Einfluß oder Geld fehlt, Sie werden von einem Pfründeninhaber zur Unter¬
stützung angenommen und können nach Belieben wieder entlassen werden. Ihre
Besoldung ist gewöhnlich sehr mäßig, und wenn ihr Brodgeber in seiner Pflicht
lässig ist, liegt die Hauptlast der Arbeit in der Gemeinde auf ihren Schultern.
Was das Einkommen anbetrifft, so sind freilich die meisten Pfarrer anch uicht
auf Rosen gebettet. Der Niedergang des Bodenwerts in deu letzten Jahren
hat gerade den geistlichen Stand schwer getroffen, schwerer als andre Kreise,
da ein Wettmachen des Ausfalls durch Nebenerwerb nur in seltnen Fällen
möglich ist. Es wird angenommen, daß die Hälfte aller Pfarrstellen weniger
als 150 Pfund eintrügt, für englische Verhältnisse eine sehr geringe Summe,
besonders wenn man bedenkt, was für Ansprüche an die Tasche des Geistlichen
gestellt werden, und daß von dem, was nach Abzug der Steuern übrig bleibt,
eine oft vielköpfige Familie anstündig leben soll.

Neben den armen Stellen finden sich natürlich auch gute und reich aus¬
gestattete. An Stellen, die über 500 Pfund bringen, giebt es viele, und die
Würdenträger, Erzbischöfe, Bischöfe, Dechanten usw., brauchen uicht am Hunger-
tnche zu nagen. Der Erzbischof von Canterburh erfreut sich eines fürstlichen
Gehalts von 15000 Pfund, der von York und der Bischof von London be¬
ziehn jeder 10000 Pfund. Die übrigen Bischöfe schwanken zwischen 7000 und
3000 Pfund. Bloß der von Sodor und Mau lSvdor steht abgekürzt für
insuüirnm soclorsnsiuin) muß sich mit 1500 Pfund bescheiden.

Großer Reichtum und lüttere Armut stehn also auch in der Kirche neben¬
einander. Und doch sind die Verhältnisse unvergleichlich besser als früher.
Zur Zeit der Königin Anna hatte gewiß das Geld mehr Kanflraft als hente.
Doch eine Pfarrstelle mit weniger als 10 Pfund jährlichen Einkommens war
auch damals zum Leben nicht genug. Die Einziehung und Verschleuderung
des ursprünglich für deu Unterhalt der Pfarrgeistlichen bestimmten Zehnten
machte eine durchgreifende Verbesserung unmöglich, und alles, was die Königin
Anna thun konnte, war ein Verzicht auf die ihr noch ans dein Raube zu¬
stehenden Bezüge, die seitdem unter dem Namen der Königin Anna-Stiftung
((jmZM Enno's Lormt/) zur Aufbesserung der ärmern Stellen verwandt worden
sind. Seit 1809 hat ferner der Staatsschatz 1100000 Pfund für denselben
Zweck beigesteuert, und eine noch größere Summe, etwa 1300000 Pfund, ist
von Privatleuten aufgebracht worden. Alles in allem kann man, ohne den
Wert der Pfarrhäuser zu berechnen, das jährliche Einkommen der Pfarrgeist
lichkeit auf 4500000 Pfund veranschlagen, dem das der Würdenträger mit
352000 Pfund gegenübersteht.

Als durchaus gesichert ist jedoch dieses Einkonnnen nicht anzusehen; denn
der größte Teil stammt aus dem Zehnten, der nicht mit Unrecht als eine
drückende, und was schlimmer ist, ungerechte Last empfunden wird. Er ruht fast
nur auf den, durch den Freihandel schon schwer genug getrosfnen Lande und ist


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[0512] Die englische Kirche Los gewöhnlich ist, für wenig Geld schwer arbeite» zu müssen. Es sind nicht bloß junge Leute, sondern oft genug Männer in höheren Alter, denen es ein Einfluß oder Geld fehlt, Sie werden von einem Pfründeninhaber zur Unter¬ stützung angenommen und können nach Belieben wieder entlassen werden. Ihre Besoldung ist gewöhnlich sehr mäßig, und wenn ihr Brodgeber in seiner Pflicht lässig ist, liegt die Hauptlast der Arbeit in der Gemeinde auf ihren Schultern. Was das Einkommen anbetrifft, so sind freilich die meisten Pfarrer anch uicht auf Rosen gebettet. Der Niedergang des Bodenwerts in deu letzten Jahren hat gerade den geistlichen Stand schwer getroffen, schwerer als andre Kreise, da ein Wettmachen des Ausfalls durch Nebenerwerb nur in seltnen Fällen möglich ist. Es wird angenommen, daß die Hälfte aller Pfarrstellen weniger als 150 Pfund eintrügt, für englische Verhältnisse eine sehr geringe Summe, besonders wenn man bedenkt, was für Ansprüche an die Tasche des Geistlichen gestellt werden, und daß von dem, was nach Abzug der Steuern übrig bleibt, eine oft vielköpfige Familie anstündig leben soll. Neben den armen Stellen finden sich natürlich auch gute und reich aus¬ gestattete. An Stellen, die über 500 Pfund bringen, giebt es viele, und die Würdenträger, Erzbischöfe, Bischöfe, Dechanten usw., brauchen uicht am Hunger- tnche zu nagen. Der Erzbischof von Canterburh erfreut sich eines fürstlichen Gehalts von 15000 Pfund, der von York und der Bischof von London be¬ ziehn jeder 10000 Pfund. Die übrigen Bischöfe schwanken zwischen 7000 und 3000 Pfund. Bloß der von Sodor und Mau lSvdor steht abgekürzt für insuüirnm soclorsnsiuin) muß sich mit 1500 Pfund bescheiden. Großer Reichtum und lüttere Armut stehn also auch in der Kirche neben¬ einander. Und doch sind die Verhältnisse unvergleichlich besser als früher. Zur Zeit der Königin Anna hatte gewiß das Geld mehr Kanflraft als hente. Doch eine Pfarrstelle mit weniger als 10 Pfund jährlichen Einkommens war auch damals zum Leben nicht genug. Die Einziehung und Verschleuderung des ursprünglich für deu Unterhalt der Pfarrgeistlichen bestimmten Zehnten machte eine durchgreifende Verbesserung unmöglich, und alles, was die Königin Anna thun konnte, war ein Verzicht auf die ihr noch ans dein Raube zu¬ stehenden Bezüge, die seitdem unter dem Namen der Königin Anna-Stiftung ((jmZM Enno's Lormt/) zur Aufbesserung der ärmern Stellen verwandt worden sind. Seit 1809 hat ferner der Staatsschatz 1100000 Pfund für denselben Zweck beigesteuert, und eine noch größere Summe, etwa 1300000 Pfund, ist von Privatleuten aufgebracht worden. Alles in allem kann man, ohne den Wert der Pfarrhäuser zu berechnen, das jährliche Einkommen der Pfarrgeist lichkeit auf 4500000 Pfund veranschlagen, dem das der Würdenträger mit 352000 Pfund gegenübersteht. Als durchaus gesichert ist jedoch dieses Einkonnnen nicht anzusehen; denn der größte Teil stammt aus dem Zehnten, der nicht mit Unrecht als eine drückende, und was schlimmer ist, ungerechte Last empfunden wird. Er ruht fast nur auf den, durch den Freihandel schon schwer genug getrosfnen Lande und ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/512>, abgerufen am 22.06.2024.