Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die englische Kirche

versteigert werden, und ein Priester konnte selbst ein solches Patronat kaufen
und bei Erledigung der Stelle sich ernennen.

Vor der Reformation gab es nur wenig Lnieneigeutümer, und wo sie vor¬
kamen, berichte das Recht der Stellenbesetzuug wohl darauf, das; der Patron
die Stelle ausgestattet hatte. Im Laufe des Mittelalters hatte nun die Hab¬
sucht der Kirche ein volles Fünftel von England in ihren Besitz gebracht, und
von den übrigen vier Fünfteln bezog sie den Zehnten. Die Klöster und
Stifter besaßen davon ein erkleckliches Stück, und auch vom Zehnten hatten sie
einen guten?, man möchte sagen den Löwenanteil in ihre Hände zu bekommen
gewußt, wofür sie dann die Seelsorge in den betreffenden Gemeinden versahen
oder durch Vikare Versehen ließen, denen jedoch ein möglichst geringes Ein¬
kommen ausgesetzt wurde. Die Hauptsache des Zehnten behielten sie selbst.

Mit dem Vermögen der eingezognen Klöster ging auch der Bezug des
.Zehnten, den diese genossen hatten, in die Hände Heinrichs VIII. und seiner
Nachfolger über. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Bald war das Kirchen¬
gut, das die englische Krone zur reichsten der Welt gemacht hatte, zum größten
Teile wieder verschleudert. Heinrich sowohl wie seine Nachfolger bis auf die
Königin Anna verwandten es zur Ausstattung ihrer Günstlinge, des neuen
Adels, der seit den Tndors aufkam. Die Namen vieler Sitze des englischen
Adels, Byrons Newstead Abbey, des Herzogs von Portland Welbeck Abbey,
erinnern noch heute an jenen Raub. Erst die Königin Anna führte den be¬
scheidnen Nest wieder der Kirche zu. So kam ein großer Teil des alten
Kirchenvermögens in die Hände von Laien, lind mit dem Rechte auf den Zehnten,
der dadurch seiner ursprünglichen Bestimmung völlig entfremdet wurde, ging
auch die Pflicht, einen Seelsorger zu bestellen, an Laien über.") Wenn das
Patronat mit der Grundherrlichkeit unzertrennlich verbunden wäre, würde die
Sache nicht so schlimm sein; denn der Großgrundbesitz ist in England meist
in festen Händen, beim Adel und auch sonst bei alten Geschlechtern, sogar un¬
veräußerliches Majvrntsgut. Die großen Hänser sind ferner so eng mit dem
Boden verwachsen und so auf die Erhaltung ihres persönlichen Einflusses in
ihrer Umgebung bedacht, daß sie nicht leicht etwas thun, das Unzufriedenheit
erregen könnte, und sie halten darauf, die ihnen zur Verfügung stehenden
Stellen mit tüchtigen Leuten zu besetzen. Daß die einträglichsten Pfründen
zur Versorgung von jüngern Söhnen und Verwandten benutzt werden, ist
menschlich, ist auch in andern Ländern nicht unerhört. So hat Lord Salis-
bury seinem Sohne Lord W. Gascoyne Cecil die Pfarrei von Hcitfield mit
einem Einkommen von rund 2000 Pfund verliehen, und der verstorbne Lord
Derby hat in derselben Weise einen Verwandten mit mehr als 4000 Pfund
jährlich ausgestattet.



*) Im Jahre 1836 ist der Zehnte in eine Geldabgabe verwandelt worden, die rund
4 Millionen Pfund jährlich einträgt. Davon fließen über 760000 Pfund in die Taschen der
Laieneigentümer.
Die englische Kirche

versteigert werden, und ein Priester konnte selbst ein solches Patronat kaufen
und bei Erledigung der Stelle sich ernennen.

Vor der Reformation gab es nur wenig Lnieneigeutümer, und wo sie vor¬
kamen, berichte das Recht der Stellenbesetzuug wohl darauf, das; der Patron
die Stelle ausgestattet hatte. Im Laufe des Mittelalters hatte nun die Hab¬
sucht der Kirche ein volles Fünftel von England in ihren Besitz gebracht, und
von den übrigen vier Fünfteln bezog sie den Zehnten. Die Klöster und
Stifter besaßen davon ein erkleckliches Stück, und auch vom Zehnten hatten sie
einen guten?, man möchte sagen den Löwenanteil in ihre Hände zu bekommen
gewußt, wofür sie dann die Seelsorge in den betreffenden Gemeinden versahen
oder durch Vikare Versehen ließen, denen jedoch ein möglichst geringes Ein¬
kommen ausgesetzt wurde. Die Hauptsache des Zehnten behielten sie selbst.

