Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Sonst giebt das Patronat der großen Adelsgeschlechter zu wenig Klagen
Anlaß. Leider aber giebt es eine große Menge Stellen, deren Patronat, vom
Grundbesitz und damit auch von jeder Teilnahme an dein Wohle der Gemeinde
getrennt, fortwährend den Besitzer wechselt. Sie werden wie euie Spekulation'
behandelt. Je älter der Inhaber, um so wahrscheinlicher ist die Eröffnung
der Stelle, und um so höher der Preis, der für das Patronat gefordert und
gezahlt wird. Welchen Umfang der Schacher hat, ergiebt sich aus dem massen¬
haften Angebote und der nicht geringer.! Nachfrage. Vor 1899 bebef sich die
Zahl der Anzeigen vou verkäuflichen Patronaten in der Deelssiast-Kul Spotte
auf achtzig bis hundert monatlich, und diese Anzeigen bezogen sich teils auf
das ganze Patronat, teils bloß auf das Recht der nächsten Besetzung. Den
Bischöfen bleibt nichts übrig, als mit saurer Miene die Bestätigung zu geben,
die nicht verweigert werden kann, sofern der Vorgefchlagne die ordnungsmäßigen
Weihen erhalten hat. Erst 1899 hat ein Gesetz etwas von dein gröbsten Unfug
hinweggeräumt, und seitdem kann der Bischof die Einführung ins Amt ver¬
weigern, wenn der Einzuführeude in sittlicher Beziehung Anstoß erregt. In
der Hauptsache ist alles beim alten geblieben. Der Kauf der Ofsizicrstellen
ist 1870 von der Krone, ohne Mitwirkung des Parlaments abgeschafft worden.
I" der Kirche, wo der Krone solche Macht nicht zusteht, treibt die Simonie
ihre Blüten lustig weiter, und ob ein Priester der geeignete Mann für eme
Stelle ist, geht den Bischof gar nichts an. Der erste Grundsatz des Parla¬
ments, das'fast nur aus reichen Leute" besteht, ist, die Rechte des Eigentums
5" schützen, und dagegen können die armen Seelen der Gemeindemitglieder
nicht aufkommen. Die Seelen gelten bei dem Handel als Zugabe.

Daß die Sehnsucht nach einer Pfründe so groß ist. erklärt sich le.ehe ans
der Zahl abhängiger und schlecht besoldeter Geistlichen ans der untersten
Sprosse der hierarchischen Leiter. An der Spitze stehn die beiden Erzbischofe.
von Canterbury, Primas von ganz England, und von York, Primas von
England. Nach ihnen kommen 33 Bischöfe, von denen 24 im Oberhause
sitzen, und 27 Suffragan- und Hilfsbischöfe. Jedem volle" Bischöfe steht ein
Dechant mit dem Domkapital zur Seite. Nur die Dechanten von Westminster
und Windsor sind selbständig. Die einzelnen Bistümer teilen sich wieder in
Erzdechaneien und die Erzdechaneien in Landdechaneien, die jedoch heute kaum
noch Bedeutung habe". Die Verwaltung eines Sprengels liegt thatsächlich
"ur beim Bischöfe und den Erzdechanten. Dann folgt ans der hierarchischen
weiter das große Heer der Pfarrgeistlichen, der Rektoren und Vikare. Die
Vikare, zu denen mich die "immerwährenden Kuraten" (xsrpöwÄl ouratos) zu
rechnen sind, haben meist ein geringeres Einkommen als die Rektoren, dn diese
"eben den eigentlichen Pfarreinkünften im Genusse des ganzen Zehnten sind,
während sie sich mit dem begnügen müssen, was der glückliche Eigentümer des
Zehnten ihnen seinerzeit ausgesetzt hat.

