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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Landflucht und j?olensrage

nicht Arbeiter werden, weil nicht einmal die deutschen Arbeitersohne es werden
wollen. Wenn man recht schnell und znlunftssicher einen Bauernstand schaffen
will, so schaffe man ihn nur aus den umwob"e"den Arbeitern heraus, wie es
die Generalkvmmissiv"en machen. Schade nur, daß man auf diesem sichersten
Wege in unserm Osten nur noch mehr zu einem polnischen Bauernstande
kommt. Alle Nentengnter in Gegenden, wo es keine deutschen Arbeiter mehr
giebt, düngen nnr den Acker, worauf später die polnische Saat aufgehn wird.

Will man innere Kolonisation treibe", so darf man also den Arbeiter über
dem Kleinbauern nicht vergessen. Für die Wiedergeburt des Volkes ist auch
kein Unterschied zwischen beiden, aber bisher hat man ihn vergessen, und später
wird man ihn vergebens suchen, denn er verschwindet. Wie aber soll man
mit ihm kolonisieren, wenn man ihn nicht einmal in den alten Provinzen bei
der Arbeit seiner Väter zu halten versteht?

Ich wiederhole, das Verschwinden des wurzelechten Landvolks ist die
Hauptsache. Auch wenn es gelänge, den Poleuzuzug abzusperren und an
dessen Stelle nur Deutsche ans der Schweiz, aus Ungar", Siebenbürgen und
Nußland hereinzuziehn, so wäre das Grundübel doch nur wenig gemildert.
Das waren täuschende Surrogate, denn aus dem allen wird kein Volk, sondern
durcheinander gemengtes Proletariat, das mich noch den Rest von wirklichem
Volk vom Lande verjagt.

Wie steht es denn mit dem wurzelechten Landvolk? Eine Arbeit "über
die Wehrfähigkeit der ländlichen und der städtischen Bevölkerung"^) hat erwiesen,
daß in dem Kreise Ülzen und im Saalkreis, die als Typen ländlicher Kreise
gewählt sind, ein Drittel der männlichen Jugend schon vor der Musterung
zum Heeresdienst aus der Heimat verschwindet, sicherlich größtenteils in die
großen Städte. Ich habe Amtsvorsteher erzählen hören, daß in ihren Be¬
zirken fast nie einer wieder vom Heeresdienst zurückkäme. Nehmen wir an,
daß niedrig gerechnet noch ein Drittel nach der Militärzeit in der Stadt bleibt,
so wird es schon klar, daß das letzte Drittel nicht genügen kann, die BeVolke-
rung auf ihrer Höhe zu erhalten. Das ist die männliche Jugend; mit der
weiblichen steht es noch schlimmer. Nun sind es gerade die besten und tüch¬
tigsten, die in der Stadt bleibe", als Erdarbeiter, Pflasterer, Maurer, Geschirr¬
führer, Pferdebahnkutscher, Hausknechte, Eisenbahner, Postboten und Poli¬
zisten. Dagegen der Schund, die einfältigen, schwache", unzuverlässigen bleiben
zurück.

So kann es dazu kommen, daß das Land von wirklichem Landvolk
ganz leer wird, wie es in England in: Beginn des vorigen Jahrhunderts ge¬
schehn ist.

Was bei uns die Steinsche Gesetzgebung geleistet hat, die Umwandlung
der feudalen Grundeigentumsverhültnisse, das geschah in England hundert
Jahre früher, aber nicht durch bewußten Willen und Gesetz des Staats, sondern



Bindewald, Dissertation. Halle a. S.
Landflucht und j?olensrage

nicht Arbeiter werden, weil nicht einmal die deutschen Arbeitersohne es werden
wollen. Wenn man recht schnell und znlunftssicher einen Bauernstand schaffen
will, so schaffe man ihn nur aus den umwob»e»den Arbeitern heraus, wie es
die Generalkvmmissiv»en machen. Schade nur, daß man auf diesem sichersten
Wege in unserm Osten nur noch mehr zu einem polnischen Bauernstande
kommt. Alle Nentengnter in Gegenden, wo es keine deutschen Arbeiter mehr
giebt, düngen nnr den Acker, worauf später die polnische Saat aufgehn wird.

Will man innere Kolonisation treibe», so darf man also den Arbeiter über
dem Kleinbauern nicht vergessen. Für die Wiedergeburt des Volkes ist auch
kein Unterschied zwischen beiden, aber bisher hat man ihn vergessen, und später
wird man ihn vergebens suchen, denn er verschwindet. Wie aber soll man
mit ihm kolonisieren, wenn man ihn nicht einmal in den alten Provinzen bei
der Arbeit seiner Väter zu halten versteht?

Ich wiederhole, das Verschwinden des wurzelechten Landvolks ist die
Hauptsache. Auch wenn es gelänge, den Poleuzuzug abzusperren und an
dessen Stelle nur Deutsche ans der Schweiz, aus Ungar», Siebenbürgen und
Nußland hereinzuziehn, so wäre das Grundübel doch nur wenig gemildert.
Das waren täuschende Surrogate, denn aus dem allen wird kein Volk, sondern
durcheinander gemengtes Proletariat, das mich noch den Rest von wirklichem
Volk vom Lande verjagt.

Wie steht es denn mit dem wurzelechten Landvolk? Eine Arbeit „über
die Wehrfähigkeit der ländlichen und der städtischen Bevölkerung"^) hat erwiesen,
daß in dem Kreise Ülzen und im Saalkreis, die als Typen ländlicher Kreise
gewählt sind, ein Drittel der männlichen Jugend schon vor der Musterung
zum Heeresdienst aus der Heimat verschwindet, sicherlich größtenteils in die
großen Städte. Ich habe Amtsvorsteher erzählen hören, daß in ihren Be¬
zirken fast nie einer wieder vom Heeresdienst zurückkäme. Nehmen wir an,
daß niedrig gerechnet noch ein Drittel nach der Militärzeit in der Stadt bleibt,
so wird es schon klar, daß das letzte Drittel nicht genügen kann, die BeVolke-
rung auf ihrer Höhe zu erhalten. Das ist die männliche Jugend; mit der
weiblichen steht es noch schlimmer. Nun sind es gerade die besten und tüch¬
tigsten, die in der Stadt bleibe», als Erdarbeiter, Pflasterer, Maurer, Geschirr¬
führer, Pferdebahnkutscher, Hausknechte, Eisenbahner, Postboten und Poli¬
zisten. Dagegen der Schund, die einfältigen, schwache», unzuverlässigen bleiben
zurück.

So kann es dazu kommen, daß das Land von wirklichem Landvolk
ganz leer wird, wie es in England in: Beginn des vorigen Jahrhunderts ge¬
schehn ist.

Was bei uns die Steinsche Gesetzgebung geleistet hat, die Umwandlung
der feudalen Grundeigentumsverhültnisse, das geschah in England hundert
Jahre früher, aber nicht durch bewußten Willen und Gesetz des Staats, sondern



Bindewald, Dissertation. Halle a. S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/500>, abgerufen am 21.06.2024.