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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Die englische Kirche

unter Lord Halifax hat sich geweigert, die Entscheidung der Erzbischöfe an¬
zunehmen, und schwerlich würde sie sich in andern Punkten fügsam zeigen.
Der Zwiespalt ist demnach nicht gelöst, sondern nur verschärft worden, wenn
sich auch viele Geistliche unterworfen lind die weitere Übung der verbotnen
Gebrauche eingestellt haben. Die strammen Ritnnlistcn erkennen eben in dem
Erzbischöfe von Canterbnrh nicht das wahre Oberhaupt der anglikanischen
Kirche,

Vielleicht aber ist das zögernde, nachsichtige Benehme" der Kirchenoberu
weiser, als es auf deu ersten Blick erscheinen mag, Sie könnten die Übertreter
vor die kirchlichen Gerichtshöfe fordern, die zwar sehr beschränkte Befugnisse
haben, doch vollkommen ausreichen würden, und auch vor der Berufung an
die oberste, freilich weltliche Behörde, den geheimen Rat, brauchten sie nicht
zurückzuschrecken. Aber in Sachen des Glaubens ist der weltliche Arm machtlos.
Was würde gewonnen sein, wenn die angeklagten Nitnalisteu die Unterwerfung
unter die Entscheidung eines weltlichen Gerichtshofs verweigerten? Bei ihren
Ansichten von der Stellung, die der Kirche gebührt, würden sie es sicher thun.
Die Geistlichen könnten ihrer Stellen entsetzt werden, gegen ihre Anhänger
unter den Laien ist nichts zu macheu. Ein scharfes Vorgehn gegen die Priester
würde jedoch sofort als Glaubeusbedrückuug und Verfolgung ausgelegt werden
und den Nitualisten eine erwünschte Gelegenheit bieten, sich der Welt als
Märtyrer vorzustellen. Es giebt Dumme genug, die es glauben würden, und
nichts ist so geeignet, Seelen zu fangen, als Märtyrertum, selbst wenn es
keinen Scheiterhaufen bedeutet.

Wahrscheinlich vertrauen die Erzbischöfe auf deu gesunden, nüchternen
Sinn des englischen Volks, das vom Papsttum nichts wissen will. Die Vor¬
gänge der letzten Jahre haben die Laienwelt der anglikanischen Kirche gründlich
aus ihrer ahnungslosen Ruhe aufgestört und sie vor die Frage gestellt, ob
die Reformation der Königin Elisabeth erhalten bleiben, oder ob sich England
wieder unter das geistige Joch Roms beugen soll. Die Wahl kaun nicht
schwer sein. Vor einer Reihe von Jahren hat Mrs. Lhnn Lintou einen
Roman geschrieben Ilnäer vbioll I,al6?, worin gerade das heimliche Treiben
der Nitualisten wie das Wesen ihrer Anhänger geschildert wird. Diese stellen
sich dar als Leute, die Gefühlsregungen leicht zugänglich sind und sich nicht
durch scharfe Denkthätigkeit auszeichnen. Die Mehrheit der Engländer aber
sind doch helle Köpfe, die recht wohl sehen können, daß England erst nach
dem Bruche mit dein Papsttum aufgeblüht ist, und daß bei einem Vergleiche
der Länder, in denen die römische Kirche allgewaltig ist, mit denen, die eine
Reformation durchgemacht haben, jene sehr schlecht fahren, geistig wie wirt¬
schaftlich.

Protestantisch ist ja die anglikanische Kirche nicht; aber sie hat vom
Protestantismus genug angenommen, eine freie Entfaltung aller Kräfte zu er¬
möglichen, und wenn in ihr kein Platz für die eigentlichen Protestanten ist,
so ist mich keiner für die Katholiken vom römischen Schlage, Sicher ist, daß


Die englische Kirche

unter Lord Halifax hat sich geweigert, die Entscheidung der Erzbischöfe an¬
zunehmen, und schwerlich würde sie sich in andern Punkten fügsam zeigen.
Der Zwiespalt ist demnach nicht gelöst, sondern nur verschärft worden, wenn
sich auch viele Geistliche unterworfen lind die weitere Übung der verbotnen
Gebrauche eingestellt haben. Die strammen Ritnnlistcn erkennen eben in dem
Erzbischöfe von Canterbnrh nicht das wahre Oberhaupt der anglikanischen
Kirche,

Vielleicht aber ist das zögernde, nachsichtige Benehme» der Kirchenoberu
weiser, als es auf deu ersten Blick erscheinen mag, Sie könnten die Übertreter
vor die kirchlichen Gerichtshöfe fordern, die zwar sehr beschränkte Befugnisse
haben, doch vollkommen ausreichen würden, und auch vor der Berufung an
die oberste, freilich weltliche Behörde, den geheimen Rat, brauchten sie nicht
zurückzuschrecken. Aber in Sachen des Glaubens ist der weltliche Arm machtlos.
Was würde gewonnen sein, wenn die angeklagten Nitnalisteu die Unterwerfung
unter die Entscheidung eines weltlichen Gerichtshofs verweigerten? Bei ihren
Ansichten von der Stellung, die der Kirche gebührt, würden sie es sicher thun.
Die Geistlichen könnten ihrer Stellen entsetzt werden, gegen ihre Anhänger
unter den Laien ist nichts zu macheu. Ein scharfes Vorgehn gegen die Priester
würde jedoch sofort als Glaubeusbedrückuug und Verfolgung ausgelegt werden
und den Nitualisten eine erwünschte Gelegenheit bieten, sich der Welt als
Märtyrer vorzustellen. Es giebt Dumme genug, die es glauben würden, und
nichts ist so geeignet, Seelen zu fangen, als Märtyrertum, selbst wenn es
keinen Scheiterhaufen bedeutet.