Solcher Pfriindeniiihaber giebt es nahe an 14000. Aber außer thuen
giebt es noch eine Schar von rund 6000 Hilfsgeistlichen oder Knraten, deren


Sonst giebt das Patronat der großen Adelsgeschlechter zu wenig Klagen
Anlaß. Leider aber giebt es eine große Menge Stellen, deren Patronat, vom
Grundbesitz und damit auch von jeder Teilnahme an dein Wohle der Gemeinde
getrennt, fortwährend den Besitzer wechselt. Sie werden wie euie Spekulation'
behandelt. Je älter der Inhaber, um so wahrscheinlicher ist die Eröffnung
der Stelle, und um so höher der Preis, der für das Patronat gefordert und
gezahlt wird. Welchen Umfang der Schacher hat, ergiebt sich aus dem massen¬
haften Angebote und der nicht geringer.! Nachfrage. Vor 1899 bebef sich die
Zahl der Anzeigen vou verkäuflichen Patronaten in der Deelssiast-Kul Spotte
auf achtzig bis hundert monatlich, und diese Anzeigen bezogen sich teils auf
das ganze Patronat, teils bloß auf das Recht der nächsten Besetzung. Den
Bischöfen bleibt nichts übrig, als mit saurer Miene die Bestätigung zu geben,
die nicht verweigert werden kann, sofern der Vorgefchlagne die ordnungsmäßigen
Weihen erhalten hat. Erst 1899 hat ein Gesetz etwas von dein gröbsten Unfug
hinweggeräumt, und seitdem kann der Bischof die Einführung ins Amt ver¬
weigern, wenn der Einzuführeude in sittlicher Beziehung Anstoß erregt. In
der Hauptsache ist alles beim alten geblieben. Der Kauf der Ofsizicrstellen
ist 1870 von der Krone, ohne Mitwirkung des Parlaments abgeschafft worden.
I» der Kirche, wo der Krone solche Macht nicht zusteht, treibt die Simonie
ihre Blüten lustig weiter, und ob ein Priester der geeignete Mann für eme
Stelle ist, geht den Bischof gar nichts an. Der erste Grundsatz des Parla¬
ments, das'fast nur aus reichen Leute» besteht, ist, die Rechte des Eigentums
5« schützen, und dagegen können die armen Seelen der Gemeindemitglieder
nicht aufkommen. Die Seelen gelten bei dem Handel als Zugabe.

Daß die Sehnsucht nach einer Pfründe so groß ist. erklärt sich le.ehe ans
der Zahl abhängiger und schlecht besoldeter Geistlichen ans der untersten
Sprosse der hierarchischen Leiter. An der Spitze stehn die beiden Erzbischofe.
von Canterbury, Primas von ganz England, und von York, Primas von
England. Nach ihnen kommen 33 Bischöfe, von denen 24 im Oberhause
sitzen, und 27 Suffragan- und Hilfsbischöfe. Jedem volle» Bischöfe steht ein
Dechant mit dem Domkapital zur Seite. Nur die Dechanten von Westminster
und Windsor sind selbständig. Die einzelnen Bistümer teilen sich wieder in
Erzdechaneien und die Erzdechaneien in Landdechaneien, die jedoch heute kaum
noch Bedeutung habe». Die Verwaltung eines Sprengels liegt thatsächlich
»ur beim Bischöfe und den Erzdechanten. Dann folgt ans der hierarchischen
weiter das große Heer der Pfarrgeistlichen, der Rektoren und Vikare. Die
Vikare, zu denen mich die „immerwährenden Kuraten" (xsrpöwÄl ouratos) zu
rechnen sind, haben meist ein geringeres Einkommen als die Rektoren, dn diese
»eben den eigentlichen Pfarreinkünften im Genusse des ganzen Zehnten sind,
während sie sich mit dem begnügen müssen, was der glückliche Eigentümer des
Zehnten ihnen seinerzeit ausgesetzt hat.