Mit dem Vermögen der eingezognen Klöster ging auch der Bezug des
.Zehnten, den diese genossen hatten, in die Hände Heinrichs VIII. und seiner
Nachfolger über. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Bald war das Kirchen¬
gut, das die englische Krone zur reichsten der Welt gemacht hatte, zum größten
Teile wieder verschleudert. Heinrich sowohl wie seine Nachfolger bis auf die
Königin Anna verwandten es zur Ausstattung ihrer Günstlinge, des neuen
Adels, der seit den Tndors aufkam. Die Namen vieler Sitze des englischen
Adels, Byrons Newstead Abbey, des Herzogs von Portland Welbeck Abbey,
erinnern noch heute an jenen Raub. Erst die Königin Anna führte den be¬
scheidnen Nest wieder der Kirche zu. So kam ein großer Teil des alten
Kirchenvermögens in die Hände von Laien, lind mit dem Rechte auf den Zehnten,
der dadurch seiner ursprünglichen Bestimmung völlig entfremdet wurde, ging
auch die Pflicht, einen Seelsorger zu bestellen, an Laien über.") Wenn das
Patronat mit der Grundherrlichkeit unzertrennlich verbunden wäre, würde die
Sache nicht so schlimm sein; denn der Großgrundbesitz ist in England meist
in festen Händen, beim Adel und auch sonst bei alten Geschlechtern, sogar un¬
veräußerliches Majvrntsgut. Die großen Hänser sind ferner so eng mit dem
Boden verwachsen und so auf die Erhaltung ihres persönlichen Einflusses in
ihrer Umgebung bedacht, daß sie nicht leicht etwas thun, das Unzufriedenheit
erregen könnte, und sie halten darauf, die ihnen zur Verfügung stehenden
Stellen mit tüchtigen Leuten zu besetzen. Daß die einträglichsten Pfründen
zur Versorgung von jüngern Söhnen und Verwandten benutzt werden, ist
menschlich, ist auch in andern Ländern nicht unerhört. So hat Lord Salis-
bury seinem Sohne Lord W. Gascoyne Cecil die Pfarrei von Hcitfield mit
einem Einkommen von rund 2000 Pfund verliehen, und der verstorbne Lord
Derby hat in derselben Weise einen Verwandten mit mehr als 4000 Pfund
jährlich ausgestattet.