Wahrscheinlich vertrauen die Erzbischöfe auf deu gesunden, nüchternen
Sinn des englischen Volks, das vom Papsttum nichts wissen will. Die Vor¬
gänge der letzten Jahre haben die Laienwelt der anglikanischen Kirche gründlich
aus ihrer ahnungslosen Ruhe aufgestört und sie vor die Frage gestellt, ob
die Reformation der Königin Elisabeth erhalten bleiben, oder ob sich England
wieder unter das geistige Joch Roms beugen soll. Die Wahl kaun nicht
schwer sein. Vor einer Reihe von Jahren hat Mrs. Lhnn Lintou einen
Roman geschrieben Ilnäer vbioll I,al6?, worin gerade das heimliche Treiben
der Nitualisten wie das Wesen ihrer Anhänger geschildert wird. Diese stellen
sich dar als Leute, die Gefühlsregungen leicht zugänglich sind und sich nicht
durch scharfe Denkthätigkeit auszeichnen. Die Mehrheit der Engländer aber
sind doch helle Köpfe, die recht wohl sehen können, daß England erst nach
dem Bruche mit dein Papsttum aufgeblüht ist, und daß bei einem Vergleiche
der Länder, in denen die römische Kirche allgewaltig ist, mit denen, die eine
Reformation durchgemacht haben, jene sehr schlecht fahren, geistig wie wirt¬
schaftlich.

Protestantisch ist ja die anglikanische Kirche nicht; aber sie hat vom
Protestantismus genug angenommen, eine freie Entfaltung aller Kräfte zu er¬
möglichen, und wenn in ihr kein Platz für die eigentlichen Protestanten ist,
so ist mich keiner für die Katholiken vom römischen Schlage, Sicher ist, daß


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[0508] Die englische Kirche unter Lord Halifax hat sich geweigert, die Entscheidung der Erzbischöfe an¬ zunehmen, und schwerlich würde sie sich in andern Punkten fügsam zeigen. Der Zwiespalt ist demnach nicht gelöst, sondern nur verschärft worden, wenn sich auch viele Geistliche unterworfen lind die weitere Übung der verbotnen Gebrauche eingestellt haben. Die strammen Ritnnlistcn erkennen eben in dem Erzbischöfe von Canterbnrh nicht das wahre Oberhaupt der anglikanischen Kirche, Vielleicht aber ist das zögernde, nachsichtige Benehme» der Kirchenoberu weiser, als es auf deu ersten Blick erscheinen mag, Sie könnten die Übertreter vor die kirchlichen Gerichtshöfe fordern, die zwar sehr beschränkte Befugnisse haben, doch vollkommen ausreichen würden, und auch vor der Berufung an die oberste, freilich weltliche Behörde, den geheimen Rat, brauchten sie nicht zurückzuschrecken. Aber in Sachen des Glaubens ist der weltliche Arm machtlos. Was würde gewonnen sein, wenn die angeklagten Nitnalisteu die Unterwerfung unter die Entscheidung eines weltlichen Gerichtshofs verweigerten? Bei ihren Ansichten von der Stellung, die der Kirche gebührt, würden sie es sicher thun. Die Geistlichen könnten ihrer Stellen entsetzt werden, gegen ihre Anhänger unter den Laien ist nichts zu macheu. Ein scharfes Vorgehn gegen die Priester würde jedoch sofort als Glaubeusbedrückuug und Verfolgung ausgelegt werden und den Nitualisten eine erwünschte Gelegenheit bieten, sich der Welt als Märtyrer vorzustellen. Es giebt Dumme genug, die es glauben würden, und nichts ist so geeignet, Seelen zu fangen, als Märtyrertum, selbst wenn es keinen Scheiterhaufen bedeutet. Wahrscheinlich vertrauen die Erzbischöfe auf deu gesunden, nüchternen Sinn des englischen Volks, das vom Papsttum nichts wissen will. Die Vor¬ gänge der letzten Jahre haben die Laienwelt der anglikanischen Kirche gründlich aus ihrer ahnungslosen Ruhe aufgestört und sie vor die Frage gestellt, ob die Reformation der Königin Elisabeth erhalten bleiben, oder ob sich England wieder unter das geistige Joch Roms beugen soll. Die Wahl kaun nicht schwer sein. Vor einer Reihe von Jahren hat Mrs. Lhnn Lintou einen Roman geschrieben Ilnäer vbioll I,al6?, worin gerade das heimliche Treiben der Nitualisten wie das Wesen ihrer Anhänger geschildert wird. Diese stellen sich dar als Leute, die Gefühlsregungen leicht zugänglich sind und sich nicht durch scharfe Denkthätigkeit auszeichnen. Die Mehrheit der Engländer aber sind doch helle Köpfe, die recht wohl sehen können, daß England erst nach dem Bruche mit dein Papsttum aufgeblüht ist, und daß bei einem Vergleiche der Länder, in denen die römische Kirche allgewaltig ist, mit denen, die eine Reformation durchgemacht haben, jene sehr schlecht fahren, geistig wie wirt¬ schaftlich. Protestantisch ist ja die anglikanische Kirche nicht; aber sie hat vom Protestantismus genug angenommen, eine freie Entfaltung aller Kräfte zu er¬ möglichen, und wenn in ihr kein Platz für die eigentlichen Protestanten ist, so ist mich keiner für die Katholiken vom römischen Schlage, Sicher ist, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/508>, abgerufen am 22.06.2024.