Solcher Pfriindeniiihaber giebt es nahe an 14000. Aber außer thuen
giebt es noch eine Schar von rund 6000 Hilfsgeistlichen oder Knraten, deren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0511" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234391"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1673"> Sonst giebt das Patronat der großen Adelsgeschlechter zu wenig Klagen<lb/>
Anlaß. Leider aber giebt es eine große Menge Stellen, deren Patronat, vom<lb/>
Grundbesitz und damit auch von jeder Teilnahme an dein Wohle der Gemeinde<lb/>
getrennt, fortwährend den Besitzer wechselt. Sie werden wie euie Spekulation'<lb/>
behandelt. Je älter der Inhaber, um so wahrscheinlicher ist die Eröffnung<lb/>
der Stelle, und um so höher der Preis, der für das Patronat gefordert und<lb/>
gezahlt wird. Welchen Umfang der Schacher hat, ergiebt sich aus dem massen¬<lb/>
haften Angebote und der nicht geringer.! Nachfrage. Vor 1899 bebef sich die<lb/>
Zahl der Anzeigen vou verkäuflichen Patronaten in der Deelssiast-Kul Spotte<lb/>
auf achtzig bis hundert monatlich, und diese Anzeigen bezogen sich teils auf<lb/>
das ganze Patronat, teils bloß auf das Recht der nächsten Besetzung. Den<lb/>
Bischöfen bleibt nichts übrig, als mit saurer Miene die Bestätigung zu geben,<lb/>
die nicht verweigert werden kann, sofern der Vorgefchlagne die ordnungsmäßigen<lb/>
Weihen erhalten hat. Erst 1899 hat ein Gesetz etwas von dein gröbsten Unfug<lb/>
hinweggeräumt, und seitdem kann der Bischof die Einführung ins Amt ver¬<lb/>
weigern, wenn der Einzuführeude in sittlicher Beziehung Anstoß erregt. In<lb/>
der Hauptsache ist alles beim alten geblieben. Der Kauf der Ofsizicrstellen<lb/>
ist 1870 von der Krone, ohne Mitwirkung des Parlaments abgeschafft worden.<lb/>
I» der Kirche, wo der Krone solche Macht nicht zusteht, treibt die Simonie<lb/>
ihre Blüten lustig weiter, und ob ein Priester der geeignete Mann für eme<lb/>
Stelle ist, geht den Bischof gar nichts an. Der erste Grundsatz des Parla¬<lb/>
ments, das'fast nur aus reichen Leute» besteht, ist, die Rechte des Eigentums<lb/>
5« schützen, und dagegen können die armen Seelen der Gemeindemitglieder<lb/>
nicht aufkommen. Die Seelen gelten bei dem Handel als Zugabe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1674"> Daß die Sehnsucht nach einer Pfründe so groß ist. erklärt sich le.ehe ans<lb/>
der Zahl abhängiger und schlecht besoldeter Geistlichen ans der untersten<lb/>
Sprosse der hierarchischen Leiter. An der Spitze stehn die beiden Erzbischofe.<lb/>
von Canterbury, Primas von ganz England, und von York, Primas von<lb/>
England. Nach ihnen kommen 33 Bischöfe, von denen 24 im Oberhause<lb/>
sitzen, und 27 Suffragan- und Hilfsbischöfe. Jedem volle» Bischöfe steht ein<lb/>
Dechant mit dem Domkapital zur Seite. Nur die Dechanten von Westminster<lb/>
und Windsor sind selbständig. Die einzelnen Bistümer teilen sich wieder in<lb/>
Erzdechaneien und die Erzdechaneien in Landdechaneien, die jedoch heute kaum<lb/>
noch Bedeutung habe». Die Verwaltung eines Sprengels liegt thatsächlich<lb/>
»ur beim Bischöfe und den Erzdechanten. Dann folgt ans der hierarchischen<lb/>
weiter das große Heer der Pfarrgeistlichen, der Rektoren und Vikare. Die<lb/>
Vikare, zu denen mich die &#x201E;immerwährenden Kuraten" (xsrpöwÄl ouratos) zu<lb/>
rechnen sind, haben meist ein geringeres Einkommen als die Rektoren, dn diese<lb/>
»eben den eigentlichen Pfarreinkünften im Genusse des ganzen Zehnten sind,<lb/>
während sie sich mit dem begnügen müssen, was der glückliche Eigentümer des<lb/>
