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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Vic englische Rirche

chenverei", der bis auf das Jahr 1859 zurückgeht, blüht noch heute mit
einer Anzahl von 38500 Mitgliedern, nnter denen 4400 Priester sind, uuter
dein Vorsitze des Viscount Halifax.

Man fragt sich erstürmt, wie es möglich war, daß in der Mitte der
anglikanischen Kirche eine starke Partei entstehn konnte, deren Ziel die Ver¬
nichtung dieser Kirche ist. Im Jahre 1877 brandmarkte der damalige Erz-
bischof von Canterburh, Dr. Tait. die Bewegung als eine Verschwörung gegen
die Kirche. Trotzdem falle" die beste" Pfründen oft in die Hände von Ri-
tualisten. Es ist "icht aiizuuehmeu, daß die Erzbischöfe und Bischöfe die
anglikanische Kirche Rom überliefern wollen. Erzbischof Land und Karl I.
dienen ihnen hinreichend zur Warnung. Aber sie haben bisher wenig Thatkraft
in der Bekämpfung des Unfugs gezeigt und über der Anerkennung der Wieder¬
belebung des religiösen Gefühls versünmt, die Auswüchse zu beschneiden. um
es zusammenzufassen, die Ritualisten laufe" den 39 Artikeln stracks entgegen.
Wo die anglikanische Kirche nur zwei Sakramente keimt, fordern sie sieben.
Sie rufen die Jungfrau Maria und die Heilige" an, sie gcbmucheu Weihwasser
und Weihrauch, treiben den Teufel aus Wasser, Salz und Blumen aus, halten
feierliche Umzüge mit Bannern und Kruzifixen, und die weiter vorgeschrittneu
nehmen sämtliche römische" Dogmen a" und beten zuerst "für unsern Papst,"
dn"n "für unser" Bischof" und endlich auch für die Königin.

Wie zu erwarten ist, habe" sich auch viele Stimmen gegen die Gesetz¬
losigkeit in der Kirche erhoben. Die mehr zum Protestantismus neigenden
Auglitaner haben 18K5 der Olmron Union eine VKuroll ^ssooi-Mon entgegen¬
gestellt, und Staatsmänner wie Harcourt und viele Privatleute, unter thuen
vor allem der streitbare Buchhändler John Kensit, haben öffentlich gegen die
römischen Gebräuche Verwahrung eingelegt. An Zahl sind ja die Ritualisten
der Minderheit; denn von den rund 23000 Priestern, die Seelsorge aus¬
üben, si"d "ur einige Tausende zu de" Ritunliste" zu rechne", und auch von
diesen gehöre" nicht alle der äußersten Richtung an. Aber ihre Zahl ist doch
nicht zu verachten, und sie beweisen in allem eine größere Rührigkeit als ihre
Gegner. Sie sind der angreifende Teil, der dein "Bastardglauben" des Pro¬
testantismus zu Leibe geht, und erfreue" sich strammer Organisation, beides
Dinge, die taktisch wertvoll sind. Dazu finden sie für manche ihrer Bestre-
bnnge" wohlwollende Nachsicht bei den Bischöfen "ut habe" auch sonst ein-
flußreiche Gönner.

Nur dem wiederholte" Drange" der protestantischen Partei haben die
Kirchmvbern endlich so weit nachgegeben, daß sie einige Fälle rituallstischer
Ausschreitungen untersucht habe". Den Gebrauch vou Lichtern bei Umzüge"
und die Verwe"du"g von Weihrauch während des Gottesdienstes haben sie
für unerlaubt erklärt und ferner die Reservation der Hostie für Kranke unter¬
sagt. Gegen den Beichtuufug siud sie nicht eingeschritten. Wenig ist also
gethan worden, und mehr zu thun werden die Erzbischöfe wenig Neigung
spüren, aus Furcht, sich die Finger zu verbrennen. Denn die Llluroll Union


Vic englische Rirche

chenverei», der bis auf das Jahr 1859 zurückgeht, blüht noch heute mit
einer Anzahl von 38500 Mitgliedern, nnter denen 4400 Priester sind, uuter
dein Vorsitze des Viscount Halifax.

