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Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr.

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Aare, Goethe und der Monismus

Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant könne mir nichts geben.
Er selbst studierte ihn dagegen eifrig, und ich habe ihn auch studiert, und zwar
nicht ohne Gewinn!" "Und so gewöhnte ich mich, heißt es an einer andern
Stelle, nach und nach an eine Sprache, die mir völlig fremd gewesen, und
in die ich mich um desto leichter finden konnte, als ich durch die höhere Vor¬
stellung von Kunst und Wissenschaft, die sie begünstigte, mir selbst vornehmer
und reicher dünken mochte."

In der That lassen sich die Spuren des Kantischen Geistes und seiner
tiefsinnigen Lehre in den Schriften und Äußerungen Goethes noch deutlicher
verfolgen. So schreibt er an Eckermann (1830) in Bezug auf die Gesetze der
Metamorphose: "Man wird durch sie in dem ganzen labyrinthischen Kreise des
Begreiflicher glücklich umhergeleitet bis an die Grenze des Unbegreiflichen, wo
man sich denn, nach großem Gewinn, gar wohl bescheiden kann." Und am
11. April 1827 sagte er zu ihm: "Es giebt in der ganzen Natur ein Zu¬
gängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man
wohl und habe Respekt. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überall nur
wissen, wiewohl es immer sehr schwer bleibt, zu sehen, wo das eine aufhört
und das andre beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich
am Unzugängliche" ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber
weiß und klug ist, wird sich am Zugänglicher halten, und indem er in dieser
Region nach allen Seiten geht und sich befestigt, wird er sogar auf diesen:
Wege dem Unzugängliche" etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch
zuletzt gesteh" wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade
beizukommen ist, und die Natur immer etwas Problematisches hinter sich be¬
halte, das zu ergründen die menschlichen Fähigkeiten nicht hinreichen."

Der Grundgedanke der Kantischen Philosophie von der Begrenztheit aller
Naturerkenntuis ist hier klar ausgesprochen, der Philosophie, die es unter¬
nahm, zu untersuchen, was innerhalb und ums außerhalb der Schranken des
menschlichen Verstands liegt, und zu dem Ergebnis kam, daß der Verstand
a xriori niemals nrehr leisten kann, als die Form einer möglichen Erfahrung
überhaupt zu antizipieren, und da alles, was nicht Erscheinung ist, d. h. was
nicht als sinnliche Auschauung unser Vorstellungsvermögen affiziert, mich kein
Objekt der Erfahrung sein kam?, daß er mithin die Grenzen der Sinnlichkeit,
innerhalb deren uns allein Gegenstände erscheinen, niemals überschreiten könne.
Infolge der tiefem Argumentation Kants giebt es also keine "ewigen Wahr¬
heiten," souderu nur Antizipationen der Möglichkeit eiuer Erfahrung über¬
haupt, die als solche, weil sie als Funktionen des Intellekts prüformiert sind,
g, xricu-i sind, aber nur für die Erscheinungswelt Giltigkeit habe". "Hätte ich
nicht die Welt durch Antizipation bereits in mir getragen, sagt Goethe ganz
im Geiste Kants, ich wäre mit sehenden Augen blind geblieben, und alle Er¬
forschung und Erfahrung wäre nichts gewesen als ein totes und vergebliches
Bemühen." (Gespräch mit Eckermann, 26. Februar 1824.)

Aber wie weit vermag die Erforschung der Natur zu bringen? In der


Aare, Goethe und der Monismus

Philosophie zu widerraten. Er sagte gewöhnlich, Kant könne mir nichts geben.
Er selbst studierte ihn dagegen eifrig, und ich habe ihn auch studiert, und zwar
nicht ohne Gewinn!" „Und so gewöhnte ich mich, heißt es an einer andern
Stelle, nach und nach an eine Sprache, die mir völlig fremd gewesen, und
in die ich mich um desto leichter finden konnte, als ich durch die höhere Vor¬
stellung von Kunst und Wissenschaft, die sie begünstigte, mir selbst vornehmer
und reicher dünken mochte."

In der That lassen sich die Spuren des Kantischen Geistes und seiner
tiefsinnigen Lehre in den Schriften und Äußerungen Goethes noch deutlicher
verfolgen. So schreibt er an Eckermann (1830) in Bezug auf die Gesetze der
Metamorphose: „Man wird durch sie in dem ganzen labyrinthischen Kreise des
Begreiflicher glücklich umhergeleitet bis an die Grenze des Unbegreiflichen, wo
man sich denn, nach großem Gewinn, gar wohl bescheiden kann." Und am
11. April 1827 sagte er zu ihm: „Es giebt in der ganzen Natur ein Zu¬
gängliches und ein Unzugängliches. Dieses unterscheide und bedenke man
wohl und habe Respekt. Es ist uns schon geholfen, wenn wir es überall nur
wissen, wiewohl es immer sehr schwer bleibt, zu sehen, wo das eine aufhört
und das andre beginnt. Wer es nicht weiß, quält sich vielleicht lebenslänglich
am Unzugängliche« ab, ohne je der Wahrheit nahe zu kommen. Wer es aber
weiß und klug ist, wird sich am Zugänglicher halten, und indem er in dieser
Region nach allen Seiten geht und sich befestigt, wird er sogar auf diesen:
Wege dem Unzugängliche» etwas abgewinnen können, wiewohl er hier doch
zuletzt gesteh» wird, daß manchen Dingen nur bis zu einem gewissen Grade
beizukommen ist, und die Natur immer etwas Problematisches hinter sich be¬
halte, das zu ergründen die menschlichen Fähigkeiten nicht hinreichen."

Der Grundgedanke der Kantischen Philosophie von der Begrenztheit aller
Naturerkenntuis ist hier klar ausgesprochen, der Philosophie, die es unter¬
nahm, zu untersuchen, was innerhalb und ums außerhalb der Schranken des
menschlichen Verstands liegt, und zu dem Ergebnis kam, daß der Verstand
a xriori niemals nrehr leisten kann, als die Form einer möglichen Erfahrung
überhaupt zu antizipieren, und da alles, was nicht Erscheinung ist, d. h. was
nicht als sinnliche Auschauung unser Vorstellungsvermögen affiziert, mich kein
Objekt der Erfahrung sein kam?, daß er mithin die Grenzen der Sinnlichkeit,
innerhalb deren uns allein Gegenstände erscheinen, niemals überschreiten könne.
Infolge der tiefem Argumentation Kants giebt es also keine „ewigen Wahr¬
heiten," souderu nur Antizipationen der Möglichkeit eiuer Erfahrung über¬
haupt, die als solche, weil sie als Funktionen des Intellekts prüformiert sind,
g, xricu-i sind, aber nur für die Erscheinungswelt Giltigkeit habe». „Hätte ich
nicht die Welt durch Antizipation bereits in mir getragen, sagt Goethe ganz
im Geiste Kants, ich wäre mit sehenden Augen blind geblieben, und alle Er¬
forschung und Erfahrung wäre nichts gewesen als ein totes und vergebliches
Bemühen." (Gespräch mit Eckermann, 26. Februar 1824.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 60, 1901, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341873_233879/472>, abgerufen am 21.06.2024.