Zehnten ihnen seinerzeit ausgesetzt hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1675" next="#ID_1676"> Solcher Pfriindeniiihaber giebt es nahe an 14000. Aber außer thuen<lb/>
giebt es noch eine Schar von rund 6000 Hilfsgeistlichen oder Knraten, deren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0511] Sonst giebt das Patronat der großen Adelsgeschlechter zu wenig Klagen Anlaß. Leider aber giebt es eine große Menge Stellen, deren Patronat, vom Grundbesitz und damit auch von jeder Teilnahme an dein Wohle der Gemeinde getrennt, fortwährend den Besitzer wechselt. Sie werden wie euie Spekulation' behandelt. Je älter der Inhaber, um so wahrscheinlicher ist die Eröffnung der Stelle, und um so höher der Preis, der für das Patronat gefordert und gezahlt wird. Welchen Umfang der Schacher hat, ergiebt sich aus dem massen¬ haften Angebote und der nicht geringer.! Nachfrage. Vor 1899 bebef sich die Zahl der Anzeigen vou verkäuflichen Patronaten in der Deelssiast-Kul Spotte auf achtzig bis hundert monatlich, und diese Anzeigen bezogen sich teils auf das ganze Patronat, teils bloß auf das Recht der nächsten Besetzung. Den Bischöfen bleibt nichts übrig, als mit saurer Miene die Bestätigung zu geben, die nicht verweigert werden kann, sofern der Vorgefchlagne die ordnungsmäßigen Weihen erhalten hat. Erst 1899 hat ein Gesetz etwas von dein gröbsten Unfug hinweggeräumt, und seitdem kann der Bischof die Einführung ins Amt ver¬ weigern, wenn der Einzuführeude in sittlicher Beziehung Anstoß erregt. In der Hauptsache ist alles beim alten geblieben. Der Kauf der Ofsizicrstellen ist 1870 von der Krone, ohne Mitwirkung des Parlaments abgeschafft worden. I» der Kirche, wo der Krone solche Macht nicht zusteht, treibt die Simonie ihre Blüten lustig weiter, und ob ein Priester der geeignete Mann für eme Stelle ist, geht den Bischof gar nichts an. Der erste Grundsatz des Parla¬ ments, das'fast nur aus reichen Leute» besteht, ist, die Rechte des Eigentums 5« schützen, und dagegen können die armen Seelen der Gemeindemitglieder nicht aufkommen. Die Seelen gelten bei dem Handel als Zugabe. Daß die Sehnsucht nach einer Pfründe so groß ist. erklärt sich le.ehe ans der Zahl abhängiger und schlecht besoldeter Geistlichen ans der untersten Sprosse der hierarchischen Leiter. An der Spitze stehn die beiden Erzbischofe. von Canterbury, Primas von ganz England, und von York, Primas von England. Nach ihnen kommen 33 Bischöfe, von denen 24 im Oberhause sitzen, und 27 Suffragan- und Hilfsbischöfe. Jedem volle» Bischöfe steht ein Dechant mit dem Domkapital zur Seite. Nur die Dechanten von Westminster und Windsor sind selbständig. Die einzelnen Bistümer teilen sich wieder in Erzdechaneien und die Erzdechaneien in Landdechaneien, die jedoch heute kaum noch Bedeutung habe». Die Verwaltung eines Sprengels liegt thatsächlich »ur beim Bischöfe und den Erzdechanten. Dann folgt ans der hierarchischen weiter das große Heer der Pfarrgeistlichen, der Rektoren und Vikare. Die Vikare, zu denen mich die „immerwährenden Kuraten" (xsrpöwÄl ouratos) zu rechnen sind, haben meist ein geringeres Einkommen als die Rektoren, dn diese »eben den eigentlichen Pfarreinkünften im Genusse des ganzen Zehnten sind, während sie sich mit dem begnügen müssen, was der glückliche Eigentümer des Zehnten ihnen seinerzeit ausgesetzt hat. Solcher Pfriindeniiihaber giebt es nahe an 14000. Aber außer thuen giebt es noch eine Schar von rund 6000 Hilfsgeistlichen oder Knraten, deren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/511
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/511>, abgerufen am 22.06.2024.