Man fragt sich erstürmt, wie es möglich war, daß in der Mitte der
anglikanischen Kirche eine starke Partei entstehn konnte, deren Ziel die Ver¬
nichtung dieser Kirche ist. Im Jahre 1877 brandmarkte der damalige Erz-
bischof von Canterburh, Dr. Tait. die Bewegung als eine Verschwörung gegen
die Kirche. Trotzdem falle» die beste» Pfründen oft in die Hände von Ri-
tualisten. Es ist »icht aiizuuehmeu, daß die Erzbischöfe und Bischöfe die
anglikanische Kirche Rom überliefern wollen. Erzbischof Land und Karl I.
dienen ihnen hinreichend zur Warnung. Aber sie haben bisher wenig Thatkraft
in der Bekämpfung des Unfugs gezeigt und über der Anerkennung der Wieder¬
belebung des religiösen Gefühls versünmt, die Auswüchse zu beschneiden. um
es zusammenzufassen, die Ritualisten laufe» den 39 Artikeln stracks entgegen.
Wo die anglikanische Kirche nur zwei Sakramente keimt, fordern sie sieben.
Sie rufen die Jungfrau Maria und die Heilige» an, sie gcbmucheu Weihwasser
und Weihrauch, treiben den Teufel aus Wasser, Salz und Blumen aus, halten
feierliche Umzüge mit Bannern und Kruzifixen, und die weiter vorgeschrittneu
nehmen sämtliche römische» Dogmen a» und beten zuerst „für unsern Papst,"
dn»n „für unser» Bischof" und endlich auch für die Königin.

Wie zu erwarten ist, habe» sich auch viele Stimmen gegen die Gesetz¬
losigkeit in der Kirche erhoben. Die mehr zum Protestantismus neigenden
Auglitaner haben 18K5 der Olmron Union eine VKuroll ^ssooi-Mon entgegen¬
gestellt, und Staatsmänner wie Harcourt und viele Privatleute, unter thuen
vor allem der streitbare Buchhändler John Kensit, haben öffentlich gegen die
römischen Gebräuche Verwahrung eingelegt. An Zahl sind ja die Ritualisten
der Minderheit; denn von den rund 23000 Priestern, die Seelsorge aus¬
üben, si»d »ur einige Tausende zu de» Ritunliste» zu rechne», und auch von
diesen gehöre» nicht alle der äußersten Richtung an. Aber ihre Zahl ist doch
nicht zu verachten, und sie beweisen in allem eine größere Rührigkeit als ihre
Gegner. Sie sind der angreifende Teil, der dein „Bastardglauben" des Pro¬
testantismus zu Leibe geht, und erfreue» sich strammer Organisation, beides
Dinge, die taktisch wertvoll sind. Dazu finden sie für manche ihrer Bestre-
bnnge» wohlwollende Nachsicht bei den Bischöfen »ut habe» auch sonst ein-
flußreiche Gönner.

Nur dem wiederholte» Drange» der protestantischen Partei haben die
Kirchmvbern endlich so weit nachgegeben, daß sie einige Fälle rituallstischer
Ausschreitungen untersucht habe». Den Gebrauch vou Lichtern bei Umzüge»
und die Verwe»du»g von Weihrauch während des Gottesdienstes haben sie
für unerlaubt erklärt und ferner die Reservation der Hostie für Kranke unter¬
sagt. Gegen den Beichtuufug siud sie nicht eingeschritten. Wenig ist also
gethan worden, und mehr zu thun werden die Erzbischöfe wenig Neigung
spüren, aus Furcht, sich die Finger zu verbrennen. Denn die Llluroll Union


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/507>, abgerufen am 22.06.2024.