*) Im Jahre 1836 ist der Zehnte in eine Geldabgabe verwandelt worden, die rund
4 Millionen Pfund jährlich einträgt. Davon fließen über 760000 Pfund in die Taschen der
Laieneigentümer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/234390"/>
          <fw type="header" place="top"> Die englische Kirche</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1670" prev="#ID_1669"> versteigert werden, und ein Priester konnte selbst ein solches Patronat kaufen<lb/>
und bei Erledigung der Stelle sich ernennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1671"> Vor der Reformation gab es nur wenig Lnieneigeutümer, und wo sie vor¬<lb/>
kamen, berichte das Recht der Stellenbesetzuug wohl darauf, das; der Patron<lb/>
die Stelle ausgestattet hatte. Im Laufe des Mittelalters hatte nun die Hab¬<lb/>
sucht der Kirche ein volles Fünftel von England in ihren Besitz gebracht, und<lb/>
von den übrigen vier Fünfteln bezog sie den Zehnten. Die Klöster und<lb/>
Stifter besaßen davon ein erkleckliches Stück, und auch vom Zehnten hatten sie<lb/>
einen guten?, man möchte sagen den Löwenanteil in ihre Hände zu bekommen<lb/>
gewußt, wofür sie dann die Seelsorge in den betreffenden Gemeinden versahen<lb/>
oder durch Vikare Versehen ließen, denen jedoch ein möglichst geringes Ein¬<lb/>
kommen ausgesetzt wurde.  Die Hauptsache des Zehnten behielten sie selbst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1672"> Mit dem Vermögen der eingezognen Klöster ging auch der Bezug des<lb/>
.Zehnten, den diese genossen hatten, in die Hände Heinrichs VIII. und seiner<lb/>
Nachfolger über. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Bald war das Kirchen¬<lb/>
gut, das die englische Krone zur reichsten der Welt gemacht hatte, zum größten<lb/>
Teile wieder verschleudert. Heinrich sowohl wie seine Nachfolger bis auf die<lb/>
Königin Anna verwandten es zur Ausstattung ihrer Günstlinge, des neuen<lb/>
Adels, der seit den Tndors aufkam. Die Namen vieler Sitze des englischen<lb/>
Adels, Byrons Newstead Abbey, des Herzogs von Portland Welbeck Abbey,<lb/>
erinnern noch heute an jenen Raub. Erst die Königin Anna führte den be¬<lb/>
scheidnen Nest wieder der Kirche zu. So kam ein großer Teil des alten<lb/>
Kirchenvermögens in die Hände von Laien, lind mit dem Rechte auf den Zehnten,<lb/>
der dadurch seiner ursprünglichen Bestimmung völlig entfremdet wurde, ging<lb/>
auch die Pflicht, einen Seelsorger zu bestellen, an Laien über.") Wenn das<lb/>
Patronat mit der Grundherrlichkeit unzertrennlich verbunden wäre, würde die<lb/>
Sache nicht so schlimm sein; denn der Großgrundbesitz ist in England meist<lb/>
in festen Händen, beim Adel und auch sonst bei alten Geschlechtern, sogar un¬<lb/>
veräußerliches Majvrntsgut. Die großen Hänser sind ferner so eng mit dem<lb/>
Boden verwachsen und so auf die Erhaltung ihres persönlichen Einflusses in<lb/>
ihrer Umgebung bedacht, daß sie nicht leicht etwas thun, das Unzufriedenheit<lb/>
erregen könnte, und sie halten darauf, die ihnen zur Verfügung stehenden<lb/>
Stellen mit tüchtigen Leuten zu besetzen. Daß die einträglichsten Pfründen<lb/>
zur Versorgung von jüngern Söhnen und Verwandten benutzt werden, ist<lb/>
menschlich, ist auch in andern Ländern nicht unerhört. So hat Lord Salis-<lb/>
bury seinem Sohne Lord W. Gascoyne Cecil die Pfarrei von Hcitfield mit<lb/>
einem Einkommen von rund 2000 Pfund verliehen, und der verstorbne Lord<lb/>
Derby hat in derselben Weise einen Verwandten mit mehr als 4000 Pfund<lb/>
jährlich ausgestattet.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_45" place="foot"> *) Im Jahre 1836 ist der Zehnte in eine Geldabgabe verwandelt worden, die rund<lb/>
4 Millionen Pfund jährlich einträgt. Davon fließen über 760000 Pfund in die Taschen der<lb/>
Laieneigentümer.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Die englische Kirche versteigert werden, und ein Priester konnte selbst ein solches Patronat kaufen und bei Erledigung der Stelle sich ernennen. Vor der Reformation gab es nur wenig Lnieneigeutümer, und wo sie vor¬ kamen, berichte das Recht der Stellenbesetzuug wohl darauf, das; der Patron die Stelle ausgestattet hatte. Im Laufe des Mittelalters hatte nun die Hab¬ sucht der Kirche ein volles Fünftel von England in ihren Besitz gebracht, und von den übrigen vier Fünfteln bezog sie den Zehnten. Die Klöster und Stifter besaßen davon ein erkleckliches Stück, und auch vom Zehnten hatten sie einen guten?, man möchte sagen den Löwenanteil in ihre Hände zu bekommen gewußt, wofür sie dann die Seelsorge in den betreffenden Gemeinden versahen oder durch Vikare Versehen ließen, denen jedoch ein möglichst geringes Ein¬ kommen ausgesetzt wurde. Die Hauptsache des Zehnten behielten sie selbst. Mit dem Vermögen der eingezognen Klöster ging auch der Bezug des .Zehnten, den diese genossen hatten, in die Hände Heinrichs VIII. und seiner Nachfolger über. Doch wie gewonnen, so zerronnen. Bald war das Kirchen¬ gut, das die englische Krone zur reichsten der Welt gemacht hatte, zum größten Teile wieder verschleudert. Heinrich sowohl wie seine Nachfolger bis auf die Königin Anna verwandten es zur Ausstattung ihrer Günstlinge, des neuen Adels, der seit den Tndors aufkam. Die Namen vieler Sitze des englischen Adels, Byrons Newstead Abbey, des Herzogs von Portland Welbeck Abbey, erinnern noch heute an jenen Raub. Erst die Königin Anna führte den be¬ scheidnen Nest wieder der Kirche zu. So kam ein großer Teil des alten Kirchenvermögens in die Hände von Laien, lind mit dem Rechte auf den Zehnten, der dadurch seiner ursprünglichen Bestimmung völlig entfremdet wurde, ging auch die Pflicht, einen Seelsorger zu bestellen, an Laien über.") Wenn das Patronat mit der Grundherrlichkeit unzertrennlich verbunden wäre, würde die Sache nicht so schlimm sein; denn der Großgrundbesitz ist in England meist in festen Händen, beim Adel und auch sonst bei alten Geschlechtern, sogar un¬ veräußerliches Majvrntsgut. Die großen Hänser sind ferner so eng mit dem Boden verwachsen und so auf die Erhaltung ihres persönlichen Einflusses in ihrer Umgebung bedacht, daß sie nicht leicht etwas thun, das Unzufriedenheit erregen könnte, und sie halten darauf, die ihnen zur Verfügung stehenden Stellen mit tüchtigen Leuten zu besetzen. Daß die einträglichsten Pfründen zur Versorgung von jüngern Söhnen und Verwandten benutzt werden, ist menschlich, ist auch in andern Ländern nicht unerhört. So hat Lord Salis- bury seinem Sohne Lord W. Gascoyne Cecil die Pfarrei von Hcitfield mit einem Einkommen von rund 2000 Pfund verliehen, und der verstorbne Lord Derby hat in derselben Weise einen Verwandten mit mehr als 4000 Pfund jährlich ausgestattet. *) Im Jahre 1836 ist der Zehnte in eine Geldabgabe verwandelt worden, die rund 4 Millionen Pfund jährlich einträgt. Davon fließen über 760000 Pfund in die Taschen der Laieneigentümer.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/510>, abgerufen am 22.06.2024.